Von Nicol. Manuel, Martin Schaffner und Hans Baldung ist mir mit Wissen kein Bild vorgekommen. Dagegen hat der grosse Hans Holbein d. J. mit Dürer und Lucas das Schicksal gehabt, ein Col- lectivname zu werden.
Zuerst ist ein Bild zu nennen, welches gerade seinen Namen nicht aträgt, sondern als "Ignoto Tedesco" in einem der deutschen Säle der Uffizien hängt: der Gekreuzigte (in diagonaler Richtung gestellt) mit Maria, Johannes, Magdalena und der Donatorenfamilie in einer Land- schaft. Wenn die Innenbilder des Altarwerkes der Universitätscapelle im Freiburger Münster von H. sind, so gehört ihm auch dieses fleis- sige, namentlich in der untern Gruppe höchst bedeutende Werk an. Freie, glückliche Anordnung, lebensvolle Modellirung, tiefer Ausdruck.
b
Dann unter seinem Namen in den Uffizien: 1) das echte, voll- endet treffliche Porträt des 33jährigen Richard Southwell (1528); -- 2) der vielleicht echte, licht gemalte Greisenkopf mit flachsweissem Zwickelbart (wovon eine befangenere, fleissige Copie in der Galerie cBrignole zu Genua unter dem Namen Luca d'Olanda); -- 3) das sehr zweifelhafte kleinere Porträt eines halb schielenden Mannes auf rothem Grunde, jedenfalls erst um 1550; -- 4) zwei kleine Porträts, Mann und Frau, von irgend einem Niederländer; -- 5) das Miniaturbild Franz I im Harnisch, zu Pferde, in der Art des Clouet, gen. Janet (von dessen Styl auch sonst 1) Mehreres, nicht selten unter Holbeins Namen vorkömmt); -- 6) das eigene Porträt Holbeins in der Maler- sammlung (d. h. ein mit Kohle und Stiften gezeichneter, mit wenigen Farben getuschter Kopf auf einem Blättchen Papier, welches später in ein grösseres Blatt eingefasst, mit Goldgrund versehen und mit Zuthat eines rohen hellblaugrauen Kittels vollendet wurde. Ursprüng- lich wohl von Holbeins Hand, in der Art mehrerer der von Cham- berlaine herausgegebenen Köpfe; trotz aller Misshandlung und Firnis- sung sind z. B. die Partien um das linke Auge und der Mund noch herrlich. Aber das dargestellte Individuum mit den hellgrauen Augen, der viereckigen Gesichtsform und der brutalen Oberlippe ist nicht Holbein, die Inschrift modern).
1) Einiges z. B. im Pal. Pitti, auch zu Genua im Pal. Adorno etc.
Altniederländische und altdeutsche Meister.
Von Nicol. Manuel, Martin Schaffner und Hans Baldung ist mir mit Wissen kein Bild vorgekommen. Dagegen hat der grosse Hans Holbein d. J. mit Dürer und Lucas das Schicksal gehabt, ein Col- lectivname zu werden.
Zuerst ist ein Bild zu nennen, welches gerade seinen Namen nicht aträgt, sondern als „Ignoto Tedesco“ in einem der deutschen Säle der Uffizien hängt: der Gekreuzigte (in diagonaler Richtung gestellt) mit Maria, Johannes, Magdalena und der Donatorenfamilie in einer Land- schaft. Wenn die Innenbilder des Altarwerkes der Universitätscapelle im Freiburger Münster von H. sind, so gehört ihm auch dieses fleis- sige, namentlich in der untern Gruppe höchst bedeutende Werk an. Freie, glückliche Anordnung, lebensvolle Modellirung, tiefer Ausdruck.
