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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Pietro Perugino.
wendigkeit oder Berechtigung haben? — Bisweilen überzeugt er; in
den meisten Fällen aber macht er uns eine ganz zweck- und ziellose
Rührung vor1). — Warum ist diess bei Fiesole anders? weil eine
starke persönliche Überzeugung dazwischentritt, die ihn nöthigt, den
höchsten Ausdruck immer so stark zu wiederholen, als er es irgend
vermag. — Warum ist bei den Robbia der Ausdruck immer frisch
und liebenswürdig? weil sie den Affect bei Seite lassen und im Be-
reich einer schönen Stimmung bleiben. — Was nähert den Perugino
einem Carlo Dolci? dass Beide einen wesentlich subjectiven, momen-
tanen, also nur für einmal gültigen Ausdruck perpetuiren.

Wir nennen nur die wichtigern seiner spätern Bilder.

In der vatican. Galerie: Die Madonna mit den vier Heiligen, viel-
leicht noch aus der schönen mittlern Zeit; die Auferstehung, grossen-
theils von Rafael ausgeführt.

Im Dom von Spello, links: eine (bezeichnete) Pietà; der Ausdruck
zumal im Johannes rein und schön hingehaucht.

In Perugia: Die Fresken in den beiden Räumen des sog. Cam-
bio, um 1500 von P. mit Hülfe des Ingegno gemalt, bei grosser Schön-
heit und Sorgfalt der Behandlung ein durchaus bezeichnendes Werk
für P.’s Ansicht von Geschmack der Peruginer; Nebeneinanderstellung
isolirter Gestalten auf derselben Linie, Gleichartigkeit des Charakters

1) Wir lassen die Frage ganz aus dem Spiel, ob Pietro selber jemals so ge-
fühlt hat wie seine Gestalten fühlen. Sie ist eine ganz unstatthafte und be-
einträchtigt die ewigen Rechte der Poesie. Auch als Atheist, wofür Vasari
ihn ausgiebt — trotz des Schriftröllchens mit dem „Timete Deum“ auf sei-
nem Porträt in den Uffizien — hätte Pietro seine Ekstasen malen dürfen und
sie könnten ganz wahr und gross sein; nur hätte ihn dabei eine innere poe-
tische Nöthigung bestimmen müssen. (Über die „Gesinnung“ des Künstlers
und Dichters cursiren mancherlei unklare Begriffe, wonach dieselbe z. B. da-
rin bestände, dass derselbe unaufhörlich sein Herz auf der Zunge trüge und
in jedem Werk möglichst vollständige Programme seines individuellen Den-
kens und Fühlens von sich gäbe. Er hat aber als Künstler und Dichter
gar keine andere Gesinnung nöthig als die sehr starke, welche dazu gehört,
um seinem Werk die grösstmögliche Vollkommenheit zu geben. Seine son-
stigen religiösen, sittlichen und politischen Überzeugungen sind seine persön-
liche Sache. Sie werden hie und da in seine Werke hineinklingen, aber nicht
deren Grundlage ausmachen.)
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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 835. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/857>, abgerufen am 22.12.2024.