Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.Die wohlerworbenen Rechte. z. B. Darlehen zu mehr als sechs Prozent Zinsen als wucherischund ungültig und wendet diesen Satz auf bestehende Verträge an: sie sollen also ungültig sein. Allein weiß der Gesetzgeber, welchen respektiven Wert die beiden Leistungen im einzelnen Fall für die Parteien haben? Wie kann er dann, ohne das zu wissen, das Verhältnis der Parteien zueinander, wie es nach Aufhebung des Vertrages sein soll, ordnen; z. B. die Frage, ob das erhaltene Darlehen mit oder ohne Zins oder ob bloß die Bereicherung oder gar nichts zurückzuerstatten sei? Rechtspolitisch, auf die Ge- samtheit der Fälle bezogen, mag eine dieser Lösungen gerechtfertigt sein. Viele solcher Darlehen beruhen vielleicht wirklich auf wuche- rischer Ausbeutung, aber auf den einzelnen Fall bezogen, juristisch betrachtet, wird jede Lösung zu Willkürlichkeiten führen, weil jeder einzelne Darlehensvertrag ein individuelles, eigenartiges Rechtsverhältnis ist. Wie kann der Gesetzgeber entscheiden, was jeder Partei, nach Auflösung des Verhältnisses gebührt, von Rechts wegen zukommt, wenn die Parteien ihr Verhältnis nach subjektivem Ermessen gestalten konnten? wenn in unserem Beispiel der Darlehensnehmer, der 2000 zu drei Prozent erhalten hat, eine Darlehenspflicht für 1000 zu acht Prozent unterschreiben kann? oder wenn die 1000, die er zu acht Prozent erhalten hat, ihm 2000 wert waren? (Vgl. oben S. 39.) Der Gesetzgeber vermag wohl zu beurteilen, wie die Einrichtung der Zinsfreiheit sich be- währt hat; aber wie die einzelnen individuellen Darlehensverhält- nisse billigerweise zu liquidieren seien, kann er nicht beurteilen und wird sich auch nicht einheitlich, abstrakt, beurteilen lassen. Was in subjektiver Willkür gestaltet worden ist, kann folge- des Berechtigten geworden seien; z. B. v. Gabba, Teoria I 190, 206 ff. (vgl. unten S. 97); der privatrechtliche Charakter ist das Entscheidende. 1 Besonders stark betont von Lassalle, System der erworbenen
Rechte I 56 ff.: Der Wille des Individuums wird nachträglich "entstellt und in einen anderen umgewandelt". Lassalle vermengt aber Richtiges und Unrichtiges. Die wohlerworbenen Rechte. z. B. Darlehen zu mehr als sechs Prozent Zinsen als wucherischund ungültig und wendet diesen Satz auf bestehende Verträge an: sie sollen also ungültig sein. Allein weiß der Gesetzgeber, welchen respektiven Wert die beiden Leistungen im einzelnen Fall für die Parteien haben? Wie kann er dann, ohne das zu wissen, das Verhältnis der Parteien zueinander, wie es nach Aufhebung des Vertrages sein soll, ordnen; z. B. die Frage, ob das erhaltene Darlehen mit oder ohne Zins oder ob bloß die Bereicherung oder gar nichts zurückzuerstatten sei? Rechtspolitisch, auf die Ge- samtheit der Fälle bezogen, mag eine dieser Lösungen gerechtfertigt sein. Viele solcher Darlehen beruhen vielleicht wirklich auf wuche- rischer Ausbeutung, aber auf den einzelnen Fall bezogen, juristisch betrachtet, wird jede Lösung zu Willkürlichkeiten führen, weil jeder einzelne Darlehensvertrag ein individuelles, eigenartiges Rechtsverhältnis ist. Wie kann der Gesetzgeber entscheiden, was jeder Partei, nach Auflösung des Verhältnisses gebührt, von Rechts wegen zukommt, wenn die Parteien ihr Verhältnis nach subjektivem Ermessen gestalten konnten? wenn in unserem Beispiel der Darlehensnehmer, der 2000 zu drei Prozent erhalten hat, eine Darlehenspflicht für 1000 zu acht Prozent unterschreiben kann? oder wenn die 1000, die er zu acht Prozent erhalten hat, ihm 2000 wert waren? (Vgl. oben S. 39.) Der Gesetzgeber vermag wohl zu beurteilen, wie die Einrichtung der Zinsfreiheit sich be- währt hat; aber wie die einzelnen individuellen Darlehensverhält- nisse billigerweise zu liquidieren seien, kann er nicht beurteilen und wird sich auch nicht einheitlich, abstrakt, beurteilen lassen. Was in subjektiver Willkür gestaltet worden ist, kann folge- des Berechtigten geworden seien; z. B. v. Gabba, Teoria I 190, 206 ff. (vgl. unten S. 97); der privatrechtliche Charakter ist das Entscheidende. 1 Besonders stark betont von Lassalle, System der erworbenen
