Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.Der Bundesstaat. ordnung setzt den anderen voraus, und muß auf diesen abgestimmtsein, wenn beide ein vernünftiges, einheitliches Ganzes bilden sollen. Es geht nicht an, daß die eine Organisation (wie es die Schweizerische Bundesverfassung vorsieht) etwa das Strafgesetz- buch erläßt und die anderen frei sein soll, darüber zu entscheiden, ob sie Gerichte und eine Kriminalpolizei einsetzen wolle; denn die Strafgesetzgebung ohne Gerichte und ohne Polizei wäre ein un- vollständiges, sinnloses Bruchstück. Es geht nicht an, daß der Gesamtstaat als der Ordner des Zivilrechts das Grundeigentum oder die Vertragschließung ordne und der Gliedstaat als der für das öffentliche Recht zuständige den Grund und Boden verstaatlichte oder gewisse Verträge, zwar nicht ungültig erklärte, aber zu schließen verböte, und so die privatrechtlichen Institute des Grundeigentums und der betreffenden Vertragsformen unanwendbar machte. Der eine kann nicht das Zollrecht ordnen ohne auf die Kosten der Lebenshaltung einzuwirken und damit den anderen, dem die soziale Fürsorge und das Steuerrecht obliegt, in Mitleidenschaft zu ziehen. Die Ordnung der Steuerpflicht und der Armenunter- stützung setzen wiederum nebst anderem eine bestimmte Ordnung der Familie, der Handelsgesellschaften, des Kredites und Geld- verkehres voraus. Kurz, kein Gebiet rechtlicher Ordnung kann in klarbewußter Weise geregelt werden, wenn es nicht in den Rahmen einer bestimmten Ordnung der übrigen Gebiete gestellt werden kann; denn je nach der Ordnung dieser anderen Gebiete wird auch die jenes ersten so oder anders wirken; ja, sie ist ohne die anderen nicht möglich und sie dient selbst wieder der anderen zur notwendigen Ergänzung1. Wie jede Teilordnung andere voraus- setzt, so muß jede im Hinblick auf ein bestimmtes Ganzes ent- worfen werden; jede Teilordnung kann ihre Aufgabe nur im Hinblick auf einen einheitlichen Gesamtplan lösen. Wenn die einen Aufgaben vom Gesamtstaat, die anderen von den Glied- staaten zu erfüllen sind, so muß also der eine den anderen berück- sichtigen. Nun kann gewiß der Gesamtstaat den gliedstaatlichen Einrichtungen Rechnung tragen, wo sie eine gewisse Einheitlich- keit haben; aber grundsätzlich, unter allen Umständen, kann er es nicht, weil die eine Gesamtorganisation sich nicht verschie- 1 Vgl. Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. A., I 63.
Der Bundesstaat. ordnung setzt den anderen voraus, und muß auf diesen abgestimmtsein, wenn beide ein vernünftiges, einheitliches Ganzes bilden sollen. Es geht nicht an, daß die eine Organisation (wie es die Schweizerische Bundesverfassung vorsieht) etwa das Strafgesetz- buch erläßt und die anderen frei sein soll, darüber zu entscheiden, ob sie Gerichte und eine Kriminalpolizei einsetzen wolle; denn die Strafgesetzgebung ohne Gerichte und ohne Polizei wäre ein un- vollständiges, sinnloses Bruchstück. Es geht nicht an, daß der Gesamtstaat als der Ordner des Zivilrechts das Grundeigentum oder die Vertragschließung ordne und der Gliedstaat als der für das öffentliche Recht zuständige den Grund und Boden verstaatlichte oder gewisse Verträge, zwar nicht ungültig erklärte, aber zu schließen verböte, und so die privatrechtlichen Institute des Grundeigentums und der betreffenden Vertragsformen unanwendbar machte. Der eine kann nicht das Zollrecht ordnen ohne auf die Kosten der Lebenshaltung einzuwirken und damit den anderen, dem die soziale Fürsorge und das Steuerrecht obliegt, in Mitleidenschaft zu ziehen. Die Ordnung der Steuerpflicht und der Armenunter- stützung setzen wiederum nebst anderem