jenigen des Fiesole (S. 791, a) und Benozzo (S. 804, h) zusammen einen Cyclus der "letzten Dinge" ausmachen: der Antichrist, die Auferstehung der Todten, die Hölle und das Paradies; unten als Brustwehrverzierung die Dichter des (classischen wie biblischen) Jenseits in Rundbildern, umgeben von zahlreichen allegorischen, mythologischen und decorativen einfarbigen Malereien (S. 278, i). Weit entfernt, die angemessensten oder die sachlich ergreifendsten Darstellungen dieses Inhalts zu sein, haben namentlich "Paradies" und "Hölle" den hohen geschichtlichen Werth, dass sie die erste ganz grossartige Äusserung des Jubels über die Bezwingung der nackten Form sind. Letztere wird uns hier nicht in reiner Idealität, wohl aber in grosser jugendlich-heroischer Kraft- fülle, in höchst energischer Modellirung und Farbe vorgeführt.
Unter seinen Tafelbildern das herrlichste ist dasjenige im Doma von Perugia (Nebencap. des rechten Querschiffes), die thronende Ma- donna mit 4 Heiligen und einem lautenspielenden Engel; an Ort und Stelle ein wahrer Trost für das von Perugino's süssen Ekstasen über- sättigte Auge. -- Die Bilder in Cortona hingen 1853 alle so, dass ich zum Besuch der Bergstadt nur unter der Voraussetzung, sie seien seitdem besser aufgestellt worden, rathen kann. Leider befindet sich darunter (mit 2 andern Bildern, im Chor des Domes) auch die be-b rühmte Einsetzung des Abendmahls; mit einem kühnen Schritt wandte sich Luca von der üblichen Darstellungsweise ab, räumte den Tisch weg und liess Christus durch die prächtig bewegte Gruppe der Jünger einherschreiten. -- Im Gesu, gegenüber vom Dom, eine (späte) An-c betung der Hirten; Anderes a. a. O. -- In S. Domenico zu Sienad möchte eine vorgeblich von dem wüsten Manieristen Matteo di Gio- vanni begonnene Anbetung des Kindes (letzter Alt. im Schiff r.) we- sentlich eine liebenswürdige Jugendarbeit Luca's sein. -- In der Aca- demie zu Siena: die Rettung aus dem Brande von Troja, und: dere Loskauf von Gefangenen, letzteres wiederum eine bedeutende Com- position nackter Figuren. -- In Florenz enthält die Academie ein buntesf grosses manierirtes Bild seines Alters, Madonna mit 2 Erzengeln und 2 Heiligen; -- Pal. Corsini Mehreres; -- die Uffizien endlich zweig merkwürdige Rundbilder: eine heil. Familie, welche die ernste, prunk-h lose, männliche Art des Meisters ganz in sich darstellt; -- und eine Madonna, im Hintergrund nackte Hirten, über dem Rund einfarbige
Luca Signorelli.
jenigen des Fiesole (S. 791, a) und Benozzo (S. 804, h) zusammen einen Cyclus der „letzten Dinge“ ausmachen: der Antichrist, die Auferstehung der Todten, die Hölle und das Paradies; unten als Brustwehrverzierung die Dichter des (classischen wie biblischen) Jenseits in Rundbildern, umgeben von zahlreichen allegorischen, mythologischen und decorativen einfarbigen Malereien (S. 278, i). Weit entfernt, die angemessensten oder die sachlich ergreifendsten Darstellungen dieses Inhalts zu sein, haben namentlich „Paradies“ und „Hölle“ den hohen geschichtlichen Werth, dass sie die erste ganz grossartige Äusserung des Jubels über die Bezwingung der nackten Form sind. Letztere wird uns hier nicht in reiner Idealität, wohl aber in grosser jugendlich-heroischer Kraft- fülle, in höchst energischer Modellirung und Farbe vorgeführt.
