av. Florenz; Uffizien; Galerie Borghese in Rom, u. a. a. O.) Seine beinzige grosse Composition, eine Anbetung des Kindes (Acad. v. Florenz), zeigt auf merkwürdige Weise, wie auch ein weniger be- gabter aber beharrlicher Künstler in jener Zeit das Herrlichste leisten konnte, indem sein Sinn für Anmuth der Formen und des Ausdruckes noch nicht durch feststehende Theorien und Vorbilder irre gemacht wurde, sodass er sein Eigenstes geben konnte und musste; -- indem jene Zeit noch nicht im Bewegt-Pathetischen rivalisirte, an welchem die nur bedingt Begabten untergehen; -- indem endlich der realistische Grundtrieb der Zeit vor dem Langweiligen, d. h. Allgemeinen und Conventionellen schützt. In dem genannten Bilde ist zwar schon etwas von jenem überschüssigen Gefühl, welches in der peruginischen Schule eine so grosse Rolle spielt (s. den Jüngling mit dem Lamme), allein man vergisst dieses und den nicht ganz unbefangenen Bau der Gruppe ob der zauberhaften Schönheit der meisten Gestalten. -- Die kleinen cBilder mit biblischen Scenen in den Uffizien geben keinen Begriff von Lorenzo's Kunstvermögen. (Ist etwa von ihm die Madonna mit zwei dHeiligen, in S. Spirito, auf einem der 4 Altäre ganz hinten? Angeblich "Manier Sandro's".)
Ausserhalb dieser Reihe steht der grosse Luca da Cortona, eigentlich Signorelli (1439--1521). Er war der Schüler des Piero della Francesca (von welchem bei der paduanischen Schule die Rede sein wird) nahm aber stärkere florentinische Eindrücke in sich auf. -- Dem Ghirlandajo ebenbürtig in der grossartigen Auffassung des Geschehens und der Existenzen, wählt er doch seine Einzelformen weniger und ist stellenweise des Derbsten fähig; andererseits zeigt sich bei ihm zuerst die Begeisterung für das Nackte als eine wesent- lich bestimmende Rücksicht für die Darstellung, selbst für die Wahl der Gegenstände. In diesem Sinne ist er der nächste Vorläufer des Michelangelo.
e
Seine Fresken im Kloster Monte Oliveto (südlich von Siena), Scenen aus der Geschichte des heil. Benedict, hat Verf. dieses nicht fgesehen. Sein Hauptwerk sind jedenfalls die Fresken in der Madon- nencapelle des Domes von Orvieto (seit 1499), welche mit den-
Malerei des XV. Jahrhunderts. Toscaner.
av. Florenz; Uffizien; Galerie Borghese in Rom, u. a. a. O.) Seine beinzige grosse Composition, eine Anbetung des Kindes (Acad. v. Florenz), zeigt auf merkwürdige Weise, wie auch ein weniger be- gabter aber beharrlicher Künstler in jener Zeit das Herrlichste leisten konnte, indem sein Sinn für Anmuth der Formen und des Ausdruckes noch nicht durch feststehende Theorien und Vorbilder irre gemacht wurde, sodass er sein Eigenstes geben konnte und musste; — indem jene Zeit noch nicht im Bewegt-Pathetischen rivalisirte, an welchem die nur bedingt Begabten untergehen; — indem endlich der realistische Grundtrieb der Zeit vor dem Langweiligen, d. h. Allgemeinen und Conventionellen schützt. In dem genannten Bilde ist zwar schon etwas von jenem überschüssigen Gefühl, welches in der peruginischen Schule eine so grosse Rolle spielt (s. den Jüngling mit dem Lamme), allein man vergisst dieses und den nicht ganz unbefangenen Bau der Gruppe ob der zauberhaften Schönheit der meisten Gestalten. — Die kleinen cBilder mit biblischen Scenen in den Uffizien geben keinen Begriff von Lorenzo’s Kunstvermögen. (Ist etwa von ihm die Madonna mit zwei dHeiligen, in S. Spirito, auf einem der 4 Altäre ganz hinten? Angeblich „Manier Sandro’s“.)
Ausserhalb dieser Reihe steht der grosse Luca da Cortona, eigentlich Signorelli (1439—1521). Er war der Schüler des Piero della Francesca (von welchem bei der paduanischen Schule die Rede sein wird) nahm aber stärkere florentinische Eindrücke in sich auf. — Dem Ghirlandajo ebenbürtig in der grossartigen Auffassung des Geschehens und der Existenzen, wählt er doch seine Einzelformen weniger und ist stellenweise des Derbsten fähig; andererseits zeigt sich bei ihm zuerst die Begeisterung für das Nackte als eine wesent- lich bestimmende Rücksicht für die Darstellung, selbst für die Wahl der Gegenstände. In diesem Sinne ist er der nächste Vorläufer des Michelangelo.
