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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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II. Teil. Die staatliche Verfassung.

Die Frage ist nicht, ob ein lückenloser Zwangsapparat ge-
baut werden könne. Man kann sogar ruhig zugeben, daß das
nicht möglich ist: der Obere wird immer befugt sein, den Unteren
zu zwingen; aber denjenigen, der auf der obersten Sproße der
Kompetenzleiter steht, kann schließlich niemand mehr zwingen.
Die Zuständigkeitsordnung bleibt hier notwendigerweise unvoll-
ständig (ganz abgesehen von der Frage, ob alle Organe dieser
Hierarchie von der Zuständigkeit, die sie haben, tatsächlich Ge-
brauch machen können und wollen). Das ist eine notwendige
Unvollkommenheit jeder positiven Rechtsordnung; das Postulat,
daß die Gebote des Rechts gegebenenfalls erzwungen werden
müssen, findet hier seine Grenze (vgl. unten S. 271). Aber wenn
die Rechtsordnung darauf verzichten muß, die oberste Vollzie-
hungsbehörde (etwa die Regierung) zur Erfüllung ihrer Pflicht
zu zwingen, so geschieht es nicht, weil sie den Zwang nicht
weiter sichern will, sondern weil sie ihn nicht weiter sichern kann.

Aber diese Zwangsorganisation darf nicht nur auf dem Papier
stehen; es genügt nicht, daß alle organisatorischen Vorschriften
bis ins einzelne getroffen und alle Organe vorgesehen seien; die
vorgesehenen Instanzen müssen auch durch Menschen besetzt
sein, welche gewillt sind, die Rechtsordnung zu verwirklichen,
und die tatsächlich, in ihrer Gesamtheit, die Macht haben, ihre
Befehle zu erzwingen1; eine Macht, die größer ist als jede andere

sische Macht in jedem einzelnen Fall vorhanden sein müsse, um den Cha-
rakter der Rechtsnorm zu wahren" besser: um der ganzen Ordnung den
Charakter der Rechtsordnung zu wahren.
1 Vgl. darüber auch Schuppe, Gewohnheitsrecht 88; Löning, Über
Wurzel und Wesen des Rechts 37; E. Huber, Recht und Rechtsverwirk-
lichung, 30; Duguit, L'Etat, le droit objectif et la loi positive I 243: "Les
gouvernants ont toujours ete, sont et serons toujours les plus forts en fait."
Nur darf in diesem begrifflichen Kriterium der Geltung nicht ihre Recht-
fertigung erblickt werden, wie das vielfach geschieht; Jeze, Principes gener.,
3. A. (1925) 31; Zitelmann a. a. O. 458; Harum, Von der Entstehung des
Rechts (1863) 9, 14, und namentlich die gedankenreiche Rede von v. Stint-
zing,
Macht und Recht (1876): "So finden wir also für den Begriff des
Rechts als notwendiges Element die zwingende Kraft; wir fordern, daß
die Macht sich mit ihm verbinde, dann erst können wir von dem Dasein
eines geltenden Rechtssatzes reden" (S. 9). Ein Anklang an unseren Ge-
danken findet sich auch bei Darmstaedter, Recht und Rechtsordnung
(1925) 52, 63 ff., und bei Geny, Science et technique 4 255; Leibholz,
II. Teil. Die staatliche Verfassung.

Die Frage ist nicht, ob ein lückenloser Zwangsapparat ge-
baut werden könne. Man kann sogar ruhig zugeben, daß das
nicht möglich ist: der Obere wird immer befugt sein, den Unteren
zu zwingen; aber denjenigen, der auf der obersten Sproße der
Kompetenzleiter steht, kann schließlich niemand mehr zwingen.
Die Zuständigkeitsordnung bleibt hier notwendigerweise unvoll-
ständig (ganz abgesehen von der Frage, ob alle Organe dieser
Hierarchie von der Zuständigkeit, die sie haben, tatsächlich Ge-
brauch machen können und wollen). Das ist eine notwendige
Unvollkommenheit jeder positiven Rechtsordnung; das Postulat,
daß die Gebote des Rechts gegebenenfalls erzwungen werden
müssen, findet hier seine Grenze (vgl. unten S. 271). Aber wenn
die Rechtsordnung darauf verzichten muß, die oberste Vollzie-
hungsbehörde (etwa die Regierung) zur Erfüllung ihrer Pflicht
zu zwingen, so geschieht es nicht, weil sie den Zwang nicht
weiter sichern will, sondern weil sie ihn nicht weiter sichern kann.