Rechte I 56 ff.: Der Wille des Individuums wird nachträglich „entstellt und in einen anderen umgewandelt“. Lassalle vermengt aber Richtiges und Unrichtiges. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0110" n="95"/><fw place="top" type="header">Die wohlerworbenen Rechte.</fw><lb/> z. B. Darlehen zu mehr als sechs Prozent Zinsen als wucherisch<lb/> und ungültig und wendet diesen Satz auf bestehende Verträge<lb/> an: sie sollen also ungültig sein. Allein weiß der Gesetzgeber,<lb/> welchen respektiven Wert die beiden Leistungen im einzelnen<lb/> Fall für die Parteien haben? Wie kann er dann, ohne das zu wissen,<lb/> das Verhältnis der Parteien zueinander, wie es nach Aufhebung<lb/> des Vertrages sein soll, ordnen; z. B. die Frage, ob das erhaltene<lb/> Darlehen mit oder ohne Zins oder ob bloß die Bereicherung oder<lb/> gar nichts zurückzuerstatten sei? Rechtspolitisch, auf die Ge-<lb/> samtheit der Fälle bezogen, mag eine dieser Lösungen gerechtfertigt<lb/> sein. <hi rendition="#g">Viele</hi> solcher Darlehen beruhen vielleicht wirklich auf wuche-<lb/> rischer Ausbeutung, aber auf den einzelnen Fall bezogen, juristisch<lb/> betrachtet, wird jede Lösung zu Willkürlichkeiten führen, weil<lb/> jeder einzelne Darlehensvertrag ein individuelles, eigenartiges<lb/> Rechtsverhältnis ist. Wie kann der Gesetzgeber entscheiden,<lb/> was jeder Partei, nach Auflösung des Verhältnisses <hi rendition="#g">gebührt,</hi><lb/> von Rechts wegen <hi rendition="#g">zukommt,</hi> wenn die Parteien ihr Verhältnis<lb/> nach subjektivem Ermessen gestalten konnten? wenn in unserem<lb/> Beispiel der Darlehensnehmer, der 2000 zu drei Prozent erhalten<lb/> hat, eine Darlehenspflicht für 1000 zu acht Prozent unterschreiben<lb/> kann? oder wenn die 1000, die er zu acht Prozent erhalten hat,<lb/><hi rendition="#g">ihm</hi> 2000 wert waren? (Vgl. oben S. 39.) Der Gesetzgeber vermag<lb/> wohl zu beurteilen, wie die Einrichtung der Zinsfreiheit sich be-<lb/> währt hat; aber wie die einzelnen individuellen Darlehensverhält-<lb/> nisse billigerweise zu liquidieren seien, kann er nicht beurteilen<lb/> und wird sich auch nicht einheitlich, abstrakt, beurteilen lassen.</p><lb/> <p>Was in subjektiver Willkür gestaltet worden ist, kann folge-<lb/> richtigerweise nur so ausgeführt werden, wie es gerade gestaltet<lb/> worden ist. Deshalb kehrt die Meinung immer wieder, daß einmal<lb/> begründete (private) Rechtsverhältnisse so belassen werden müssen<lb/> wie sie sind<note place="foot" n="1">Besonders stark betont von <hi rendition="#g">Lassalle</hi>, System der erworbenen<lb/> Rechte I 56 ff.: Der Wille des Individuums wird nachträglich „entstellt<lb/> und in einen anderen umgewandelt“. Lassalle vermengt aber Richtiges und<lb/> Unrichtiges.</note>. Jede andere Regelung führt in der Tat zu logischen<lb/> Widersprüchen. Dieser Konflikt ist unvermeidlich, wenn grundsätz-<lb/><note xml:id="seg2pn_16_2" prev="#seg2pn_16_1" place="foot" n="2">des Berechtigten geworden seien; z. B. v. <hi rendition="#g">Gabba,</hi> Teoria I 190, 206 ff.<lb/> (vgl. unten S. 97); der privatrechtliche Charakter ist das Entscheidende.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [95/0110]
Die wohlerworbenen Rechte.
