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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des XV. Jahrhunderts. Das Fresco.
allein von allen mit der Antike abgab und doch, wie wir sehen werden,
eigentlich kaum mehr als das Ornamentistische aus derselben ent-
lehnte. Es konnte gar nicht im Geist einer mit so unermesslichen
Kräften vorwärtsstrebenden Kunst liegen, sich irgend ein Ideal von
aussen anzueignen; sie musste von selbst auf das Schöne kommen,
das ihr eigen werden sollte.

Als Gabe des Himmels besass sie von vorn herein den Takt, die
äussere Wirklichkeit nicht in alles Detail hinein, sondern nur soweit
zu verfolgen, dass die höhere poetische Wahrheit nicht darunter litt.
Wo sie an Detail zu reich ist, sind es nicht kümmerliche Zufällig-
keiten des äussern Lebens, sondern Schmuck und Zierrath an Ge-
bäuden und Gewändern, die den Überschuss ausmachen. Der Ein-
druck ist daher kein ängstlicher, sondern ein festlicher. Wenige geben
das Bedeutende ganz gross und edel; viele verfangen sich in der
Phantasterei, welche dem XV. Jahrh. überhaupt anhängt, allein die
allgemeine Höhe der Formbildung giebt ihren Einfällen eine geniess-
bare und selbst erfreuliche Gestalt.


Alle diese Fortschritte wären, wie einst diejenigen der Schule
Giotto's, bei einer Beschränkung auf das Andachtsbild und Tafelbild
unmöglich gewesen. Abermals ist es Florenz, von wo das neue Licht
einer grossartigen Historienmalerei ausstrahlt, die mit ihren Fres-
ken
1) die Wände der Kirchen, Kreuzgänge und Stadthäuser über-
zieht. Keine andere Schule kann von ferne neben diesem Verdienst
aufkommen; die lombardische blieb in dem engen Ideenkreise der
Gnadenbilder und Passionsbilder befangen; die venezianische schloss
kein wahres Verhältniss zum Fresco und beschränkte sich lange auf
Altarbilder und Mosaiken; rechnet man den grossen Andrea Mantegna
hinzu, so ging er auch in den Wandmalereien (zu deren Schaden)
über das reine Fresco hinaus, dessen höchst solide Handhabung gerade

1) Bis auf Giotto wurde -- laut jetziger Ansicht -- nur in Tempera auf die
Mauer gemalt; von Giotto an wurde in Fresco untermalt und al secco darü-
bergemalt; erst seit Ende des XIV. Jahrh. begann die eigentliche Fresco-
malerei im engern Sinne.

Malerei des XV. Jahrhunderts. Das Fresco.
allein von allen mit der Antike abgab und doch, wie wir sehen werden,
eigentlich kaum mehr als das Ornamentistische aus derselben ent-
lehnte. Es konnte gar nicht im Geist einer mit so unermesslichen
Kräften vorwärtsstrebenden Kunst liegen, sich irgend ein Ideal von
aussen anzueignen; sie musste von selbst auf das Schöne kommen,
das ihr eigen werden sollte.

Als Gabe des Himmels besass sie von vorn herein den Takt, die
äussere Wirklichkeit nicht in alles Detail hinein, sondern nur soweit
zu verfolgen, dass die höhere poetische Wahrheit nicht darunter litt.
Wo sie an Detail zu reich ist, sind es nicht kümmerliche Zufällig-
keiten des äussern Lebens, sondern Schmuck und Zierrath an Ge-
bäuden und Gewändern, die den Überschuss ausmachen. Der Ein-
druck ist daher kein ängstlicher, sondern ein festlicher. Wenige geben
das Bedeutende ganz gross und edel; viele verfangen sich in der
Phantasterei, welche dem XV. Jahrh. überhaupt anhängt, allein die
allgemeine Höhe der Formbildung giebt ihren Einfällen eine geniess-
bare und selbst erfreuliche Gestalt.


