souveräne Staaten geben, derart, daß der Bundesstaat z. B. aus einem souveränen Zentralstaat und nicht-souveränen Glied- staaten zusammengesetzt wäre, oder aus souveränen Glied- staaten, die zusammen einen nicht-souveränen Gesamtstaat bil- den würden.
Die ältere Doktrin, die von Waitz begründet worden ist, betrachtete die Souveränität als teilbar, oder genauer gesagt: sie meinte, die staatliche Hoheit könne inhaltlich auf zwei einander gleichgestellte staatliche Organismen verteilt werden, derart, daß zwei staatliche Persönlichkeiten, der Zentralstaat je mit einem der mehreren Gliedstaaten, gemeinsam und zu geteilten Rechten die Befugnisse, welche sonst den Inhalt einer Staatsgewalt ausmachen, ausübten, ungefähr wie zwei Gesellschafter sich in die Verwaltung eines geschäftlichen Unternehmens teilen oder die zwei römischen Konsuln ihr Amt nebeneinander ausübten1. Dieser Auffassung steht im Wege die Einheit des Staates, oder, wie man in etwas mystischer Weise sagte: die Unteilbarkeit der "Souveränität". Diese letztere Formel ist nicht klar, weil es nicht klar ist, was unter Souveränität hier zu verstehen ist: die Staatsgewalt, d. h. die Zuständigkeit des Staates zur Rechtsverwirklichung, oder eine Eigenschaft dieser Staatsgewalt, nämlich die höchste rechtliche Gewalt zu sein. Wenn die Souveränität im ersten Sinne unteilbar genannt wird, will das heißen, daß die Befugnisse, welche zur staat- lichen Aufgabe der Rechtsverwirklichung gehören, nicht inhaltlich unter zwei voneinander unabhängige Organisationen geteilt werden können; versteht man unter Souveränität die Eigenschaft der Staatsgewalt als der höchsten, so bezieht sich die Unteilbarkeit nicht sowohl auf diese Eigenschaft selbst (da eine Eigenschaft weder teilbar noch unteilbar ist), als auf das Verhältnis zweier staatlicher Organisationen zueinander und will sagen, daß zwei staatliche Organisationen nicht beide die höchste sein können, oder besser: daß die beiden nicht gleich hoch sein können, sondern die eine der anderen übergeordnet sein muß. Beides kommt also im Grunde auf dieselbe Frage hinaus, ob zur Verwaltung der Auf- gabe des Staates zwei gleichgeordnete Organisationen berufen sein können; nur wird einmal die Unmöglichkeit damit begründet, daß
1 Ähnlicher Ansicht: U. Lampert, Das schweizerische Bundes- staatsrecht (1918) 13; Hausmann, im Archiv für öffentliches Recht 33 85.
Der Bundesstaat.
souveräne Staaten geben, derart, daß der Bundesstaat z. B. aus einem souveränen Zentralstaat und nicht-souveränen Glied- staaten zusammengesetzt wäre, oder aus souveränen Glied- staaten, die zusammen einen nicht-souveränen Gesamtstaat bil- den würden.