z. B. Darlehen zu mehr als sechs Prozent Zinsen als wucherisch
und ungültig und wendet diesen Satz auf bestehende Verträge
an: sie sollen also ungültig sein. Allein weiß der Gesetzgeber,
welchen respektiven Wert die beiden Leistungen im einzelnen
Fall für die Parteien haben? Wie kann er dann, ohne das zu wissen,
das Verhältnis der Parteien zueinander, wie es nach Aufhebung
des Vertrages sein soll, ordnen; z. B. die Frage, ob das erhaltene
Darlehen mit oder ohne Zins oder ob bloß die Bereicherung oder
gar nichts zurückzuerstatten sei? Rechtspolitisch, auf die Ge-
samtheit der Fälle bezogen, mag eine dieser Lösungen gerechtfertigt
sein. Viele solcher Darlehen beruhen vielleicht wirklich auf wuche-
rischer Ausbeutung, aber auf den einzelnen Fall bezogen, juristisch
betrachtet, wird jede Lösung zu Willkürlichkeiten führen, weil
jeder einzelne Darlehensvertrag ein individuelles, eigenartiges
Rechtsverhältnis ist. Wie kann der Gesetzgeber entscheiden,
was jeder Partei, nach Auflösung des Verhältnisses gebührt,
von Rechts wegen zukommt, wenn die Parteien ihr Verhältnis
nach subjektivem Ermessen gestalten konnten? wenn in unserem
Beispiel der Darlehensnehmer, der 2000 zu drei Prozent erhalten
hat, eine Darlehenspflicht für 1000 zu acht Prozent unterschreiben
kann? oder wenn die 1000, die er zu acht Prozent erhalten hat,
ihm 2000 wert waren? (Vgl. oben S. 39.) Der Gesetzgeber vermag
wohl zu beurteilen, wie die Einrichtung der Zinsfreiheit sich be-
währt hat; aber wie die einzelnen individuellen Darlehensverhält-
nisse billigerweise zu liquidieren seien, kann er nicht beurteilen
und wird sich auch nicht einheitlich, abstrakt, beurteilen lassen.
Was in subjektiver Willkür gestaltet worden ist, kann folge-
richtigerweise nur so ausgeführt werden, wie es gerade gestaltet
worden ist. Deshalb kehrt die Meinung immer wieder, daß einmal
begründete (private) Rechtsverhältnisse so belassen werden müssen
wie sie sind 1. Jede andere Regelung führt in der Tat zu logischen
Widersprüchen. Dieser Konflikt ist unvermeidlich, wenn grundsätz-
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1 Besonders stark betont von Lassalle, System der erworbenen
Rechte I 56 ff.: Der Wille des Individuums wird nachträglich „entstellt
und in einen anderen umgewandelt“. Lassalle vermengt aber Richtiges und
Unrichtiges.
2 des Berechtigten geworden seien; z. B. v. Gabba, Teoria I 190, 206 ff.
(vgl. unten S. 97); der privatrechtliche Charakter ist das Entscheidende.
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