schrift: anchora imparo, noch immerfort lerne ich. Und diess war keine Phrase. Die unverwüstliche Lebenskraft dieser Männer war wirklich mit einer eben so dauernden Aneignungsgabe verbunden.
Diess war auch bei Fiesole einigermassen der Fall. Dasjenige worin er so vorzüglich gross ist, die friedensreiche, tiefe Seligkeit heiliger Gestalten, findet sich eben in seinen spätesten Arbeiten mit einer unbeschreiblichen Kraft und Fülle ausgedrückt, zum grossen Unterschied von Perugino, welcher gerade hierin mit den Jahren lahm und äusserlich wurde. Man betrachte Fiesole's Pyramidalgruppe dera Propheten am Gewölbe der Madonnenkapelle des Domes von Or- vieto und frage sich, ob irgend ein Kunstwerk der Erde, Rafael nicht ausgenommen, die stille selige Anbetung so wiedergebe? (Den Welt- richter, an der Hinterwand, hat er freilich von Orcagna entlehnt, ohne diesen zu erreichen.) Noch später, nach seinem sechszigsten Jahre (1447), malte er im Vatican die Capelle Nicolaus V, -- und dieb vier Evangelisten am Gewölbe und einer oder der andere von den Kirchenlehrern, wie z. B. S. Bonaventura erscheinen jenen himmli- schen Gestalten noch ganz ebenbürtig. Aber nicht bloss was ihm eigen war, bildete er mit gesteigerter Kraft weiter, sondern auch ge- gen die Fortschritte anderer Zeitgenossen schloss er sich durchaus nicht ab, wie man wohl glauben könnte. Die Geschichten der Hei- ligen Stephanus und Laurentius in der letztgenannten Capelle bewei- sen, dass der alternde Mann noch mit aller Anstrengung so viel von dem, was inzwischen Masaccio u. A. gewonnen, einzuholen suchte als seiner Richtung gemäss war. Die anmuthige Erzählungsweise dieser Fresken zeigt Züge des wirklichen Lebens und ist mit einer äussern Wahrheit der Farbe verbunden wie sich diess von keinem frühern Werke des Meisters so behaupten lässt. Die heftigen Bewegungen, ja schon die starken Schritte pflegen ihm noch immer zu misslingen, dafür wird man aber auf das Beste entschädigt z. B. durch jene junge Frau, welche der Predigt des heil. Stephanus mit ungestörter Andacht zuhört und ihr unruhiges Kind nur mit der Hand fasst um es stille zu machen. Man durchgehe dieses Werk Scene um Scene, und man wird einen Schatz von schönen, geistvollen Bezügen dieser Art darin finden. Abgesehen davon ist es als fast rein erhaltenes Ganzes aus der Zeit der grossen Vorblüthe unschätzbar.
Fresken in S. Marco, in Orvieto, im Vatican.
schrift: anchora imparo, noch immerfort lerne ich. Und diess war keine Phrase. Die unverwüstliche Lebenskraft dieser Männer war wirklich mit einer eben so dauernden Aneignungsgabe verbunden.