Aber diese Zwangsorganisation darf nicht nur auf dem Papier
stehen; es genügt nicht, daß alle organisatorischen Vorschriften
bis ins einzelne getroffen und alle Organe vorgesehen seien; die
vorgesehenen Instanzen müssen auch durch Menschen besetzt
sein, welche gewillt sind, die Rechtsordnung zu verwirklichen,
und die tatsächlich, in ihrer Gesamtheit, die Macht haben, ihre
Befehle zu erzwingen1; eine Macht, die größer ist als jede andere

sische Macht in jedem einzelnen Fall vorhanden sein müsse, um den Cha-
rakter der Rechtsnorm zu wahren“ besser: um der ganzen Ordnung den
Charakter der Rechtsordnung zu wahren.
1 Vgl. darüber auch Schuppe, Gewohnheitsrecht 88; Löning, Über
Wurzel und Wesen des Rechts 37; E. Huber, Recht und Rechtsverwirk-
lichung, 30; Duguit, L'Etat, le droit objectif et la loi positive I 243: „Les
gouvernants ont toujours été, sont et serons toujours les plus forts en fait.“
Nur darf in diesem begrifflichen Kriterium der Geltung nicht ihre Recht-
fertigung erblickt werden, wie das vielfach geschieht; Jèze, Principes génér.,
3. A. (1925) 31; Zitelmann a. a. O. 458; Harum, Von der Entstehung des
Rechts (1863) 9, 14, und namentlich die gedankenreiche Rede von v. Stint-
zing,
Macht und Recht (1876): „So finden wir also für den Begriff des
Rechts als notwendiges Element die zwingende Kraft; wir fordern, daß
die Macht sich mit ihm verbinde, dann erst können wir von dem Dasein
eines geltenden Rechtssatzes reden“ (S. 9). Ein Anklang an unseren Ge-
danken findet sich auch bei Darmstaedter, Recht und Rechtsordnung
(1925) 52, 63 ff., und bei Gény, Science et technique 4 255; Leibholz,
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[174/0189] II. Teil. Die staatliche Verfassung. Die Frage ist nicht, ob ein lückenloser Zwangsapparat ge- baut werden könne. Man kann sogar ruhig zugeben, daß das nicht möglich ist: der Obere wird immer befugt sein, den Unteren zu zwingen; aber denjenigen, der auf der obersten Sproße der Kompetenzleiter steht, kann schließlich niemand mehr zwingen. Die Zuständigkeitsordnung bleibt hier notwendigerweise unvoll- ständig (ganz abgesehen von der Frage, ob alle Organe dieser Hierarchie von der Zuständigkeit, die sie haben, tatsächlich Ge- brauch machen können und wollen). Das ist eine notwendige Unvollkommenheit jeder positiven Rechtsordnung; das Postulat, daß die Gebote des Rechts gegebenenfalls erzwungen werden müssen, findet hier seine Grenze (vgl. unten S. 271). Aber wenn die Rechtsordnung darauf verzichten muß, die oberste Vollzie- hungsbehörde (etwa die Regierung) zur Erfüllung ihrer Pflicht zu zwingen, so geschieht es nicht, weil sie den Zwang nicht weiter sichern will, sondern weil sie ihn nicht weiter sichern kann. Aber diese Zwangsorganisation darf nicht nur auf dem Papier stehen; es genügt nicht, daß alle organisatorischen Vorschriften bis ins einzelne getroffen und alle Organe vorgesehen seien; die vorgesehenen Instanzen müssen auch durch Menschen besetzt sein, welche gewillt sind, die Rechtsordnung zu verwirklichen, und die tatsächlich, in ihrer Gesamtheit, die Macht haben, ihre Befehle zu erzwingen 1; eine Macht, die größer ist als jede andere 3 1 Vgl. darüber auch Schuppe, Gewohnheitsrecht 88; Löning, Über Wurzel und Wesen des Rechts 37; E. Huber, Recht und Rechtsverwirk- lichung, 30; Duguit, L'Etat, le droit objectif et la loi positive I 243: „Les gouvernants ont toujours été, sont et serons toujours les plus forts en fait.“ Nur darf in diesem begrifflichen Kriterium der Geltung nicht ihre Recht- fertigung erblickt werden, wie das vielfach geschieht; Jèze, Principes génér., 3. A. (1925) 31; Zitelmann a. a. O. 458; Harum, Von der Entstehung des Rechts (1863) 9, 14, und namentlich die gedankenreiche Rede von v. Stint- zing, Macht und Recht (1876): „So finden wir also für den Begriff des Rechts als notwendiges Element die zwingende Kraft; wir fordern, daß die Macht sich mit ihm verbinde, dann erst können wir von dem Dasein eines geltenden Rechtssatzes reden“ (S. 9). Ein Anklang an unseren Ge- danken findet sich auch bei Darmstaedter, Recht und Rechtsordnung (1925) 52, 63 ff., und bei Gény, Science et technique 4 255; Leibholz, 3 sische Macht in jedem einzelnen Fall vorhanden sein müsse, um den Cha- rakter der Rechtsnorm zu wahren“ besser: um der ganzen Ordnung den Charakter der Rechtsordnung zu wahren.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/189>, abgerufen am 25.11.2024.