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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des XV. Jahrhunderts. Toscaner.
Reliefbilder -- Nacktes und Plastik! auch hier beginnt ein neues Jahr-
ahundert. Selbst der tüchtige Greisenkopf in der Galerie Torigiani
bzeigt Aktfiguren im Hintergrunde. -- Die Geisselung, in der Brera zu
Mailand, scheint ein frühes Bild zu sein. -- Ein schlecht beleuchtetes
cFresco der Madonna mit 2 Cisterciensern, in der Sacristei von S. Ber-
nardo zu Arezzo gehört dem L. schwerlich.


Ein grosses Gesammtdenkmal der toscanischen Malerei des XV.
Jahrh. bieten die zehn Fresken aus dem Leben Mosis und Christi an
dden Wänden der Capella Sistina des Vaticans dar. Sixtus IV
(1471 -- 1484) liess sie durch die schon oben genannten Maler aus-
führen: durch Sandro Botticelli, Cosimo Rosselli, Domenico Ghirlan-
dajo und Luca Signorelli, zu welchen noch Pietro Perugino hinzu-
kömmt. (Drei Bilder des letztern, an der Altarwand, mussten später
dem jüngsten Gericht weichen; die beiden an der Thürwand sind von
späten und geringen Künstlern.)

Diese Arbeiten sind von bedeutendem Werthe und verdienen eine
genauere Besichtigung als ihnen gewöhnlich zu Theil wird 1). Sie
gehören, was Sandro, Cosimo und Pietro betrifft, zu den besten Wer-
ken dieser Künstler. Pietro regt sich hier noch mit einer florentini-
schen Lebendigkeit, die ihm später nicht mehr eigen ist; der Sturz
der Rotte Korah ist Sandro's bedeutendste Composition; in den dem
Luca Signorelli zugeschriebenen sind wenigstens einige Motive von
wundervoller Lebendigkeit, die nur sein Werk sein können. Aber die
figurenreiche Erzählungsweise jenes Jahrhunderts, die sich hier in
breitem Format ergeht, drückt mehr als einmal das wesentliche Factum
dergestalt zusammen, dass das Auge sich ganz an die lebensvollen
Einzelheiten, an die angenehme Fülle hält, z. B. an die landschaft-
lichen und baulichen Hintergründe. Hier, in der Nähe der Propheten
und Sibyllen, in der Nähe der Stanzen und Tapeten wird man inne,

1) Das Licht ist denjenigen an der Südseite nie günstig. An sonnigen Vormit-
tagen 10--12 Uhr haben sie wenigstens ein starkes Reflexlicht. Wer übri-
gens die Kunstwerke des Vaticans geniessen will, schone die Augen unter-
weges, namentlich auf und jenseits der Engelsbrücke und auf dem Platz von
S. Peter, und nehme hier lieber den Umweg hinter den Colonnaden herum.

Malerei des XV. Jahrhunderts. Toscaner.
Reliefbilder — Nacktes und Plastik! auch hier beginnt ein neues Jahr-
ahundert. Selbst der tüchtige Greisenkopf in der Galerie Torigiani
bzeigt Aktfiguren im Hintergrunde. — Die Geisselung, in der Brera zu
Mailand, scheint ein frühes Bild zu sein. — Ein schlecht beleuchtetes
cFresco der Madonna mit 2 Cisterciensern, in der Sacristei von S. Ber-
nardo zu Arezzo gehört dem L. schwerlich.


Ein grosses Gesammtdenkmal der toscanischen Malerei des XV.
Jahrh. bieten die zehn Fresken aus dem Leben Mosis und Christi an
dden Wänden der Capella Sistina des Vaticans dar. Sixtus IV
(1471 — 1484) liess sie durch die schon oben genannten Maler aus-
führen: durch Sandro Botticelli, Cosimo Rosselli, Domenico Ghirlan-
dajo und Luca Signorelli, zu welchen noch Pietro Perugino hinzu-
kömmt. (Drei Bilder des letztern, an der Altarwand, mussten später
dem jüngsten Gericht weichen; die beiden an der Thürwand sind von
späten und geringen Künstlern.)

