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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Die Geltung des Rechts.
einem sachlichen entscheiden, und soll ihn doch nach Gründen
richtig, also sachlich entscheiden!

Eine offenbare Antinomie!

Man begreift vor dieser Schwierigkeit den verzweifelten Ent-
schluß eines Hobbes, der Menschheit, die einmal aus dieser un-
erträglichen Ungewißheit, die er status naturalis nennt, heraus-
gekommen ist, den Rückweg zu verrammeln; auf dem Wege zum
status civilis soll es kein Zurück mehr geben. Die einmal zur
Geltung gelangte Verfassung soll unbedingt und unbeschränkt in
Geltung bleiben. Aber auch wenn das möglich wäre, so wäre die
Folge dieses endgültigen unwiderruflichen Entschlusses die, daß
in Zukunft alles positive Recht verbindlich wäre, welches es immer
sei, und daß der einmal gegründete rechtssetzende Organismus
unabänderlich wäre, wie er auch beschaffen sein möge, eine Folge,
die Hobbes auch gezogen hat. Aber der Versuch, diese Sätze zu
begründen, ist ihm, sowenig wie anderen, geglückt.

Sachlich entspricht der Idee des Gerechten (unter gegebenen
Umständen) stets nur eine Rechtsordnung; welcher von verschie-
denen Vorschlägen der richtige sei, ist nicht nur eine Frage des
subjektiven Empfindens, sondern eine nach objektivem Maßstab
zu lösende Frage1. Aber in diese Frage haben die unvollkommenen
Menschen, die sie beantworten sollen, nur eine unvollkommene
Einsicht; und ihre Antwort wird deshalb auch, nach ihrer sub-
jektiven Bedingtheit, verschieden sein. Wenn man sie, die be-
schränkten Menschen, entscheiden läßt, führt man ein irrationales
Moment in das Problem ein, und es gibt keine Gewähr mehr für
eine rationelle Lösung. Kein Mittel kann mehr gewährleisten,
daß die richtige Lösung herauskomme, ja daß überhaupt eine
Lösung herauskomme. Folgerichtigerweise muß man darüber
stets die Vernunft entscheiden lassen; aber dann bleibt die Lösung
auch stets (unter den Menschen) unentschieden, da der Appell
an die Vernunft stets offen bleibt. Die Verwirklichung der reinen
Idee des Rechts in einer konkreten Rechtsordnung führt durch
die unreine Werkstatt der beschränkten Menschen; wer eine
Rechtsordnung haben will, muß die Gefahr der Verunreinigung

1 Vgl. Stammler, Rechtsphilosophie § 79. Unter dem unten 190
gemachten Vorbehalt.

Die Geltung des Rechts.
einem sachlichen entscheiden, und soll ihn doch nach Gründen
richtig, also sachlich entscheiden!

Eine offenbare Antinomie!

Man begreift vor dieser Schwierigkeit den verzweifelten Ent-
schluß eines Hobbes, der Menschheit, die einmal aus dieser un-
erträglichen Ungewißheit, die er status naturalis nennt, heraus-
gekommen ist, den Rückweg zu verrammeln; auf dem Wege zum
status civilis soll es kein Zurück mehr geben. Die einmal zur
Geltung gelangte Verfassung soll unbedingt und unbeschränkt in
Geltung bleiben. Aber auch wenn das möglich wäre, so wäre die
Folge dieses endgültigen unwiderruflichen Entschlusses die, daß
in Zukunft alles positive Recht verbindlich wäre, welches es immer
sei, und daß der einmal gegründete rechtssetzende Organismus
unabänderlich wäre, wie er auch beschaffen sein möge, eine Folge,
die Hobbes auch gezogen hat. Aber der Versuch, diese Sätze zu
begründen, ist ihm, sowenig wie anderen, geglückt.

