Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig.
Stufen des Thrones mit ihrem Gesang, Lauten- und Geigenspiel sind
nur ein äusseres Symbol dieses wahrhaft musikalischen Gesammtin-
haltes. Da dieser Inhalt sich schon im Halbfigurenbild geltend machen
konnte, so entstanden hunderte auch von solchen, hauptsächlich für
die Privatandacht.

Aber nicht nur in der Anordnung der Charaktere zum Bilde,
sondern auch in der Auffassung der Einzelnen ist Giov. Bellini das
Vorbild aller andern, ihr Befreier geworden. Die Scala auf welcher
er sich bewegt, ist bei weitem die grösste. Er konnte burlesk sein
abei der Darstellung der classischen Götterwelt; das unschätzbare sog.
Bacchanal in der Sammlung Camuccini parodirt das Göttergelage zur
"Festa" italienischer Bauern 1). (Wo er der Allegorik seiner Zeit in
die Hände fiel, ist er, beiläufig gesagt, so absurd als irgend Einer;
bfünf kleine höchst saubere Bildchen in der Acad. von Venedig, etwa
zu vergleichen mit Pinturicchio's Allegorien im Pal. Torigiani zu Flo-
renz.) In den religiösen Bildern dagegen herrscht eine gleichmässige
cWürde und Milde. Das Bild in S. Giov. e Paolo zeigt in den weib-
lichen Heiligen ein herrliches Geschlecht reifer Jungfrauen, die noch
an Mantegna's heil. Eufemia erinnern. Die Engel am Throne sind
hier wie überall eifrig an ihre Musik hingegeben und völlig naiv,
was sie z. B. bei Francia und Perugino nicht immer sind. Sein spätes
dBild, in S. Giovanni Crisostomo, 1. Alt. r. (1513), enthält von seinen
ebesten männlichen Charakteren. (Seine schönsten nackten Bildungen
in dem grossen Altarblatt der Academie.) In der Madonna zeigt sich
bei ihm ein Fortschritt aus einem strengen und wenig beseelten Typus
f(z. B. das eine Bild in der Brera zu Mailand, mehrere in Venedig)
zu einem grossartig schönen, doch noch immer ernsten und auch im
Costüm idealen. Dieser vielleicht zum erstenmal vollendet reif in der
gMad. von 1487 (in der Academie) und in dem herrlichen Bilde in der
hSacristei der Frari (1488 2), dann in mehrern Werken der Academie,
ider Gal. Manfrin, der Sacristei des Redentore (zwei Bilder, davon

1) Es ist eines seiner letzten Bilder, 1514. Die herrliche Landschaft ist von
ihm, allein später durch Tizian über malt, als derselbe dem flüchtig impro-
visirten Bilde eine neue Haltung gab. (Laut Harzen's Beweis.)
2 Ein wichtiges Bild aus demselben Jahre, in S. Pietro e Paolo zu Murano,
*nach dem 2. Alt. r., fand ich verdeckt.

Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig.
Stufen des Thrones mit ihrem Gesang, Lauten- und Geigenspiel sind
nur ein äusseres Symbol dieses wahrhaft musikalischen Gesammtin-
haltes. Da dieser Inhalt sich schon im Halbfigurenbild geltend machen
konnte, so entstanden hunderte auch von solchen, hauptsächlich für
die Privatandacht.