Die ältere Doktrin, die von Waitz begründet worden ist, betrachtete die Souveränität als teilbar, oder genauer gesagt: sie meinte, die staatliche Hoheit könne inhaltlich auf zwei einander gleichgestellte staatliche Organismen verteilt werden, derart, daß zwei staatliche Persönlichkeiten, der Zentralstaat je mit einem der mehreren Gliedstaaten, gemeinsam und zu geteilten Rechten die Befugnisse, welche sonst den Inhalt einer Staatsgewalt ausmachen, ausübten, ungefähr wie zwei Gesellschafter sich in die Verwaltung eines geschäftlichen Unternehmens teilen oder die zwei römischen Konsuln ihr Amt nebeneinander ausübten1. Dieser Auffassung steht im Wege die Einheit des Staates, oder, wie man in etwas mystischer Weise sagte: die Unteilbarkeit der „Souveränität“. Diese letztere Formel ist nicht klar, weil es nicht klar ist, was unter Souveränität hier zu verstehen ist: die Staatsgewalt, d. h. die Zuständigkeit des Staates zur Rechtsverwirklichung, oder eine Eigenschaft dieser Staatsgewalt, nämlich die höchste rechtliche Gewalt zu sein. Wenn die Souveränität im ersten Sinne unteilbar genannt wird, will das heißen, daß die Befugnisse, welche zur staat- lichen Aufgabe der Rechtsverwirklichung gehören, nicht inhaltlich unter zwei voneinander unabhängige Organisationen geteilt werden können; versteht man unter Souveränität die Eigenschaft der Staatsgewalt als der höchsten, so bezieht sich die Unteilbarkeit nicht sowohl auf diese Eigenschaft selbst (da eine Eigenschaft weder teilbar noch unteilbar ist), als auf das Verhältnis zweier staatlicher Organisationen zueinander und will sagen, daß zwei staatliche Organisationen nicht beide die höchste sein können, oder besser: daß die beiden nicht gleich hoch sein können, sondern die eine der anderen übergeordnet sein muß. Beides kommt also im Grunde auf dieselbe Frage hinaus, ob zur Verwaltung der Auf- gabe des Staates zwei gleichgeordnete Organisationen berufen sein können; nur wird einmal die Unmöglichkeit damit begründet, daß
1 Ähnlicher Ansicht: U. Lampert, Das schweizerische Bundes- staatsrecht (1918) 13; Hausmann, im Archiv für öffentliches Recht 33 85.
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Der Bundesstaat.
souveräne Staaten geben, derart, daß der Bundesstaat z. B.
aus einem souveränen Zentralstaat und nicht-souveränen Glied-
staaten zusammengesetzt wäre, oder aus souveränen Glied-
staaten, die zusammen einen nicht-souveränen Gesamtstaat bil-
den würden.
Die ältere Doktrin, die von Waitz begründet worden ist,
betrachtete die Souveränität als teilbar, oder genauer gesagt:
sie meinte, die staatliche Hoheit könne inhaltlich auf zwei einander
gleichgestellte staatliche Organismen verteilt werden, derart, daß
zwei staatliche Persönlichkeiten, der Zentralstaat je mit einem der
mehreren Gliedstaaten, gemeinsam und zu geteilten Rechten die
Befugnisse, welche sonst den Inhalt einer Staatsgewalt ausmachen,
ausübten, ungefähr wie zwei Gesellschafter sich in die Verwaltung
eines geschäftlichen Unternehmens teilen oder die zwei römischen
Konsuln ihr Amt nebeneinander ausübten 1. Dieser Auffassung
steht im Wege die Einheit des Staates, oder, wie man in etwas
mystischer Weise sagte: die Unteilbarkeit der „Souveränität“.
Diese letztere Formel ist nicht klar, weil es nicht klar ist, was
unter Souveränität hier zu verstehen ist: die Staatsgewalt, d. h.
die Zuständigkeit des Staates zur Rechtsverwirklichung, oder eine
Eigenschaft dieser Staatsgewalt, nämlich die höchste rechtliche
Gewalt zu sein. Wenn die Souveränität im ersten Sinne unteilbar
genannt wird, will das heißen, daß die Befugnisse, welche zur staat-
lichen Aufgabe der Rechtsverwirklichung gehören, nicht inhaltlich
unter zwei voneinander unabhängige Organisationen geteilt werden
können; versteht man unter Souveränität die Eigenschaft der
Staatsgewalt als der höchsten, so bezieht sich die Unteilbarkeit
nicht sowohl auf diese Eigenschaft selbst (da eine Eigenschaft
weder teilbar noch unteilbar ist), als auf das Verhältnis zweier
staatlicher Organisationen zueinander und will sagen, daß zwei
staatliche Organisationen nicht beide die höchste sein können,
oder besser: daß die beiden nicht gleich hoch sein können, sondern
die eine der anderen übergeordnet sein muß. Beides kommt also
im Grunde auf dieselbe Frage hinaus, ob zur Verwaltung der Auf-
gabe des Staates zwei gleichgeordnete Organisationen berufen sein
können; nur wird einmal die Unmöglichkeit damit begründet, daß
1 Ähnlicher Ansicht: U. Lampert, Das schweizerische Bundes-
staatsrecht (1918) 13; Hausmann, im Archiv für öffentliches Recht 33 85.
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/170>, abgerufen am 26.11.2024.
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