e
Seine Fresken im Kloster Monte Oliveto (südlich von Siena), Scenen aus der Geschichte des heil. Benedict, hat Verf. dieses nicht fgesehen. Sein Hauptwerk sind jedenfalls die Fresken in der Madon- nencapelle des Domes von Orvieto (seit 1499), welche mit den-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0830"n="808"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Malerei des XV. Jahrhunderts. Toscaner.</hi></fw><lb/><noteplace="left">a</note>v. Florenz; Uffizien; Galerie Borghese in Rom, u. a. a. O.) Seine<lb/><noteplace="left">b</note>einzige grosse Composition, eine <hirendition="#g">Anbetung des Kindes</hi> (Acad.<lb/>
v. Florenz), zeigt auf merkwürdige Weise, wie auch ein weniger be-<lb/>
gabter aber beharrlicher Künstler in jener Zeit das Herrlichste leisten<lb/>
konnte, indem sein Sinn für Anmuth der Formen und des Ausdruckes<lb/>
noch nicht durch feststehende Theorien und Vorbilder irre gemacht<lb/>
wurde, sodass er sein Eigenstes geben konnte und musste; — indem<lb/>
jene Zeit noch nicht im Bewegt-Pathetischen rivalisirte, an welchem<lb/>
die nur bedingt Begabten untergehen; — indem endlich der realistische<lb/>
Grundtrieb der Zeit vor dem Langweiligen, d. h. Allgemeinen und<lb/>
Conventionellen schützt. In dem genannten Bilde ist zwar schon etwas<lb/>
von jenem überschüssigen Gefühl, welches in der peruginischen Schule<lb/>
eine so grosse Rolle spielt (s. den Jüngling mit dem Lamme), allein<lb/>
man vergisst dieses und den nicht ganz unbefangenen Bau der Gruppe<lb/>
ob der zauberhaften Schönheit der meisten Gestalten. — Die kleinen<lb/><noteplace="left">c</note>Bilder mit biblischen Scenen in den Uffizien geben keinen Begriff von<lb/>
Lorenzo’s Kunstvermögen. (Ist etwa von ihm die Madonna mit zwei<lb/><noteplace="left">d</note>Heiligen, in S. Spirito, auf einem der 4 Altäre ganz hinten? Angeblich<lb/>„Manier Sandro’s“.)</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Ausserhalb dieser Reihe steht der grosse <hirendition="#g">Luca da Cortona</hi>,<lb/>
eigentlich <hirendition="#g">Signorelli</hi> (1439—1521). Er war der Schüler des Piero<lb/>
della Francesca (von welchem bei der paduanischen Schule die Rede<lb/>
sein wird) nahm aber stärkere florentinische Eindrücke in sich auf.<lb/>— Dem Ghirlandajo ebenbürtig in der grossartigen Auffassung des<lb/>
Geschehens und der Existenzen, wählt er doch seine Einzelformen<lb/>
weniger und ist stellenweise des Derbsten fähig; andererseits zeigt<lb/>
sich bei ihm zuerst die Begeisterung für das Nackte als eine wesent-<lb/>
lich bestimmende Rücksicht für die Darstellung, selbst für die Wahl<lb/>
der Gegenstände. In diesem Sinne ist er der nächste Vorläufer des<lb/>
Michelangelo.</p><lb/><noteplace="left">e</note><p>Seine Fresken im Kloster <hirendition="#g">Monte Oliveto</hi> (südlich von Siena),<lb/>
Scenen aus der Geschichte des heil. Benedict, hat Verf. dieses nicht<lb/><noteplace="left">f</note>gesehen. Sein Hauptwerk sind jedenfalls die Fresken in der Madon-<lb/>
nencapelle des <hirendition="#g">Domes von Orvieto</hi> (seit 1499), welche mit den-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[808/0830]
Malerei des XV. Jahrhunderts. Toscaner.
v. Florenz; Uffizien; Galerie Borghese in Rom, u. a. a. O.) Seine
einzige grosse Composition, eine Anbetung des Kindes (Acad.
v. Florenz), zeigt auf merkwürdige Weise, wie auch ein weniger be-
gabter aber beharrlicher Künstler in jener Zeit das Herrlichste leisten
konnte, indem sein Sinn für Anmuth der Formen und des Ausdruckes
noch nicht durch feststehende Theorien und Vorbilder irre gemacht
wurde, sodass er sein Eigenstes geben konnte und musste; — indem
jene Zeit noch nicht im Bewegt-Pathetischen rivalisirte, an welchem
die nur bedingt Begabten untergehen; — indem endlich der realistische
Grundtrieb der Zeit vor dem Langweiligen, d. h. Allgemeinen und
Conventionellen schützt. In dem genannten Bilde ist zwar schon etwas
von jenem überschüssigen Gefühl, welches in der peruginischen Schule
eine so grosse Rolle spielt (s. den Jüngling mit dem Lamme), allein
man vergisst dieses und den nicht ganz unbefangenen Bau der Gruppe
ob der zauberhaften Schönheit der meisten Gestalten. — Die kleinen
Bilder mit biblischen Scenen in den Uffizien geben keinen Begriff von
Lorenzo’s Kunstvermögen. (Ist etwa von ihm die Madonna mit zwei
Heiligen, in S. Spirito, auf einem der 4 Altäre ganz hinten? Angeblich
„Manier Sandro’s“.)
a
b
c
d
Ausserhalb dieser Reihe steht der grosse Luca da Cortona,
eigentlich Signorelli (1439—1521). Er war der Schüler des Piero
della Francesca (von welchem bei der paduanischen Schule die Rede
sein wird) nahm aber stärkere florentinische Eindrücke in sich auf.
— Dem Ghirlandajo ebenbürtig in der grossartigen Auffassung des
Geschehens und der Existenzen, wählt er doch seine Einzelformen
weniger und ist stellenweise des Derbsten fähig; andererseits zeigt
sich bei ihm zuerst die Begeisterung für das Nackte als eine wesent-
lich bestimmende Rücksicht für die Darstellung, selbst für die Wahl
der Gegenstände. In diesem Sinne ist er der nächste Vorläufer des
Michelangelo.
Seine Fresken im Kloster Monte Oliveto (südlich von Siena),
Scenen aus der Geschichte des heil. Benedict, hat Verf. dieses nicht
gesehen. Sein Hauptwerk sind jedenfalls die Fresken in der Madon-
nencapelle des Domes von Orvieto (seit 1499), welche mit den-
f
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 808. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/830>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.