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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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II. Teil. Die staatliche Verfassung.
nur, man müsse sich die Verbindlichkeit des positiven staatlichen
Rechts durch die Annahme eines Vertrags erklären1. Daß das
erste nicht möglich ist, wurde soeben dargetan. Hätten die Natur-
rechtslehrer diese zweite rationelle Frage scharf ins Auge gefaßt,
so hätten sie gesehen, daß sie notwendig über die Annahme eines
Vertrags hinausführt und nicht klar gestellt ist. Der Vertrag ist
im logischen Sinne immer eine historische Tatsache, im Gegen-
satz zu einem vernunftnotwendigen Satz. Ob man annehme, das
Volk habe einmal in der Geschichte einen solchen Vertrag ge-
schlossen oder ob man jeden Volksgenossen einen besonderen
Vertrag abschließen lasse, das ist grundsätzlich gleichgültig; die
staatliche Ordnung ist in beiden Fällen nur verbindlich kraft einer
zufälligen Entschließung der Einzelnen und soll kraft dieser
gefaßten Entschließung endgültig verbindlich sein. Denn beides
gehört wesentlich zum Begriffe des Vertrages oder des Rechts-
geschäftes; sowohl die Freiheit der Eingehung wie die Unwider-
ruflichkeit des einmal Eingegangenen2. In einem grundsätzlichen
Gegensatz dazu steht aber allerdings die Auffassung, daß über-
haupt kein wirklicher Vertrag anzunehmen sei, weder ein
einziger, noch viele einzelne, wie es Kant annahm; wenn dem ein-
mal eingegangenen "Vertrag" vielmehr keine verbindliche Wir-
kung für die Zukunft zugeschrieben wird, derart, daß jeder nach
wie vor gleich frei bleibt, sich vom staatlichen Verbande zurück-
zuziehen, wie es Fichte3 meinte. Dann vermeidet man allerdings
die Widersprüche der historischen Auffassung des Vertrages, aber
man nimmt dem Vertrag auch alle Kraft, die Verbindlichkeit des
Staates zu erklären, weil er ja selbst nicht mehr verbindlich, also
auch kein Vertrag mehr ist. Entweder ist der "Vertrag" dann nur
eine präkaristische Zustimmung, in welchem Falle die staatliche

1 Vgl. Stammler, Rechts- und Staatstheorien der Neuzeit, 2. A.
(1925), 32.
2 So wie es versprochen worden ist. Nimmt man an, es seien im
Vertrage Vorbehalte gemacht worden, wie Gegenleistungen oder Be-
fristungen, von denen die Verbindlichkeit für den die Gesellschaft ein-
gehenden Einzelnen abhängt, so ist der Staat nicht endgültig gegründet
worden und kann gegebenenfalls vom Einzelnen wieder in Frage gestellt
werden.
3 Sämtliche Werke VI 147. Vgl. meine Ansprache im Schweizer.
Juristenverein von 1919. in Zeitschrift für schweizer. Recht 38 (1919) 576 ff.

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
nur, man müsse sich die Verbindlichkeit des positiven staatlichen
Rechts durch die Annahme eines Vertrags erklären1. Daß das
erste nicht möglich ist, wurde soeben dargetan. Hätten die Natur-
rechtslehrer diese zweite rationelle Frage scharf ins Auge gefaßt,
so hätten sie gesehen, daß sie notwendig über die Annahme eines
Vertrags hinausführt und nicht klar gestellt ist. Der Vertrag ist
im logischen Sinne immer eine historische Tatsache, im Gegen-
satz zu einem vernunftnotwendigen Satz. Ob man annehme, das
Volk habe einmal in der Geschichte einen solchen Vertrag ge-
schlossen oder ob man jeden Volksgenossen einen besonderen
Vertrag abschließen lasse, das ist grundsätzlich gleichgültig; die
staatliche Ordnung ist in beiden Fällen nur verbindlich kraft einer
zufälligen Entschließung der Einzelnen und soll kraft dieser
gefaßten Entschließung endgültig verbindlich sein. Denn beides
gehört wesentlich zum Begriffe des Vertrages oder des Rechts-
geschäftes; sowohl die Freiheit der Eingehung wie die Unwider-
ruflichkeit des einmal Eingegangenen2. In einem grundsätzlichen
Gegensatz dazu steht aber allerdings die Auffassung, daß über-
haupt kein wirklicher Vertrag anzunehmen sei, weder ein
einziger, noch viele einzelne, wie es Kant annahm; wenn dem ein-
mal eingegangenen „Vertrag“ vielmehr keine verbindliche Wir-
kung für die Zukunft zugeschrieben wird, derart, daß jeder nach
wie vor gleich frei bleibt, sich vom staatlichen Verbande zurück-
zuziehen, wie es Fichte3 meinte. Dann vermeidet man allerdings
die Widersprüche der historischen Auffassung des Vertrages, aber
man nimmt dem Vertrag auch alle Kraft, die Verbindlichkeit des
Staates zu erklären, weil er ja selbst nicht mehr verbindlich, also
auch kein Vertrag mehr ist. Entweder ist der „Vertrag“ dann nur
eine präkaristische Zustimmung, in welchem Falle die staatliche