Aber nicht nur in der Anordnung der Charaktere zum Bilde,
sondern auch in der Auffassung der Einzelnen ist Giov. Bellini das
Vorbild aller andern, ihr Befreier geworden. Die Scala auf welcher
er sich bewegt, ist bei weitem die grösste. Er konnte burlesk sein
abei der Darstellung der classischen Götterwelt; das unschätzbare sog.
Bacchanal in der Sammlung Camuccini parodirt das Göttergelage zur
„Festa“ italienischer Bauern 1). (Wo er der Allegorik seiner Zeit in
die Hände fiel, ist er, beiläufig gesagt, so absurd als irgend Einer;
bfünf kleine höchst saubere Bildchen in der Acad. von Venedig, etwa
zu vergleichen mit Pinturicchio’s Allegorien im Pal. Torigiani zu Flo-
renz.) In den religiösen Bildern dagegen herrscht eine gleichmässige
cWürde und Milde. Das Bild in S. Giov. e Paolo zeigt in den weib-
lichen Heiligen ein herrliches Geschlecht reifer Jungfrauen, die noch
an Mantegna’s heil. Eufemia erinnern. Die Engel am Throne sind
hier wie überall eifrig an ihre Musik hingegeben und völlig naiv,
was sie z. B. bei Francia und Perugino nicht immer sind. Sein spätes
dBild, in S. Giovanni Crisostomo, 1. Alt. r. (1513), enthält von seinen
ebesten männlichen Charakteren. (Seine schönsten nackten Bildungen
in dem grossen Altarblatt der Academie.) In der Madonna zeigt sich
bei ihm ein Fortschritt aus einem strengen und wenig beseelten Typus
f(z. B. das eine Bild in der Brera zu Mailand, mehrere in Venedig)
zu einem grossartig schönen, doch noch immer ernsten und auch im
Costüm idealen. Dieser vielleicht zum erstenmal vollendet reif in der
gMad. von 1487 (in der Academie) und in dem herrlichen Bilde in der
hSacristei der Frari (1488 2), dann in mehrern Werken der Academie,
ider Gal. Manfrin, der Sacristei des Redentore (zwei Bilder, davon