Sachlich entspricht der Idee des Gerechten (unter gegebenen
Umständen) stets nur eine Rechtsordnung; welcher von verschie-
denen Vorschlägen der richtige sei, ist nicht nur eine Frage des
subjektiven Empfindens, sondern eine nach objektivem Maßstab
zu lösende Frage1. Aber in diese Frage haben die unvollkommenen
Menschen, die sie beantworten sollen, nur eine unvollkommene
Einsicht; und ihre Antwort wird deshalb auch, nach ihrer sub-
jektiven Bedingtheit, verschieden sein. Wenn man sie, die be-
schränkten Menschen, entscheiden läßt, führt man ein irrationales
Moment in das Problem ein, und es gibt keine Gewähr mehr für
eine rationelle Lösung. Kein Mittel kann mehr gewährleisten,
daß die richtige Lösung herauskomme, ja daß überhaupt eine
Lösung herauskomme. Folgerichtigerweise muß man darüber
stets die Vernunft entscheiden lassen; aber dann bleibt die Lösung
auch stets (unter den Menschen) unentschieden, da der Appell
an die Vernunft stets offen bleibt. Die Verwirklichung der reinen
Idee des Rechts in einer konkreten Rechtsordnung führt durch
die unreine Werkstatt der beschränkten Menschen; wer eine
Rechtsordnung haben will, muß die Gefahr der Verunreinigung

1 Vgl. Stammler, Rechtsphilosophie § 79. Unter dem unten 190
gemachten Vorbehalt.
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[185/0200] Die Geltung des Rechts. einem sachlichen entscheiden, und soll ihn doch nach Gründen richtig, also sachlich entscheiden! Eine offenbare Antinomie! Man begreift vor dieser Schwierigkeit den verzweifelten Ent- schluß eines Hobbes, der Menschheit, die einmal aus dieser un- erträglichen Ungewißheit, die er status naturalis nennt, heraus- gekommen ist, den Rückweg zu verrammeln; auf dem Wege zum status civilis soll es kein Zurück mehr geben. Die einmal zur Geltung gelangte Verfassung soll unbedingt und unbeschränkt in Geltung bleiben. Aber auch wenn das möglich wäre, so wäre die Folge dieses endgültigen unwiderruflichen Entschlusses die, daß in Zukunft alles positive Recht verbindlich wäre, welches es immer sei, und daß der einmal gegründete rechtssetzende Organismus unabänderlich wäre, wie er auch beschaffen sein möge, eine Folge, die Hobbes auch gezogen hat. Aber der Versuch, diese Sätze zu begründen, ist ihm, sowenig wie anderen, geglückt. Sachlich entspricht der Idee des Gerechten (unter gegebenen Umständen) stets nur eine Rechtsordnung; welcher von verschie- denen Vorschlägen der richtige sei, ist nicht nur eine Frage des subjektiven Empfindens, sondern eine nach objektivem Maßstab zu lösende Frage 1. Aber in diese Frage haben die unvollkommenen Menschen, die sie beantworten sollen, nur eine unvollkommene Einsicht; und ihre Antwort wird deshalb auch, nach ihrer sub- jektiven Bedingtheit, verschieden sein. Wenn man sie, die be- schränkten Menschen, entscheiden läßt, führt man ein irrationales Moment in das Problem ein, und es gibt keine Gewähr mehr für eine rationelle Lösung. Kein Mittel kann mehr gewährleisten, daß die richtige Lösung herauskomme, ja daß überhaupt eine Lösung herauskomme. Folgerichtigerweise muß man darüber stets die Vernunft entscheiden lassen; aber dann bleibt die Lösung auch stets (unter den Menschen) unentschieden, da der Appell an die Vernunft stets offen bleibt. Die Verwirklichung der reinen Idee des Rechts in einer konkreten Rechtsordnung führt durch die unreine Werkstatt der beschränkten Menschen; wer eine Rechtsordnung haben will, muß die Gefahr der Verunreinigung 1 Vgl. Stammler, Rechtsphilosophie § 79. Unter dem unten 190 gemachten Vorbehalt.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/200>, abgerufen am 24.11.2024.