Diess war auch bei Fiesole einigermassen der Fall. Dasjenige worin er so vorzüglich gross ist, die friedensreiche, tiefe Seligkeit heiliger Gestalten, findet sich eben in seinen spätesten Arbeiten mit einer unbeschreiblichen Kraft und Fülle ausgedrückt, zum grossen Unterschied von Perugino, welcher gerade hierin mit den Jahren lahm und äusserlich wurde. Man betrachte Fiesole’s Pyramidalgruppe dera Propheten am Gewölbe der Madonnenkapelle des Domes von Or- vieto und frage sich, ob irgend ein Kunstwerk der Erde, Rafael nicht ausgenommen, die stille selige Anbetung so wiedergebe? (Den Welt- richter, an der Hinterwand, hat er freilich von Orcagna entlehnt, ohne diesen zu erreichen.) Noch später, nach seinem sechszigsten Jahre (1447), malte er im Vatican die Capelle Nicolaus V, — und dieb vier Evangelisten am Gewölbe und einer oder der andere von den Kirchenlehrern, wie z. B. S. Bonaventura erscheinen jenen himmli- schen Gestalten noch ganz ebenbürtig. Aber nicht bloss was ihm eigen war, bildete er mit gesteigerter Kraft weiter, sondern auch ge- gen die Fortschritte anderer Zeitgenossen schloss er sich durchaus nicht ab, wie man wohl glauben könnte. Die Geschichten der Hei- ligen Stephanus und Laurentius in der letztgenannten Capelle bewei- sen, dass der alternde Mann noch mit aller Anstrengung so viel von dem, was inzwischen Masaccio u. A. gewonnen, einzuholen suchte als seiner Richtung gemäss war. Die anmuthige Erzählungsweise dieser Fresken zeigt Züge des wirklichen Lebens und ist mit einer äussern Wahrheit der Farbe verbunden wie sich diess von keinem frühern Werke des Meisters so behaupten lässt. Die heftigen Bewegungen, ja schon die starken Schritte pflegen ihm noch immer zu misslingen, dafür wird man aber auf das Beste entschädigt z. B. durch jene junge Frau, welche der Predigt des heil. Stephanus mit ungestörter Andacht zuhört und ihr unruhiges Kind nur mit der Hand fasst um es stille zu machen. Man durchgehe dieses Werk Scene um Scene, und man wird einen Schatz von schönen, geistvollen Bezügen dieser Art darin finden. Abgesehen davon ist es als fast rein erhaltenes Ganzes aus der Zeit der grossen Vorblüthe unschätzbar.
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Fresken in S. Marco, in Orvieto, im Vatican.
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wirklich mit einer eben so dauernden Aneignungsgabe verbunden.
Diess war auch bei Fiesole einigermassen der Fall. Dasjenige
worin er so vorzüglich gross ist, die friedensreiche, tiefe Seligkeit
heiliger Gestalten, findet sich eben in seinen spätesten Arbeiten
mit einer unbeschreiblichen Kraft und Fülle ausgedrückt, zum grossen
Unterschied von Perugino, welcher gerade hierin mit den Jahren lahm
und äusserlich wurde. Man betrachte Fiesole’s Pyramidalgruppe der
Propheten am Gewölbe der Madonnenkapelle des Domes von Or-
vieto und frage sich, ob irgend ein Kunstwerk der Erde, Rafael nicht
ausgenommen, die stille selige Anbetung so wiedergebe? (Den Welt-
richter, an der Hinterwand, hat er freilich von Orcagna entlehnt, ohne
diesen zu erreichen.) Noch später, nach seinem sechszigsten Jahre
(1447), malte er im Vatican die Capelle Nicolaus V, — und die
vier Evangelisten am Gewölbe und einer oder der andere von den
Kirchenlehrern, wie z. B. S. Bonaventura erscheinen jenen himmli-
schen Gestalten noch ganz ebenbürtig. Aber nicht bloss was ihm
eigen war, bildete er mit gesteigerter Kraft weiter, sondern auch ge-
gen die Fortschritte anderer Zeitgenossen schloss er sich durchaus
nicht ab, wie man wohl glauben könnte. Die Geschichten der Hei-
ligen Stephanus und Laurentius in der letztgenannten Capelle bewei-
sen, dass der alternde Mann noch mit aller Anstrengung so viel von
dem, was inzwischen Masaccio u. A. gewonnen, einzuholen suchte als
seiner Richtung gemäss war. Die anmuthige Erzählungsweise dieser
Fresken zeigt Züge des wirklichen Lebens und ist mit einer äussern
Wahrheit der Farbe verbunden wie sich diess von keinem frühern
Werke des Meisters so behaupten lässt. Die heftigen Bewegungen,
ja schon die starken Schritte pflegen ihm noch immer zu misslingen,
dafür wird man aber auf das Beste entschädigt z. B. durch jene
junge Frau, welche der Predigt des heil. Stephanus mit ungestörter
Andacht zuhört und ihr unruhiges Kind nur mit der Hand fasst um
es stille zu machen. Man durchgehe dieses Werk Scene um Scene,
und man wird einen Schatz von schönen, geistvollen Bezügen dieser
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 791. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/813>, abgerufen am 18.12.2024.
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