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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Die Geltung des Rechts.
erklären ist, ist die Verbindlichkeit einer lange geübten oder ge-
waltsam aufgedrängten Maxime, z. B. des Gehorsams gegenüber
einem Gewaltigen, einem oder vielen, oder einer Form der Rechts-
geschäfte. Nun ist die Tatsache keineswegs zu bestreiten, daß
vielfach solche zunächst unverbindliche Maximen später als ver-
bindlich betrachtet worden sind, und daß dem Menschen auch
der Hang innewohnen mag, das zu tun. Allein das ist eine psycho-
logische Erkenntnis über das tatsächliche Verhalten der Menschen.
Was uns aber interessierte, war die Frage, ob diese Maximen als
verbindlich anerkannt werden mußten, ob sie Anspruch auf
Geltung hatten; und dafür bildet vernünftigerweise die Tat-
sache,
daß sie geübt oder aufgedrängt worden sind, keinen Grund
und keine Erklärung. Richtig ist, daß das neue Recht ohne die
tatsächliche Unterstützung von Menschen nicht Geltung erlangt
hätte; aber eine Rechtfertigung dieser Geltung ist sie nicht. Die
psychologische Erklärung, weshalb es so gekommen ist, ist noch nicht
die rationelle Erklärung dafür, daß es so gehalten werden sollte. Daß
etwas geschieht, ist niemals der Grund dafür, daß es geschehen soll1.

1 Schuppe, Das Gewohnheitsrecht (1890) 9: "Es ist schlechthin
unerfindlich, wie das "gelten", welches nach Z.s deutlichsten Auslassungen
die Tatsache der längeren Dauer der Herrschaft oder die längere Dauer
des tatsächlichen Sichdanachrichtens bedeutet, zu einer Geltung gegen den
nicht Anerkennenden werden kann, und wie die Erkenntnis von dem Vor-
handensein einer Motivationsquelle usw., zu welcher auch die bloß äußere
Macht des Gebietenden gerechnet wird, das gelten zu einem "rechtlichen"
machen, dem Recht seine "objektive Wirklichkeit" geben kann, infolge
welcher es dem Belieben der Einzelnen entrückt wird." Di Carlo, Forza
e diritto, a. a. O. 51, bez. der Darwinschen Lehre. Vgl. Erich Kauf-
mann,
Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie (1921) 32. Puchta,
a. a. O. 8--9, sagte mit Recht: " . . . daß ein Rechtssatz durch seine An-
wendung erst entstehe, das wird kein Verstand begreifen"; aber auch nicht,
daß er durch seine Anwendung (durch Private) "befestigt" werden könnte (8).
Die Unklarheit liegt schon in der Frage nach der Entstehung des Rechts;
als ob die Verbindlichkeit einer Norm durch zeitliche Vorgänge erklärt
werden könnte! Soziologen versuchen immer wieder, die Entstehung des
Rechts auf tatsächliche Vorgänge zurückzuführen; allein um aus (früheren)
tatsächlichen Vorgängen erklärt werden zu können, müßte das Recht selbst
ein tatsächlicher Vorgang sein. Das behaupten auch viele, aber zu Un-
recht, z. B. Sander in der Abhandlung über das Verhältnis von Staat
und Recht, im Archiv des öff. Rechts 10 (1928) 153: ein "gesellschaftlicher
Akt"; vgl. S. 192.

Die Geltung des Rechts.
erklären ist, ist die Verbindlichkeit einer lange geübten oder ge-
waltsam aufgedrängten Maxime, z. B. des Gehorsams gegenüber
einem Gewaltigen, einem oder vielen, oder einer Form der Rechts-
geschäfte. Nun ist die Tatsache keineswegs zu bestreiten, daß
vielfach solche zunächst unverbindliche Maximen später als ver-
bindlich betrachtet worden sind, und daß dem Menschen auch
der Hang innewohnen mag, das zu tun. Allein das ist eine psycho-
logische Erkenntnis über das tatsächliche Verhalten der Menschen.
Was uns aber interessierte, war die Frage, ob diese Maximen als
verbindlich anerkannt werden mußten, ob sie Anspruch auf
Geltung hatten; und dafür bildet vernünftigerweise die Tat-
sache,
daß sie geübt oder aufgedrängt worden sind, keinen Grund
und keine Erklärung. Richtig ist, daß das neue Recht ohne die
tatsächliche Unterstützung von Menschen nicht Geltung erlangt
hätte; aber eine Rechtfertigung dieser Geltung ist sie nicht. Die
psychologische Erklärung, weshalb es so gekommen ist, ist noch nicht
die rationelle Erklärung dafür, daß es so gehalten werden sollte. Daß
etwas geschieht, ist niemals der Grund dafür, daß es geschehen soll1.

