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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des XV. Jahrhunderts. Mantegna.
Um der höchst genauen, selbst scharfen Ausführung willen begnügte
sich M. (wie überhaupt die paduanische Schule, z. B. die Maler des
Pal. Schifa-noja) nicht mit dem Fresco, sondern versuchte von Bild
zu Bild andere Malarten. Reichthum der entferntern Gruppen, der
baulichen und landschaftlichen Hintergründe, der mit Faltenwerk,
Glanzlichtern, Reflexen u. s. w. überladenen Gewandung. -- Ganz neu
und dem M. eigen erscheint die mehr oder weniger durchgeführte Per-
spective, das Festhalten eines Augenpunktes. Er ist neben Melozzo
der einzige Oberitaliener dieser Zeit, welcher ein durchgebildetes
Raumgefühl besitzt. Mehrere der schon genannten Florentiner müs-
sen, wenn auch nur mittelbar, von ihm gelernt haben. -- Im Ganzen
erinnert er viel an Benozzo, nur erscheint dieser neben ihm wie ein
anmuthiger Improvisator neben einem Kunstdichter.

a

(Andere Fresken in Mantua, Castello di corte, Stanza di Man-
tegna; Scenen aus dem Leben des Lodovico Gonzaga.)

Unter seinen Staffeleibildern ist die stark restaurirte Gestalt der
bheil. Eufemia im Museum von Neapel (1454) das frühste und viel-
leicht grossartigste Programm der ihm erreichbaren Idealschönheit.
In kleinern Bildern geht seine Ausführung in eine prächtige Miniatur
cüber. Das dreitheilige Altärchen in den Uffizien (Tribuna) und eine
kleine Madonna in Felslandschaft (dies. Sammlung) sind in diesem
Betracht wahre Juwelen, obwohl die Charaktere nirgends gross und
mit Ausnahme des Madonnenkopfes kaum angenehm sind. -- Von
dgrössern Altarbildern ist nur dasjenige auf dem Hochaltar von S. Zeno
zu Verona (Madonna mit Heiligen) in Italien geblieben; ein Haupt-
werk für das ganze Empfinden und Können der Schule. -- In der
eBrera zu Mailand u. a. das grosse Temperabild eines heil. Bernardin
mit Engeln (1460?) auch als decoratives Prachtstück merkwürdig. --
In Scenen des Affektes ist Mantegna bisweilen derb und unschön,
fwie z. B. die Pieta in der vaticanischen Galerie, ein sehr energisches
und vielleicht echtes Bild 1), zeigt.

Manches führt dann entschieden mit Unrecht seinen Namen. Drei
gkleine phantastische Legendenbilder im Pal. Doria zu Rom möchten
heher von einem Ferraresen sein; -- vier Miniaturbilder im Pal. Adorno

1) Oder eher von Bartol. Montagna?

Malerei des XV. Jahrhunderts. Mantegna.
Um der höchst genauen, selbst scharfen Ausführung willen begnügte
sich M. (wie überhaupt die paduanische Schule, z. B. die Maler des
Pal. Schifa-noja) nicht mit dem Fresco, sondern versuchte von Bild
zu Bild andere Malarten. Reichthum der entferntern Gruppen, der
baulichen und landschaftlichen Hintergründe, der mit Faltenwerk,
Glanzlichtern, Reflexen u. s. w. überladenen Gewandung. — Ganz neu
und dem M. eigen erscheint die mehr oder weniger durchgeführte Per-
spective, das Festhalten eines Augenpunktes. Er ist neben Melozzo
der einzige Oberitaliener dieser Zeit, welcher ein durchgebildetes
Raumgefühl besitzt. Mehrere der schon genannten Florentiner müs-
sen, wenn auch nur mittelbar, von ihm gelernt haben. — Im Ganzen
erinnert er viel an Benozzo, nur erscheint dieser neben ihm wie ein
anmuthiger Improvisator neben einem Kunstdichter.

a

(Andere Fresken in Mantua, Castello di corte, Stanza di Man-
tegna; Scenen aus dem Leben des Lodovico Gonzaga.)

