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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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II. Teil. Die staatliche Verfassung.
system kann logisch als Organismus bezeichnet werden, sofern
man die Bewegung der Teile im ganzen als Ergebnis betrachtet1,
dessen Geschehen naturgesetzlich zu erklären ist durch bekannte
andere Vorgänge. Beides sind durch Zweckbeziehung hergestellte
Einheiten. Ob das Zusammenwirken dort im gegenseitigen Her-
vorbringen der Teile besteht (wie Stammler, Rechtsphilosophie,
S. 75, meint) oder einfach im Hervorbringen des Lebens, kann
hier dahingestellt bleiben, ebenso wie die Frage, ob das Heraus-
greifen eines solchen Ergebnisses und die Betrachtung desselben
als Zweck anderer Vorgänge (welche die Mittel dazu sind) nicht
willkürlich ist von einem rein naturwissenschaftlichen Standpunkt
aus (der nichts als Naturwissenschaft kennte), da für ihn doch
jeder Vorgang nur ein Glied einer unendlichen Kette und gleich-
wertig mit allen anderen ist.

Ganz anderer Art ist aber der Begriff des Organismus, der
Organisation, wie ihn die Gesellschafts-Wissenschaften verwenden.
Auch hier, und das ist das Gemeinsame mit dem naturwissen-
schaftlichen Begriff, werden Einzelne als Teile eines Ganzen, ver-
schiedene Vorgänge als zu einem gemeinsamen Endziel zusammen-
wirkend betrachtet. Aber das Ergebnis, als dessen Werkzeuge und
Mittel jene Einzelnen und Einzelvorgänge sich darstellen, das
dort kausalgesetzlich als die Wirkung tatsächlicher bedingender
Vorgänge erkannt wird, ist hier eine als Ziel vorgestellte, eine zu
wollende Wirkung, zu deren Verwirklichung Personen (die Atome
oder Zellen der ethischen Welt) nach bestimmten ethischen Ge-
setzen in bestimmter Weise beitragen sollen2. Wie es wider-

1 Hobhouse, Die metaphys. Staatslehre 148: "(Der Teile) wechsel-
seitige Bestimmung bildet den organischen Charakter, an dem jedes ge-
gebene Gebilde mehr oder weniger teilhaben kann." Vgl. auch Kurt
Riezler, Die Erforderlichkeit des Unmöglichen; Prolegomena z. e. Theorie
d. Politik, 1913, 39.
2 Daß hierin, in der Betrachtung unter dem formellen Gesichtspunkt
einer ethischen Ordnung, die Eigenart der sozialen Betrachtung liegt, ist
das Verdienst Stammlers, ausführlich und überzeugend begründet zu
haben; im Gegensatz zu der alten und jetzt noch verbreiteten Auffassung,
wonach das gesellschaftliche Leben nur "höhere Integrationen und Differen-
zierungen der Stoffe und Kräfte der anorganischen Natur" sei, wie Schäffle,
Bau und Leben des sozialen Körpers I 9, sich ausdrückt; vgl. 828 ff., wonach
es also derselben Betrachtungsweise unterläge wie die Natur. Eine Über-

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
system kann logisch als Organismus bezeichnet werden, sofern
man die Bewegung der Teile im ganzen als Ergebnis betrachtet1,
dessen Geschehen naturgesetzlich zu erklären ist durch bekannte
andere Vorgänge. Beides sind durch Zweckbeziehung hergestellte
Einheiten. Ob das Zusammenwirken dort im gegenseitigen Her-
vorbringen der Teile besteht (wie Stammler, Rechtsphilosophie,
S. 75, meint) oder einfach im Hervorbringen des Lebens, kann
hier dahingestellt bleiben, ebenso wie die Frage, ob das Heraus-
greifen eines solchen Ergebnisses und die Betrachtung desselben
als Zweck anderer Vorgänge (welche die Mittel dazu sind) nicht
willkürlich ist von einem rein naturwissenschaftlichen Standpunkt
aus (der nichts als Naturwissenschaft kennte), da für ihn doch
jeder Vorgang nur ein Glied einer unendlichen Kette und gleich-
wertig mit allen anderen ist.