Diese Arbeiten sind von bedeutendem Werthe und verdienen eine
genauere Besichtigung als ihnen gewöhnlich zu Theil wird 1). Sie
gehören, was Sandro, Cosimo und Pietro betrifft, zu den besten Wer-
ken dieser Künstler. Pietro regt sich hier noch mit einer florentini-
schen Lebendigkeit, die ihm später nicht mehr eigen ist; der Sturz
der Rotte Korah ist Sandro’s bedeutendste Composition; in den dem
Luca Signorelli zugeschriebenen sind wenigstens einige Motive von
wundervoller Lebendigkeit, die nur sein Werk sein können. Aber die
figurenreiche Erzählungsweise jenes Jahrhunderts, die sich hier in
breitem Format ergeht, drückt mehr als einmal das wesentliche Factum
dergestalt zusammen, dass das Auge sich ganz an die lebensvollen
Einzelheiten, an die angenehme Fülle hält, z. B. an die landschaft-
lichen und baulichen Hintergründe. Hier, in der Nähe der Propheten
und Sibyllen, in der Nähe der Stanzen und Tapeten wird man inne,

1) Das Licht ist denjenigen an der Südseite nie günstig. An sonnigen Vormit-
tagen 10—12 Uhr haben sie wenigstens ein starkes Reflexlicht. Wer übri-
gens die Kunstwerke des Vaticans geniessen will, schone die Augen unter-
weges, namentlich auf und jenseits der Engelsbrücke und auf dem Platz von
S. Peter, und nehme hier lieber den Umweg hinter den Colonnaden herum.
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[810/0832] Malerei des XV. Jahrhunderts. Toscaner. Reliefbilder — Nacktes und Plastik! auch hier beginnt ein neues Jahr- hundert. Selbst der tüchtige Greisenkopf in der Galerie Torigiani zeigt Aktfiguren im Hintergrunde. — Die Geisselung, in der Brera zu Mailand, scheint ein frühes Bild zu sein. — Ein schlecht beleuchtetes Fresco der Madonna mit 2 Cisterciensern, in der Sacristei von S. Ber- nardo zu Arezzo gehört dem L. schwerlich. a b c Ein grosses Gesammtdenkmal der toscanischen Malerei des XV. Jahrh. bieten die zehn Fresken aus dem Leben Mosis und Christi an den Wänden der Capella Sistina des Vaticans dar. Sixtus IV (1471 — 1484) liess sie durch die schon oben genannten Maler aus- führen: durch Sandro Botticelli, Cosimo Rosselli, Domenico Ghirlan- dajo und Luca Signorelli, zu welchen noch Pietro Perugino hinzu- kömmt. (Drei Bilder des letztern, an der Altarwand, mussten später dem jüngsten Gericht weichen; die beiden an der Thürwand sind von späten und geringen Künstlern.) d Diese Arbeiten sind von bedeutendem Werthe und verdienen eine genauere Besichtigung als ihnen gewöhnlich zu Theil wird 1). Sie gehören, was Sandro, Cosimo und Pietro betrifft, zu den besten Wer- ken dieser Künstler. Pietro regt sich hier noch mit einer florentini- schen Lebendigkeit, die ihm später nicht mehr eigen ist; der Sturz der Rotte Korah ist Sandro’s bedeutendste Composition; in den dem Luca Signorelli zugeschriebenen sind wenigstens einige Motive von wundervoller Lebendigkeit, die nur sein Werk sein können. Aber die figurenreiche Erzählungsweise jenes Jahrhunderts, die sich hier in breitem Format ergeht, drückt mehr als einmal das wesentliche Factum dergestalt zusammen, dass das Auge sich ganz an die lebensvollen Einzelheiten, an die angenehme Fülle hält, z. B. an die landschaft- lichen und baulichen Hintergründe. Hier, in der Nähe der Propheten und Sibyllen, in der Nähe der Stanzen und Tapeten wird man inne, 1) Das Licht ist denjenigen an der Südseite nie günstig. An sonnigen Vormit- tagen 10—12 Uhr haben sie wenigstens ein starkes Reflexlicht. Wer übri- gens die Kunstwerke des Vaticans geniessen will, schone die Augen unter- weges, namentlich auf und jenseits der Engelsbrücke und auf dem Platz von S. Peter, und nehme hier lieber den Umweg hinter den Colonnaden herum.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 810. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/832>, abgerufen am 16.07.2024.