Alle diese Fortschritte wären, wie einst diejenigen der Schule
Giotto’s, bei einer Beschränkung auf das Andachtsbild und Tafelbild
unmöglich gewesen. Abermals ist es Florenz, von wo das neue Licht
einer grossartigen Historienmalerei ausstrahlt, die mit ihren Fres-
ken
1) die Wände der Kirchen, Kreuzgänge und Stadthäuser über-
zieht. Keine andere Schule kann von ferne neben diesem Verdienst
aufkommen; die lombardische blieb in dem engen Ideenkreise der
Gnadenbilder und Passionsbilder befangen; die venezianische schloss
kein wahres Verhältniss zum Fresco und beschränkte sich lange auf
Altarbilder und Mosaiken; rechnet man den grossen Andrea Mantegna
hinzu, so ging er auch in den Wandmalereien (zu deren Schaden)
über das reine Fresco hinaus, dessen höchst solide Handhabung gerade

1) Bis auf Giotto wurde — laut jetziger Ansicht — nur in Tempera auf die
Mauer gemalt; von Giotto an wurde in Fresco untermalt und al secco darü-
bergemalt; erst seit Ende des XIV. Jahrh. begann die eigentliche Fresco-
malerei im engern Sinne.
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[796/0818] Malerei des XV. Jahrhunderts. Das Fresco. allein von allen mit der Antike abgab und doch, wie wir sehen werden, eigentlich kaum mehr als das Ornamentistische aus derselben ent- lehnte. Es konnte gar nicht im Geist einer mit so unermesslichen Kräften vorwärtsstrebenden Kunst liegen, sich irgend ein Ideal von aussen anzueignen; sie musste von selbst auf das Schöne kommen, das ihr eigen werden sollte. Als Gabe des Himmels besass sie von vorn herein den Takt, die äussere Wirklichkeit nicht in alles Detail hinein, sondern nur soweit zu verfolgen, dass die höhere poetische Wahrheit nicht darunter litt. Wo sie an Detail zu reich ist, sind es nicht kümmerliche Zufällig- keiten des äussern Lebens, sondern Schmuck und Zierrath an Ge- bäuden und Gewändern, die den Überschuss ausmachen. Der Ein- druck ist daher kein ängstlicher, sondern ein festlicher. Wenige geben das Bedeutende ganz gross und edel; viele verfangen sich in der Phantasterei, welche dem XV. Jahrh. überhaupt anhängt, allein die allgemeine Höhe der Formbildung giebt ihren Einfällen eine geniess- bare und selbst erfreuliche Gestalt. Alle diese Fortschritte wären, wie einst diejenigen der Schule Giotto’s, bei einer Beschränkung auf das Andachtsbild und Tafelbild unmöglich gewesen. Abermals ist es Florenz, von wo das neue Licht einer grossartigen Historienmalerei ausstrahlt, die mit ihren Fres- ken 1) die Wände der Kirchen, Kreuzgänge und Stadthäuser über- zieht. Keine andere Schule kann von ferne neben diesem Verdienst aufkommen; die lombardische blieb in dem engen Ideenkreise der Gnadenbilder und Passionsbilder befangen; die venezianische schloss kein wahres Verhältniss zum Fresco und beschränkte sich lange auf Altarbilder und Mosaiken; rechnet man den grossen Andrea Mantegna hinzu, so ging er auch in den Wandmalereien (zu deren Schaden) über das reine Fresco hinaus, dessen höchst solide Handhabung gerade 1) Bis auf Giotto wurde — laut jetziger Ansicht — nur in Tempera auf die Mauer gemalt; von Giotto an wurde in Fresco untermalt und al secco darü- bergemalt; erst seit Ende des XIV. Jahrh. begann die eigentliche Fresco- malerei im engern Sinne.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 796. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/818>, abgerufen am 18.12.2024.