1 Vgl. Stammler, Rechts- und Staatstheorien der Neuzeit, 2. A.
(1925), 32.
2 So wie es versprochen worden ist. Nimmt man an, es seien im
Vertrage Vorbehalte gemacht worden, wie Gegenleistungen oder Be-
fristungen, von denen die Verbindlichkeit für den die Gesellschaft ein-
gehenden Einzelnen abhängt, so ist der Staat nicht endgültig gegründet
worden und kann gegebenenfalls vom Einzelnen wieder in Frage gestellt
werden.
3 Sämtliche Werke VI 147. Vgl. meine Ansprache im Schweizer.
Juristenverein von 1919. in Zeitschrift für schweizer. Recht 38 (1919) 576 ff.
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[144/0159] II. Teil. Die staatliche Verfassung. nur, man müsse sich die Verbindlichkeit des positiven staatlichen Rechts durch die Annahme eines Vertrags erklären 1. Daß das erste nicht möglich ist, wurde soeben dargetan. Hätten die Natur- rechtslehrer diese zweite rationelle Frage scharf ins Auge gefaßt, so hätten sie gesehen, daß sie notwendig über die Annahme eines Vertrags hinausführt und nicht klar gestellt ist. Der Vertrag ist im logischen Sinne immer eine historische Tatsache, im Gegen- satz zu einem vernunftnotwendigen Satz. Ob man annehme, das Volk habe einmal in der Geschichte einen solchen Vertrag ge- schlossen oder ob man jeden Volksgenossen einen besonderen Vertrag abschließen lasse, das ist grundsätzlich gleichgültig; die staatliche Ordnung ist in beiden Fällen nur verbindlich kraft einer zufälligen Entschließung der Einzelnen und soll kraft dieser gefaßten Entschließung endgültig verbindlich sein. Denn beides gehört wesentlich zum Begriffe des Vertrages oder des Rechts- geschäftes; sowohl die Freiheit der Eingehung wie die Unwider- ruflichkeit des einmal Eingegangenen 2. In einem grundsätzlichen Gegensatz dazu steht aber allerdings die Auffassung, daß über- haupt kein wirklicher Vertrag anzunehmen sei, weder ein einziger, noch viele einzelne, wie es Kant annahm; wenn dem ein- mal eingegangenen „Vertrag“ vielmehr keine verbindliche Wir- kung für die Zukunft zugeschrieben wird, derart, daß jeder nach wie vor gleich frei bleibt, sich vom staatlichen Verbande zurück- zuziehen, wie es Fichte 3 meinte. Dann vermeidet man allerdings die Widersprüche der historischen Auffassung des Vertrages, aber man nimmt dem Vertrag auch alle Kraft, die Verbindlichkeit des Staates zu erklären, weil er ja selbst nicht mehr verbindlich, also auch kein Vertrag mehr ist. Entweder ist der „Vertrag“ dann nur eine präkaristische Zustimmung, in welchem Falle die staatliche 1 Vgl. Stammler, Rechts- und Staatstheorien der Neuzeit, 2. A. (1925), 32. 2 So wie es versprochen worden ist. Nimmt man an, es seien im Vertrage Vorbehalte gemacht worden, wie Gegenleistungen oder Be- fristungen, von denen die Verbindlichkeit für den die Gesellschaft ein- gehenden Einzelnen abhängt, so ist der Staat nicht endgültig gegründet worden und kann gegebenenfalls vom Einzelnen wieder in Frage gestellt werden. 3 Sämtliche Werke VI 147. Vgl. meine Ansprache im Schweizer. Juristenverein von 1919. in Zeitschrift für schweizer. Recht 38 (1919) 576 ff.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/159>, abgerufen am 25.11.2024.