vielleicht schon untergegangenen Deckenmalereien in den Angeli zu Murano, 34 Felder im Ganzen. (Die Kirche war 1854 unzugänglich.)
Marco Marziale, ein wenig bekannter Schüler Bellini's, hat mit einer ganz liebenswürdigen Gewissenhaftigkeit und mit der genre- ahaften Art etwa des Carpaccio auch ein Emmaus gemalt (1506, Aca- demie). Gehört vielleicht ihm die vom Jahr 1500 datirte vortreffliche bFusswaschung, welche im Pal. Manfrin Perugino heisst? oder eher dem Lombarden Gaudenzio Vinci?
Endlich Boccaccino da Cremona, in einem spätern Bilde c(thronende Mad. mit 4 Heiligen, in S. Giulian, 1. Alt. 1.) am meisten dem Cima verwandt, verräth früher, in einem höchst vollendeten und dkostbaren Bilde der Academie, eher den Schüler des L. Vivarini. Es ist eine im Freien sitzende Madonna mit 4 Heiligen; eines der frühsten und schönsten Beispiele desjenigen Typus der Santa conversazione mit knieenden und sitzenden ganzen Figuren in landschaftlicher Um- gebung, welcher später von Palma und Tizian mit Vorliebe aufge- enommen wurde. -- Eine Madonna mit Heiligen, in der Brera, ist wiederum spät (1532).
Ausser diesen grossen Werkstätten der Kunst in Florenz und Oberitalien kömmt im XV. Jahrh. keine Schule mehr vor, in welcher die Freude an der charakteristisch belebten Gestalt und an dem Reichthum menschlicher Bildungen sich ganz frei und grossartig ge- äussert hätte. Die von Florenz und Padua ausgegangenen Inspira- tionen zogen zwar alle Schulen mit sich, aber es fehlte an deren Grundlage: an den tiefen und angestrengten Formstudien.
So glaubte z. B. die Schule von Siena, von Domenico di Bartolo an, die neue Darstellungsweise ohne diese Prämissen mit- machen zu können, ahmte aber nur die florentinischen Äusserlichkeiten auf solch bodenlosem Grunde mit der unvermeidlichen Übertreibung fnach. Domenico's Fresken in einem Saal des Hospitals della Scala zu Siena (Stiftungsgeschichten und Werke der Barmherzigkeit), sind zwar frei von ganz rohem Ungeschick, allein nur durch Costüms und Bau-
Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig. Siena.
vielleicht schon untergegangenen Deckenmalereien in den Angeli zu Murano, 34 Felder im Ganzen. (Die Kirche war 1854 unzugänglich.)
Marco Marziale, ein wenig bekannter Schüler Bellini’s, hat mit einer ganz liebenswürdigen Gewissenhaftigkeit und mit der genre- ahaften Art etwa des Carpaccio auch ein Emmaus gemalt (1506, Aca- demie). Gehört vielleicht ihm die vom Jahr 1500 datirte vortreffliche bFusswaschung, welche im Pal. Manfrin Perugino heisst? oder eher dem Lombarden Gaudenzio Vinci?
Endlich Boccaccino da Cremona, in einem spätern Bilde c(thronende Mad. mit 4 Heiligen, in S. Giulian, 1. Alt. 1.) am meisten dem Cima verwandt, verräth früher, in einem höchst vollendeten und dkostbaren Bilde der Academie, eher den Schüler des L. Vivarini. Es ist eine im Freien sitzende Madonna mit 4 Heiligen; eines der frühsten und schönsten Beispiele desjenigen Typus der Santa conversazione mit knieenden und sitzenden ganzen Figuren in landschaftlicher Um- gebung, welcher später von Palma und Tizian mit Vorliebe aufge- enommen wurde. — Eine Madonna mit Heiligen, in der Brera, ist wiederum spät (1532).
Ausser diesen grossen Werkstätten der Kunst in Florenz und Oberitalien kömmt im XV. Jahrh. keine Schule mehr vor, in welcher die Freude an der charakteristisch belebten Gestalt und an dem Reichthum menschlicher Bildungen sich ganz frei und grossartig ge- äussert hätte. Die von Florenz und Padua ausgegangenen Inspira- tionen zogen zwar alle Schulen mit sich, aber es fehlte an deren Grundlage: an den tiefen und angestrengten Formstudien.
So glaubte z. B. die Schule von Siena, von Domenico di Bartolo an, die neue Darstellungsweise ohne diese Prämissen mit- machen zu können, ahmte aber nur die florentinischen Äusserlichkeiten auf solch bodenlosem Grunde mit der unvermeidlichen Übertreibung fnach. Domenico’s Fresken in einem Saal des Hospitals della Scala zu Siena (Stiftungsgeschichten und Werke der Barmherzigkeit), sind zwar frei von ganz rohem Ungeschick, allein nur durch Costüms und Bau-
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[830/0852]
Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig. Siena.
vielleicht schon untergegangenen Deckenmalereien in den Angeli zu
Murano, 34 Felder im Ganzen. (Die Kirche war 1854 unzugänglich.)
Marco Marziale, ein wenig bekannter Schüler Bellini’s, hat
mit einer ganz liebenswürdigen Gewissenhaftigkeit und mit der genre-
haften Art etwa des Carpaccio auch ein Emmaus gemalt (1506, Aca-
demie). Gehört vielleicht ihm die vom Jahr 1500 datirte vortreffliche
Fusswaschung, welche im Pal. Manfrin Perugino heisst? oder eher
dem Lombarden Gaudenzio Vinci?
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Endlich Boccaccino da Cremona, in einem spätern Bilde
(thronende Mad. mit 4 Heiligen, in S. Giulian, 1. Alt. 1.) am meisten
dem Cima verwandt, verräth früher, in einem höchst vollendeten und
kostbaren Bilde der Academie, eher den Schüler des L. Vivarini. Es
ist eine im Freien sitzende Madonna mit 4 Heiligen; eines der frühsten
und schönsten Beispiele desjenigen Typus der Santa conversazione
mit knieenden und sitzenden ganzen Figuren in landschaftlicher Um-
gebung, welcher später von Palma und Tizian mit Vorliebe aufge-
nommen wurde. — Eine Madonna mit Heiligen, in der Brera, ist
wiederum spät (1532).
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Ausser diesen grossen Werkstätten der Kunst in Florenz und
Oberitalien kömmt im XV. Jahrh. keine Schule mehr vor, in welcher
die Freude an der charakteristisch belebten Gestalt und an dem
Reichthum menschlicher Bildungen sich ganz frei und grossartig ge-
äussert hätte. Die von Florenz und Padua ausgegangenen Inspira-
tionen zogen zwar alle Schulen mit sich, aber es fehlte an deren
Grundlage: an den tiefen und angestrengten Formstudien.
So glaubte z. B. die Schule von Siena, von Domenico di
Bartolo an, die neue Darstellungsweise ohne diese Prämissen mit-
machen zu können, ahmte aber nur die florentinischen Äusserlichkeiten
auf solch bodenlosem Grunde mit der unvermeidlichen Übertreibung
nach. Domenico’s Fresken in einem Saal des Hospitals della Scala zu
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frei von ganz rohem Ungeschick, allein nur durch Costüms und Bau-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 830. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/852>, abgerufen am 18.12.2024.
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