Unter seinen Tafelbildern das herrlichste ist dasjenige im Doma von Perugia (Nebencap. des rechten Querschiffes), die thronende Ma- donna mit 4 Heiligen und einem lautenspielenden Engel; an Ort und Stelle ein wahrer Trost für das von Perugino’s süssen Ekstasen über- sättigte Auge. — Die Bilder in Cortona hingen 1853 alle so, dass ich zum Besuch der Bergstadt nur unter der Voraussetzung, sie seien seitdem besser aufgestellt worden, rathen kann. Leider befindet sich darunter (mit 2 andern Bildern, im Chor des Domes) auch die be-b rühmte Einsetzung des Abendmahls; mit einem kühnen Schritt wandte sich Luca von der üblichen Darstellungsweise ab, räumte den Tisch weg und liess Christus durch die prächtig bewegte Gruppe der Jünger einherschreiten. — Im Gesù, gegenüber vom Dom, eine (späte) An-c betung der Hirten; Anderes a. a. O. — In S. Domenico zu Sienad möchte eine vorgeblich von dem wüsten Manieristen Matteo di Gio- vanni begonnene Anbetung des Kindes (letzter Alt. im Schiff r.) we- sentlich eine liebenswürdige Jugendarbeit Luca’s sein. — In der Aca- demie zu Siena: die Rettung aus dem Brande von Troja, und: dere Loskauf von Gefangenen, letzteres wiederum eine bedeutende Com- position nackter Figuren. — In Florenz enthält die Academie ein buntesf grosses manierirtes Bild seines Alters, Madonna mit 2 Erzengeln und 2 Heiligen; — Pal. Corsini Mehreres; — die Uffizien endlich zweig merkwürdige Rundbilder: eine heil. Familie, welche die ernste, prunk-h lose, männliche Art des Meisters ganz in sich darstellt; — und eine Madonna, im Hintergrund nackte Hirten, über dem Rund einfarbige
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Luca Signorelli.
jenigen des Fiesole (S. 791, a) und Benozzo (S. 804, h) zusammen einen
Cyclus der „letzten Dinge“ ausmachen: der Antichrist, die Auferstehung
der Todten, die Hölle und das Paradies; unten als Brustwehrverzierung
die Dichter des (classischen wie biblischen) Jenseits in Rundbildern,
umgeben von zahlreichen allegorischen, mythologischen und decorativen
einfarbigen Malereien (S. 278, i). Weit entfernt, die angemessensten
oder die sachlich ergreifendsten Darstellungen dieses Inhalts zu sein,
haben namentlich „Paradies“ und „Hölle“ den hohen geschichtlichen
Werth, dass sie die erste ganz grossartige Äusserung des Jubels über
die Bezwingung der nackten Form sind. Letztere wird uns hier nicht
in reiner Idealität, wohl aber in grosser jugendlich-heroischer Kraft-
fülle, in höchst energischer Modellirung und Farbe vorgeführt.
Unter seinen Tafelbildern das herrlichste ist dasjenige im Dom
von Perugia (Nebencap. des rechten Querschiffes), die thronende Ma-
donna mit 4 Heiligen und einem lautenspielenden Engel; an Ort und
Stelle ein wahrer Trost für das von Perugino’s süssen Ekstasen über-
sättigte Auge. — Die Bilder in Cortona hingen 1853 alle so, dass ich
zum Besuch der Bergstadt nur unter der Voraussetzung, sie seien
seitdem besser aufgestellt worden, rathen kann. Leider befindet sich
darunter (mit 2 andern Bildern, im Chor des Domes) auch die be-
rühmte Einsetzung des Abendmahls; mit einem kühnen Schritt wandte
sich Luca von der üblichen Darstellungsweise ab, räumte den Tisch
weg und liess Christus durch die prächtig bewegte Gruppe der Jünger
einherschreiten. — Im Gesù, gegenüber vom Dom, eine (späte) An-
betung der Hirten; Anderes a. a. O. — In S. Domenico zu Siena
möchte eine vorgeblich von dem wüsten Manieristen Matteo di Gio-
vanni begonnene Anbetung des Kindes (letzter Alt. im Schiff r.) we-
sentlich eine liebenswürdige Jugendarbeit Luca’s sein. — In der Aca-
demie zu Siena: die Rettung aus dem Brande von Troja, und: der
Loskauf von Gefangenen, letzteres wiederum eine bedeutende Com-
position nackter Figuren. — In Florenz enthält die Academie ein buntes
grosses manierirtes Bild seines Alters, Madonna mit 2 Erzengeln und
2 Heiligen; — Pal. Corsini Mehreres; — die Uffizien endlich zwei
merkwürdige Rundbilder: eine heil. Familie, welche die ernste, prunk-
lose, männliche Art des Meisters ganz in sich darstellt; — und eine
Madonna, im Hintergrund nackte Hirten, über dem Rund einfarbige
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 809. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/831>, abgerufen am 18.12.2024.
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