1) Es ist eines seiner letzten Bilder, 1514. Die herrliche Landschaft ist von
ihm, allein später durch Tizian über malt, als derselbe dem flüchtig impro-
visirten Bilde eine neue Haltung gab. (Laut Harzen’s Beweis.)
2 Ein wichtiges Bild aus demselben Jahre, in S. Pietro e Paolo zu Murano,
*nach dem 2. Alt. r., fand ich verdeckt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0848" n="826"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig.</hi></fw><lb/>
Stufen des Thrones mit ihrem Gesang, Lauten- und Geigenspiel sind<lb/>
nur ein äusseres Symbol dieses wahrhaft musikalischen Gesammtin-<lb/>
haltes. Da dieser Inhalt sich schon im Halbfigurenbild geltend machen<lb/>
konnte, so entstanden hunderte auch von solchen, hauptsächlich für<lb/>
die Privatandacht.</p><lb/>
        <p>Aber nicht nur in der Anordnung der Charaktere zum Bilde,<lb/>
sondern auch in der Auffassung der Einzelnen ist Giov. Bellini das<lb/>
Vorbild aller andern, ihr Befreier geworden. Die Scala auf welcher<lb/>
er sich bewegt, ist bei weitem die grösste. Er konnte burlesk sein<lb/><note place="left">a</note>bei der Darstellung der classischen Götterwelt; das unschätzbare sog.<lb/>
Bacchanal in der Sammlung Camuccini parodirt das Göttergelage zur<lb/>
&#x201E;Festa&#x201C; italienischer Bauern <note place="foot" n="1)">Es ist eines seiner letzten Bilder, 1514. Die herrliche Landschaft ist von<lb/>
ihm, allein später durch Tizian <hi rendition="#g">über</hi> malt, als derselbe dem flüchtig impro-<lb/>
visirten Bilde eine neue Haltung gab. (Laut Harzen&#x2019;s Beweis.)</note>. (Wo er der Allegorik seiner Zeit in<lb/>
die Hände fiel, ist er, beiläufig gesagt, so absurd als irgend Einer;<lb/><note place="left">b</note>fünf kleine höchst saubere Bildchen in der Acad. von Venedig, etwa<lb/>
zu vergleichen mit Pinturicchio&#x2019;s Allegorien im Pal. Torigiani zu Flo-<lb/>
renz.) In den religiösen Bildern dagegen herrscht eine gleichmässige<lb/><note place="left">c</note>Würde und Milde. Das Bild in S. Giov. e Paolo zeigt in den weib-<lb/>
lichen Heiligen ein herrliches Geschlecht reifer Jungfrauen, die noch<lb/>
an Mantegna&#x2019;s heil. Eufemia erinnern. Die Engel am Throne sind<lb/>
hier wie überall eifrig an ihre Musik hingegeben und völlig naiv,<lb/>
was sie z. B. bei Francia und Perugino nicht immer sind. Sein spätes<lb/><note place="left">d</note>Bild, in S. Giovanni Crisostomo, 1. Alt. r. (1513), enthält von seinen<lb/><note place="left">e</note>besten männlichen Charakteren. (Seine schönsten nackten Bildungen<lb/>
in dem grossen Altarblatt der Academie.) In der Madonna zeigt sich<lb/>
bei ihm ein Fortschritt aus einem strengen und wenig beseelten Typus<lb/><note place="left">f</note>(z. B. das eine Bild in der Brera zu Mailand, mehrere in Venedig)<lb/>
zu einem grossartig schönen, doch noch immer ernsten und auch im<lb/>
Costüm idealen. Dieser vielleicht zum erstenmal vollendet reif in der<lb/><note place="left">g</note>Mad. von 1487 (in der Academie) und in dem herrlichen Bilde in der<lb/><note place="left">h</note>Sacristei der Frari (1488 <note place="foot" n="2">Ein wichtiges Bild aus demselben Jahre, in S. Pietro e Paolo zu Murano,<lb/><note place="left">*</note>nach dem 2. Alt. r., fand ich verdeckt.</note>), dann in mehrern Werken der Academie,<lb/><note place="left">i</note>der Gal. Manfrin, der Sacristei des Redentore (zwei Bilder, davon<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[826/0848] Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig. Stufen des Thrones mit ihrem Gesang, Lauten- und Geigenspiel sind nur ein äusseres Symbol dieses wahrhaft musikalischen Gesammtin- haltes. Da dieser Inhalt sich schon im Halbfigurenbild geltend machen konnte, so entstanden hunderte auch von solchen, hauptsächlich für die Privatandacht. Aber nicht nur in der Anordnung der Charaktere zum Bilde, sondern auch in der Auffassung der Einzelnen ist Giov. Bellini das Vorbild aller andern, ihr Befreier geworden. Die Scala auf welcher er sich bewegt, ist bei weitem die grösste. Er konnte burlesk sein bei der Darstellung der classischen Götterwelt; das unschätzbare sog. Bacchanal in der Sammlung Camuccini parodirt das Göttergelage zur „Festa“ italienischer Bauern 1). (Wo er der Allegorik seiner Zeit in die Hände fiel, ist er, beiläufig gesagt, so absurd als irgend Einer; fünf kleine höchst saubere Bildchen in der Acad. von Venedig, etwa zu vergleichen mit Pinturicchio’s Allegorien im Pal. Torigiani zu Flo- renz.) In den religiösen Bildern dagegen herrscht eine gleichmässige Würde und Milde. Das Bild in S. Giov. e Paolo zeigt in den weib- lichen Heiligen ein herrliches Geschlecht reifer Jungfrauen, die noch an Mantegna’s heil. Eufemia erinnern. Die Engel am Throne sind hier wie überall eifrig an ihre Musik hingegeben und völlig naiv, was sie z. B. bei Francia und Perugino nicht immer sind. Sein spätes Bild, in S. Giovanni Crisostomo, 1. Alt. r. (1513), enthält von seinen besten männlichen Charakteren. (Seine schönsten nackten Bildungen in dem grossen Altarblatt der Academie.) In der Madonna zeigt sich bei ihm ein Fortschritt aus einem strengen und wenig beseelten Typus (z. B. das eine Bild in der Brera zu Mailand, mehrere in Venedig) zu einem grossartig schönen, doch noch immer ernsten und auch im Costüm idealen. Dieser vielleicht zum erstenmal vollendet reif in der Mad. von 1487 (in der Academie) und in dem herrlichen Bilde in der Sacristei der Frari (1488 2), dann in mehrern Werken der Academie, der Gal. Manfrin, der Sacristei des Redentore (zwei Bilder, davon a b c d e f g h i 1) Es ist eines seiner letzten Bilder, 1514. Die herrliche Landschaft ist von ihm, allein später durch Tizian über malt, als derselbe dem flüchtig impro- visirten Bilde eine neue Haltung gab. (Laut Harzen’s Beweis.) 2 Ein wichtiges Bild aus demselben Jahre, in S. Pietro e Paolo zu Murano, nach dem 2. Alt. r., fand ich verdeckt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/848
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 826. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/848>, abgerufen am 18.12.2024.