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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Christliche Architektur. Basiliken.
[Abbildung]

Es wurde bereits erwähnt, dass die christliche Kirchenbaukunst
mehr oder weniger sich dem Vorbild der heidnischen Basiliken an-
schloss und die von den Tempeln genommenen Säulen zum Bau ihres
Innern benützte. Die grossen Modificationen, welche den eigenthüm-
lichen Werth der christlichen Basilica ausmachen, sind kurz folgende.

1) Das Innere der heidnischen Basilica war ein zwar länglicher,
aber auf allen vier Seiten von der Säulenhalle umgebener Raum oder
(unbedeckt gedacht) Hof; in der christlichen Kirche wird derselbe zu
einem bedeckten Mittelschiff, und die Halle zu zwei oder vier Seiten-
schiffen, während die Fortsetzung der Halle auf den Schmalseiten (vorn
und hinten) wegfällt oder nur vorn und dann in veränderter Bedeu-
tung, als innere Vorhalle, sich behauptet.

2) Die grosse hintere Nische (Apsis, Tribuna), einst durch die da-
vor hinlaufende Halle theilweise dem Auge entzogen, wird jetzt ge-
radezu das Ziel aller Augen, indem sich darin oder zunächst davor
der Altar erhebt. Die Längenperspective wird damit das Lebensprin-
cip der ganzen Basilica und damit der meisten abendländischen Kirchen
überhaupt.

3) In den wichtigern Basiliken entsteht vor der Nische ein Quer-
schiff von gleicher oder fast gleicher Höhe mit dem Hauptschiff, zur
Aufnahme bestimmter Classen von Anwesenden (Geistliche, Beamte,
Matronen etc.). Ein besonderer grosser Bogen (der Triumphbogen)
auf Säulen bildet den Übergang aus dem Hauptschiff ins Querschiff.

4) Die Errichtung eines obern Stockwerkes, in den heidnischen
Basiliken beinahe Regel, wird hier zur Ausnahme (S. Agnese, S. Lo-
renzo fuori le mura, SS. Quattro Coronati in Rom). Die Obermauer

Christliche Architektur. Basiliken.
[Abbildung]

Es wurde bereits erwähnt, dass die christliche Kirchenbaukunst
mehr oder weniger sich dem Vorbild der heidnischen Basiliken an-
schloss und die von den Tempeln genommenen Säulen zum Bau ihres
Innern benützte. Die grossen Modificationen, welche den eigenthüm-
lichen Werth der christlichen Basilica ausmachen, sind kurz folgende.

1) Das Innere der heidnischen Basilica war ein zwar länglicher,
aber auf allen vier Seiten von der Säulenhalle umgebener Raum oder
(unbedeckt gedacht) Hof; in der christlichen Kirche wird derselbe zu
einem bedeckten Mittelschiff, und die Halle zu zwei oder vier Seiten-
schiffen, während die Fortsetzung der Halle auf den Schmalseiten (vorn
und hinten) wegfällt oder nur vorn und dann in veränderter Bedeu-
tung, als innere Vorhalle, sich behauptet.

2) Die grosse hintere Nische (Apsis, Tribuna), einst durch die da-
vor hinlaufende Halle theilweise dem Auge entzogen, wird jetzt ge-
radezu das Ziel aller Augen, indem sich darin oder zunächst davor
der Altar erhebt. Die Längenperspective wird damit das Lebensprin-
cip der ganzen Basilica und damit der meisten abendländischen Kirchen
überhaupt.

3) In den wichtigern Basiliken entsteht vor der Nische ein Quer-
schiff von gleicher oder fast gleicher Höhe mit dem Hauptschiff, zur
Aufnahme bestimmter Classen von Anwesenden (Geistliche, Beamte,
Matronen etc.). Ein besonderer grosser Bogen (der Triumphbogen)
auf Säulen bildet den Übergang aus dem Hauptschiff ins Querschiff.

4) Die Errichtung eines obern Stockwerkes, in den heidnischen
Basiliken beinahe Regel, wird hier zur Ausnahme (S. Agnese, S. Lo-
renzo fuori le mura, SS. Quattro Coronati in Rom). Die Obermauer

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[74/0096] Christliche Architektur. Basiliken. [Abbildung] Es wurde bereits erwähnt, dass die christliche Kirchenbaukunst mehr oder weniger sich dem Vorbild der heidnischen Basiliken an- schloss und die von den Tempeln genommenen Säulen zum Bau ihres Innern benützte. Die grossen Modificationen, welche den eigenthüm- lichen Werth der christlichen Basilica ausmachen, sind kurz folgende. 1) Das Innere der heidnischen Basilica war ein zwar länglicher, aber auf allen vier Seiten von der Säulenhalle umgebener Raum oder (unbedeckt gedacht) Hof; in der christlichen Kirche wird derselbe zu einem bedeckten Mittelschiff, und die Halle zu zwei oder vier Seiten- schiffen, während die Fortsetzung der Halle auf den Schmalseiten (vorn und hinten) wegfällt oder nur vorn und dann in veränderter Bedeu- tung, als innere Vorhalle, sich behauptet. 2) Die grosse hintere Nische (Apsis, Tribuna), einst durch die da- vor hinlaufende Halle theilweise dem Auge entzogen, wird jetzt ge- radezu das Ziel aller Augen, indem sich darin oder zunächst davor der Altar erhebt. Die Längenperspective wird damit das Lebensprin- cip der ganzen Basilica und damit der meisten abendländischen Kirchen überhaupt. 3) In den wichtigern Basiliken entsteht vor der Nische ein Quer- schiff von gleicher oder fast gleicher Höhe mit dem Hauptschiff, zur Aufnahme bestimmter Classen von Anwesenden (Geistliche, Beamte, Matronen etc.). Ein besonderer grosser Bogen (der Triumphbogen) auf Säulen bildet den Übergang aus dem Hauptschiff ins Querschiff. 4) Die Errichtung eines obern Stockwerkes, in den heidnischen Basiliken beinahe Regel, wird hier zur Ausnahme (S. Agnese, S. Lo- renzo fuori le mura, SS. Quattro Coronati in Rom). Die Obermauer

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/96>, abgerufen am 05.12.2024.