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Dann unter seinem Namen in den Uffizien: 1) das echte, voll- endet treffliche Porträt des 33jährigen Richard Southwell (1528); — 2) der vielleicht echte, licht gemalte Greisenkopf mit flachsweissem Zwickelbart (wovon eine befangenere, fleissige Copie in der Galerie cBrignole zu Genua unter dem Namen Luca d’Olanda); — 3) das sehr zweifelhafte kleinere Porträt eines halb schielenden Mannes auf rothem Grunde, jedenfalls erst um 1550; — 4) zwei kleine Porträts, Mann und Frau, von irgend einem Niederländer; — 5) das Miniaturbild Franz I im Harnisch, zu Pferde, in der Art des Clouet, gen. Janet (von dessen Styl auch sonst 1) Mehreres, nicht selten unter Holbeins Namen vorkömmt); — 6) das eigene Porträt Holbeins in der Maler- sammlung (d. h. ein mit Kohle und Stiften gezeichneter, mit wenigen Farben getuschter Kopf auf einem Blättchen Papier, welches später in ein grösseres Blatt eingefasst, mit Goldgrund versehen und mit Zuthat eines rohen hellblaugrauen Kittels vollendet wurde. Ursprüng- lich wohl von Holbeins Hand, in der Art mehrerer der von Cham- berlaine herausgegebenen Köpfe; trotz aller Misshandlung und Firnis- sung sind z. B. die Partien um das linke Auge und der Mund noch herrlich. Aber das dargestellte Individuum mit den hellgrauen Augen, der viereckigen Gesichtsform und der brutalen Oberlippe ist nicht Holbein, die Inschrift modern).
1) Einiges z. B. im Pal. Pitti, auch zu Genua im Pal. Adorno etc.
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[854/0876]
Altniederländische und altdeutsche Meister.
Von Nicol. Manuel, Martin Schaffner und Hans Baldung ist mir
mit Wissen kein Bild vorgekommen. Dagegen hat der grosse Hans
Holbein d. J. mit Dürer und Lucas das Schicksal gehabt, ein Col-
lectivname zu werden.
Zuerst ist ein Bild zu nennen, welches gerade seinen Namen nicht
trägt, sondern als „Ignoto Tedesco“ in einem der deutschen Säle der
Uffizien hängt: der Gekreuzigte (in diagonaler Richtung gestellt) mit
Maria, Johannes, Magdalena und der Donatorenfamilie in einer Land-
schaft. Wenn die Innenbilder des Altarwerkes der Universitätscapelle
im Freiburger Münster von H. sind, so gehört ihm auch dieses fleis-
sige, namentlich in der untern Gruppe höchst bedeutende Werk an.
Freie, glückliche Anordnung, lebensvolle Modellirung, tiefer Ausdruck.
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Dann unter seinem Namen in den Uffizien: 1) das echte, voll-
endet treffliche Porträt des 33jährigen Richard Southwell (1528); —
2) der vielleicht echte, licht gemalte Greisenkopf mit flachsweissem
Zwickelbart (wovon eine befangenere, fleissige Copie in der Galerie
Brignole zu Genua unter dem Namen Luca d’Olanda); — 3) das sehr
zweifelhafte kleinere Porträt eines halb schielenden Mannes auf rothem
Grunde, jedenfalls erst um 1550; — 4) zwei kleine Porträts, Mann
und Frau, von irgend einem Niederländer; — 5) das Miniaturbild
Franz I im Harnisch, zu Pferde, in der Art des Clouet, gen. Janet
(von dessen Styl auch sonst 1) Mehreres, nicht selten unter Holbeins
Namen vorkömmt); — 6) das eigene Porträt Holbeins in der Maler-
sammlung (d. h. ein mit Kohle und Stiften gezeichneter, mit wenigen
Farben getuschter Kopf auf einem Blättchen Papier, welches später
in ein grösseres Blatt eingefasst, mit Goldgrund versehen und mit
Zuthat eines rohen hellblaugrauen Kittels vollendet wurde. Ursprüng-
lich wohl von Holbeins Hand, in der Art mehrerer der von Cham-
berlaine herausgegebenen Köpfe; trotz aller Misshandlung und Firnis-
sung sind z. B. die Partien um das linke Auge und der Mund noch
herrlich. Aber das dargestellte Individuum mit den hellgrauen Augen,
der viereckigen Gesichtsform und der brutalen Oberlippe ist nicht
Holbein, die Inschrift modern).
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1) Einiges z. B. im Pal. Pitti, auch zu Genua im Pal. Adorno etc.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 854. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/876>, abgerufen am 18.12.2024.
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