Unter seinen Staffeleibildern ist die stark restaurirte Gestalt der
bheil. Eufemia im Museum von Neapel (1454) das frühste und viel-
leicht grossartigste Programm der ihm erreichbaren Idealschönheit.
In kleinern Bildern geht seine Ausführung in eine prächtige Miniatur
cüber. Das dreitheilige Altärchen in den Uffizien (Tribuna) und eine
kleine Madonna in Felslandschaft (dies. Sammlung) sind in diesem
Betracht wahre Juwelen, obwohl die Charaktere nirgends gross und
mit Ausnahme des Madonnenkopfes kaum angenehm sind. — Von
dgrössern Altarbildern ist nur dasjenige auf dem Hochaltar von S. Zeno
zu Verona (Madonna mit Heiligen) in Italien geblieben; ein Haupt-
werk für das ganze Empfinden und Können der Schule. — In der
eBrera zu Mailand u. a. das grosse Temperabild eines heil. Bernardin
mit Engeln (1460?) auch als decoratives Prachtstück merkwürdig. —
In Scenen des Affektes ist Mantegna bisweilen derb und unschön,
fwie z. B. die Pietà in der vaticanischen Galerie, ein sehr energisches
und vielleicht echtes Bild 1), zeigt.

Manches führt dann entschieden mit Unrecht seinen Namen. Drei
gkleine phantastische Legendenbilder im Pal. Doria zu Rom möchten
heher von einem Ferraresen sein; — vier Miniaturbilder im Pal. Adorno

1) Oder eher von Bartol. Montagna?
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[816/0838] Malerei des XV. Jahrhunderts. Mantegna. Um der höchst genauen, selbst scharfen Ausführung willen begnügte sich M. (wie überhaupt die paduanische Schule, z. B. die Maler des Pal. Schifa-noja) nicht mit dem Fresco, sondern versuchte von Bild zu Bild andere Malarten. Reichthum der entferntern Gruppen, der baulichen und landschaftlichen Hintergründe, der mit Faltenwerk, Glanzlichtern, Reflexen u. s. w. überladenen Gewandung. — Ganz neu und dem M. eigen erscheint die mehr oder weniger durchgeführte Per- spective, das Festhalten eines Augenpunktes. Er ist neben Melozzo der einzige Oberitaliener dieser Zeit, welcher ein durchgebildetes Raumgefühl besitzt. Mehrere der schon genannten Florentiner müs- sen, wenn auch nur mittelbar, von ihm gelernt haben. — Im Ganzen erinnert er viel an Benozzo, nur erscheint dieser neben ihm wie ein anmuthiger Improvisator neben einem Kunstdichter. (Andere Fresken in Mantua, Castello di corte, Stanza di Man- tegna; Scenen aus dem Leben des Lodovico Gonzaga.) Unter seinen Staffeleibildern ist die stark restaurirte Gestalt der heil. Eufemia im Museum von Neapel (1454) das frühste und viel- leicht grossartigste Programm der ihm erreichbaren Idealschönheit. In kleinern Bildern geht seine Ausführung in eine prächtige Miniatur über. Das dreitheilige Altärchen in den Uffizien (Tribuna) und eine kleine Madonna in Felslandschaft (dies. Sammlung) sind in diesem Betracht wahre Juwelen, obwohl die Charaktere nirgends gross und mit Ausnahme des Madonnenkopfes kaum angenehm sind. — Von grössern Altarbildern ist nur dasjenige auf dem Hochaltar von S. Zeno zu Verona (Madonna mit Heiligen) in Italien geblieben; ein Haupt- werk für das ganze Empfinden und Können der Schule. — In der Brera zu Mailand u. a. das grosse Temperabild eines heil. Bernardin mit Engeln (1460?) auch als decoratives Prachtstück merkwürdig. — In Scenen des Affektes ist Mantegna bisweilen derb und unschön, wie z. B. die Pietà in der vaticanischen Galerie, ein sehr energisches und vielleicht echtes Bild 1), zeigt. b c d e f Manches führt dann entschieden mit Unrecht seinen Namen. Drei kleine phantastische Legendenbilder im Pal. Doria zu Rom möchten eher von einem Ferraresen sein; — vier Miniaturbilder im Pal. Adorno g h 1) Oder eher von Bartol. Montagna?

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 816. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/838>, abgerufen am 16.07.2024.