1 Schuppe, Das Gewohnheitsrecht (1890) 9: „Es ist schlechthin
unerfindlich, wie das „gelten“, welches nach Z.s deutlichsten Auslassungen
die Tatsache der längeren Dauer der Herrschaft oder die längere Dauer
des tatsächlichen Sichdanachrichtens bedeutet, zu einer Geltung gegen den
nicht Anerkennenden werden kann, und wie die Erkenntnis von dem Vor-
handensein einer Motivationsquelle usw., zu welcher auch die bloß äußere
Macht des Gebietenden gerechnet wird, das gelten zu einem „rechtlichen“
machen, dem Recht seine „objektive Wirklichkeit“ geben kann, infolge
welcher es dem Belieben der Einzelnen entrückt wird.“ Di Carlo, Forza
e diritto, a. a. O. 51, bez. der Darwinschen Lehre. Vgl. Erich Kauf-
mann,
Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie (1921) 32. Puchta,
a. a. O. 8—9, sagte mit Recht: „ . . . daß ein Rechtssatz durch seine An-
wendung erst entstehe, das wird kein Verstand begreifen“; aber auch nicht,
daß er durch seine Anwendung (durch Private) „befestigt“ werden könnte (8).
Die Unklarheit liegt schon in der Frage nach der Entstehung des Rechts;
als ob die Verbindlichkeit einer Norm durch zeitliche Vorgänge erklärt
werden könnte! Soziologen versuchen immer wieder, die Entstehung des
Rechts auf tatsächliche Vorgänge zurückzuführen; allein um aus (früheren)
tatsächlichen Vorgängen erklärt werden zu können, müßte das Recht selbst
ein tatsächlicher Vorgang sein. Das behaupten auch viele, aber zu Un-
recht, z. B. Sander in der Abhandlung über das Verhältnis von Staat
und Recht, im Archiv des öff. Rechts 10 (1928) 153: ein „gesellschaftlicher
Akt“; vgl. S. 192.
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[199/0214] Die Geltung des Rechts. erklären ist, ist die Verbindlichkeit einer lange geübten oder ge- waltsam aufgedrängten Maxime, z. B. des Gehorsams gegenüber einem Gewaltigen, einem oder vielen, oder einer Form der Rechts- geschäfte. Nun ist die Tatsache keineswegs zu bestreiten, daß vielfach solche zunächst unverbindliche Maximen später als ver- bindlich betrachtet worden sind, und daß dem Menschen auch der Hang innewohnen mag, das zu tun. Allein das ist eine psycho- logische Erkenntnis über das tatsächliche Verhalten der Menschen. Was uns aber interessierte, war die Frage, ob diese Maximen als verbindlich anerkannt werden mußten, ob sie Anspruch auf Geltung hatten; und dafür bildet vernünftigerweise die Tat- sache, daß sie geübt oder aufgedrängt worden sind, keinen Grund und keine Erklärung. Richtig ist, daß das neue Recht ohne die tatsächliche Unterstützung von Menschen nicht Geltung erlangt hätte; aber eine Rechtfertigung dieser Geltung ist sie nicht. Die psychologische Erklärung, weshalb es so gekommen ist, ist noch nicht die rationelle Erklärung dafür, daß es so gehalten werden sollte. Daß etwas geschieht, ist niemals der Grund dafür, daß es geschehen soll 1. 1 Schuppe, Das Gewohnheitsrecht (1890) 9: „Es ist schlechthin unerfindlich, wie das „gelten“, welches nach Z.s deutlichsten Auslassungen die Tatsache der längeren Dauer der Herrschaft oder die längere Dauer des tatsächlichen Sichdanachrichtens bedeutet, zu einer Geltung gegen den nicht Anerkennenden werden kann, und wie die Erkenntnis von dem Vor- handensein einer Motivationsquelle usw., zu welcher auch die bloß äußere Macht des Gebietenden gerechnet wird, das gelten zu einem „rechtlichen“ machen, dem Recht seine „objektive Wirklichkeit“ geben kann, infolge welcher es dem Belieben der Einzelnen entrückt wird.“ Di Carlo, Forza e diritto, a. a. O. 51, bez. der Darwinschen Lehre. Vgl. Erich Kauf- mann, Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie (1921) 32. Puchta, a. a. O. 8—9, sagte mit Recht: „ . . . daß ein Rechtssatz durch seine An- wendung erst entstehe, das wird kein Verstand begreifen“; aber auch nicht, daß er durch seine Anwendung (durch Private) „befestigt“ werden könnte (8). Die Unklarheit liegt schon in der Frage nach der Entstehung des Rechts; als ob die Verbindlichkeit einer Norm durch zeitliche Vorgänge erklärt werden könnte! Soziologen versuchen immer wieder, die Entstehung des Rechts auf tatsächliche Vorgänge zurückzuführen; allein um aus (früheren) tatsächlichen Vorgängen erklärt werden zu können, müßte das Recht selbst ein tatsächlicher Vorgang sein. Das behaupten auch viele, aber zu Un- recht, z. B. Sander in der Abhandlung über das Verhältnis von Staat und Recht, im Archiv des öff. Rechts 10 (1928) 153: ein „gesellschaftlicher Akt“; vgl. S. 192.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/214>, abgerufen am 24.11.2024.