eine bestimmte Ordnung der Familie, der Handelsgesellschaften, des Kredites und Geld- verkehres voraus. Kurz, kein Gebiet rechtlicher Ordnung kann in klarbewußter Weise geregelt werden, wenn es nicht in den Rahmen einer bestimmten Ordnung der übrigen Gebiete gestellt werden kann; denn je nach der Ordnung dieser anderen Gebiete wird auch die jenes ersten so oder anders wirken; ja, sie ist ohne die anderen nicht möglich und sie dient selbst wieder der anderen zur notwendigen Ergänzung1. Wie jede Teilordnung andere voraus- setzt, so muß jede im Hinblick auf ein bestimmtes Ganzes ent- worfen werden; jede Teilordnung kann ihre Aufgabe nur im Hinblick auf einen einheitlichen Gesamtplan lösen. Wenn die einen Aufgaben vom Gesamtstaat, die anderen von den Glied- staaten zu erfüllen sind, so muß also der eine den anderen berück- sichtigen. Nun kann gewiß der Gesamtstaat den gliedstaatlichen Einrichtungen Rechnung tragen, wo sie eine gewisse Einheitlich- keit haben; aber grundsätzlich, unter allen Umständen, kann er es nicht, weil die eine Gesamtorganisation sich nicht verschie- 1 Vgl. Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. A., I 63.
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Der Bundesstaat.
ordnung setzt den anderen voraus, und muß auf diesen abgestimmt
sein, wenn beide ein vernünftiges, einheitliches Ganzes bilden
sollen. Es geht nicht an, daß die eine Organisation (wie es die
Schweizerische Bundesverfassung vorsieht) etwa das Strafgesetz-
buch erläßt und die anderen frei sein soll, darüber zu entscheiden,
ob sie Gerichte und eine Kriminalpolizei einsetzen wolle; denn die
Strafgesetzgebung ohne Gerichte und ohne Polizei wäre ein un-
vollständiges, sinnloses Bruchstück. Es geht nicht an, daß der
Gesamtstaat als der Ordner des Zivilrechts das Grundeigentum oder
die Vertragschließung ordne und der Gliedstaat als der für das
öffentliche Recht zuständige den Grund und Boden verstaatlichte
oder gewisse Verträge, zwar nicht ungültig erklärte, aber zu schließen
verböte, und so die privatrechtlichen Institute des Grundeigentums
und der betreffenden Vertragsformen unanwendbar machte. Der
eine kann nicht das Zollrecht ordnen ohne auf die Kosten der
Lebenshaltung einzuwirken und damit den anderen, dem die
soziale Fürsorge und das Steuerrecht obliegt, in Mitleidenschaft
zu ziehen. Die Ordnung der Steuerpflicht und der Armenunter-
stützung setzen wiederum nebst anderem eine bestimmte Ordnung
der Familie, der Handelsgesellschaften, des Kredites und Geld-
verkehres voraus. Kurz, kein Gebiet rechtlicher Ordnung kann in
klarbewußter Weise geregelt werden, wenn es nicht in den Rahmen
einer bestimmten Ordnung der übrigen Gebiete gestellt werden
kann; denn je nach der Ordnung dieser anderen Gebiete wird
auch die jenes ersten so oder anders wirken; ja, sie ist ohne die
anderen nicht möglich und sie dient selbst wieder der anderen zur
notwendigen Ergänzung 1. Wie jede Teilordnung andere voraus-
setzt, so muß jede im Hinblick auf ein bestimmtes Ganzes ent-
worfen werden; jede Teilordnung kann ihre Aufgabe nur im
Hinblick auf einen einheitlichen Gesamtplan lösen. Wenn die
einen Aufgaben vom Gesamtstaat, die anderen von den Glied-
staaten zu erfüllen sind, so muß also der eine den anderen berück-
sichtigen. Nun kann gewiß der Gesamtstaat den gliedstaatlichen
Einrichtungen Rechnung tragen, wo sie eine gewisse Einheitlich-
keit haben; aber grundsätzlich, unter allen Umständen, kann er
es nicht, weil die eine Gesamtorganisation sich nicht verschie-
1 Vgl. Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. A., I 63.
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