Ganz anderer Art ist aber der Begriff des Organismus, der
Organisation, wie ihn die Gesellschafts-Wissenschaften verwenden.
Auch hier, und das ist das Gemeinsame mit dem naturwissen-
schaftlichen Begriff, werden Einzelne als Teile eines Ganzen, ver-
schiedene Vorgänge als zu einem gemeinsamen Endziel zusammen-
wirkend betrachtet. Aber das Ergebnis, als dessen Werkzeuge und
Mittel jene Einzelnen und Einzelvorgänge sich darstellen, das
dort kausalgesetzlich als die Wirkung tatsächlicher bedingender
Vorgänge erkannt wird, ist hier eine als Ziel vorgestellte, eine zu
wollende Wirkung, zu deren Verwirklichung Personen (die Atome
oder Zellen der ethischen Welt) nach bestimmten ethischen Ge-
setzen in bestimmter Weise beitragen sollen2. Wie es wider-

1 Hobhouse, Die metaphys. Staatslehre 148: „(Der Teile) wechsel-
seitige Bestimmung bildet den organischen Charakter, an dem jedes ge-
gebene Gebilde mehr oder weniger teilhaben kann.“ Vgl. auch Kurt
Riezler, Die Erforderlichkeit des Unmöglichen; Prolegomena z. e. Theorie
d. Politik, 1913, 39.
2 Daß hierin, in der Betrachtung unter dem formellen Gesichtspunkt
einer ethischen Ordnung, die Eigenart der sozialen Betrachtung liegt, ist
das Verdienst Stammlers, ausführlich und überzeugend begründet zu
haben; im Gegensatz zu der alten und jetzt noch verbreiteten Auffassung,
wonach das gesellschaftliche Leben nur „höhere Integrationen und Differen-
zierungen der Stoffe und Kräfte der anorganischen Natur“ sei, wie Schäffle,
Bau und Leben des sozialen Körpers I 9, sich ausdrückt; vgl. 828 ff., wonach
es also derselben Betrachtungsweise unterläge wie die Natur. Eine Über-
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[120/0135] II. Teil. Die staatliche Verfassung. system kann logisch als Organismus bezeichnet werden, sofern man die Bewegung der Teile im ganzen als Ergebnis betrachtet 1, dessen Geschehen naturgesetzlich zu erklären ist durch bekannte andere Vorgänge. Beides sind durch Zweckbeziehung hergestellte Einheiten. Ob das Zusammenwirken dort im gegenseitigen Her- vorbringen der Teile besteht (wie Stammler, Rechtsphilosophie, S. 75, meint) oder einfach im Hervorbringen des Lebens, kann hier dahingestellt bleiben, ebenso wie die Frage, ob das Heraus- greifen eines solchen Ergebnisses und die Betrachtung desselben als Zweck anderer Vorgänge (welche die Mittel dazu sind) nicht willkürlich ist von einem rein naturwissenschaftlichen Standpunkt aus (der nichts als Naturwissenschaft kennte), da für ihn doch jeder Vorgang nur ein Glied einer unendlichen Kette und gleich- wertig mit allen anderen ist. Ganz anderer Art ist aber der Begriff des Organismus, der Organisation, wie ihn die Gesellschafts-Wissenschaften verwenden. Auch hier, und das ist das Gemeinsame mit dem naturwissen- schaftlichen Begriff, werden Einzelne als Teile eines Ganzen, ver- schiedene Vorgänge als zu einem gemeinsamen Endziel zusammen- wirkend betrachtet. Aber das Ergebnis, als dessen Werkzeuge und Mittel jene Einzelnen und Einzelvorgänge sich darstellen, das dort kausalgesetzlich als die Wirkung tatsächlicher bedingender Vorgänge erkannt wird, ist hier eine als Ziel vorgestellte, eine zu wollende Wirkung, zu deren Verwirklichung Personen (die Atome oder Zellen der ethischen Welt) nach bestimmten ethischen Ge- setzen in bestimmter Weise beitragen sollen 2. Wie es wider- 1 Hobhouse, Die metaphys. Staatslehre 148: „(Der Teile) wechsel- seitige Bestimmung bildet den organischen Charakter, an dem jedes ge- gebene Gebilde mehr oder weniger teilhaben kann.“ Vgl. auch Kurt Riezler, Die Erforderlichkeit des Unmöglichen; Prolegomena z. e. Theorie d. Politik, 1913, 39. 2 Daß hierin, in der Betrachtung unter dem formellen Gesichtspunkt einer ethischen Ordnung, die Eigenart der sozialen Betrachtung liegt, ist das Verdienst Stammlers, ausführlich und überzeugend begründet zu haben; im Gegensatz zu der alten und jetzt noch verbreiteten Auffassung, wonach das gesellschaftliche Leben nur „höhere Integrationen und Differen- zierungen der Stoffe und Kräfte der anorganischen Natur“ sei, wie Schäffle, Bau und Leben des sozialen Körpers I 9, sich ausdrückt; vgl. 828 ff., wonach es also derselben Betrachtungsweise unterläge wie die Natur. Eine Über-

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/135>, abgerufen am 24.11.2024.