Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
aJa das Camposanto enthält in dem "Leben der Einsiedler" von dem Sienesen Pietro di Lorenzo oder Lorenzetti eine grosse chronikartige Zusammenstellung einzelner Züge, von welchen man gerade die besten, am glücklichsten gerundeten als Genre bezeichnen kann; es sind die Motive des Ruhens, sitzenden Arbeitens, ruhigen Redens, Fischens etc. Diesen war der sienesische Existenzmaler viel besser gewachsen, als denjenigen, in welchen es auf erhöhten momentanen Ausdruck ankam.
Die Scenen des höhern Pathos überschreiten bisweilen das wahre Mass, wie namentlich einzelne Passionsbilder zeigen. Die räthselhafte bComposition welche im Camposanto dem Buffalmaco beigelegt wird, enthält zwischen herrlichen Gruppen von Anwesenden die carikirt schmerzliche Gruppe der ohnmächtig sinkenden Maria und ihrer Be- gleiterinnen; um das entsetzliche Ende des bösen Schächers zu ver- sinnlichen, hat der Maler unter dessen Kreuz einen Mann abgebildet, der händeringend von dannen eilt. (Die würdigste und an schönen cZügen reichste giotteske Kreuzigung möchte diejenige in der Cap. d. Spagnuoli sein; einer der bedeutendsten Passionscyclen überhaupt dwar der im Capitelsaal von S. Francesco zu Pisa.)
Sonst tritt die innere Erregung oft bewundernswürdig wahr und eschön zu Tage. Man sehe (Camposanto, bei Franc. da Volterra) die Geberde edeln Vorwurfes, mit welcher Hiob zu Gott spricht, indem er auf die verlornen Heerden hinweist; oder (bei Symone) die Innig- keit, mit welcher S. Ranieri sein Gelübde bei dem heiligen Mönch ablegt. Das Gewaltigste im Affect hat wohl Orcagna geleistet in der fGruppe der Krüppel und Bettler (Trionfo della morte, Camposanto), welche vergebens nach dem erlösenden Tode schreien; ihre parallele Geberde mit den verstümmelten Armen wirkt hier, verbunden mit dem Ausdruck ihrer Züge, hochbedeutend. Es ist einer der Fälle, da auch das Widrige vollkommen kunstberechtigt erscheint. Nur so erhielt die Gruppe im Garten ihren deutlichen Sinn als Gegensatz; sie ist, beiläufig gesagt, das ausgeführteste weltliche Existenzbild des germa- nischen Styles, eine Ausführung dessen, was die Miniaturen unserer Minnesingerhandschriften nur erst als Andeutung geben; doch schon mit einem deutlichen Anklang an Boccaz. In der Gruppe der Reiter ist der tiefe Schauder vor den drei Leichen unübertrefflich schön dar- gestellt in dem behutsamen Herannahen, Überbeugen, Sichzurück-
Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
aJa das Camposanto enthält in dem „Leben der Einsiedler“ von dem Sienesen Pietro di Lorenzo oder Lorenzetti eine grosse chronikartige Zusammenstellung einzelner Züge, von welchen man gerade die besten, am glücklichsten gerundeten als Genre bezeichnen kann; es sind die Motive des Ruhens, sitzenden Arbeitens, ruhigen Redens, Fischens etc. Diesen war der sienesische Existenzmaler viel besser gewachsen, als denjenigen, in welchen es auf erhöhten momentanen Ausdruck ankam.
Die Scenen des höhern Pathos überschreiten bisweilen das wahre Mass, wie namentlich einzelne Passionsbilder zeigen. Die räthselhafte bComposition welche im Camposanto dem Buffalmaco beigelegt wird, enthält zwischen herrlichen Gruppen von Anwesenden die carikirt schmerzliche Gruppe der ohnmächtig sinkenden Maria und ihrer Be- gleiterinnen; um das entsetzliche Ende des bösen Schächers zu ver- sinnlichen, hat der Maler unter dessen Kreuz einen Mann abgebildet, der händeringend von dannen eilt. (Die würdigste und an schönen cZügen reichste giotteske Kreuzigung möchte diejenige in der Cap. d. Spagnuoli sein; einer der bedeutendsten Passionscyclen überhaupt dwar der im Capitelsaal von S. Francesco zu Pisa.)
Sonst tritt die innere Erregung oft bewundernswürdig wahr und eschön zu Tage. Man sehe (Camposanto, bei Franc. da Volterra) die Geberde edeln Vorwurfes, mit welcher Hiob zu Gott spricht, indem er auf die verlornen Heerden hinweist; oder (bei Symone) die Innig- keit, mit welcher S. Ranieri sein Gelübde bei dem heiligen Mönch ablegt. Das Gewaltigste im Affect hat wohl Orcagna geleistet in der fGruppe der Krüppel und Bettler (Trionfo della morte, Camposanto), welche vergebens nach dem erlösenden Tode schreien; ihre parallele Geberde mit den verstümmelten Armen wirkt hier, verbunden mit dem Ausdruck ihrer Züge, hochbedeutend. Es ist einer der Fälle, da auch das Widrige vollkommen kunstberechtigt erscheint. Nur so erhielt die Gruppe im Garten ihren deutlichen Sinn als Gegensatz; sie ist, beiläufig gesagt, das ausgeführteste weltliche Existenzbild des germa- nischen Styles, eine Ausführung dessen, was die Miniaturen unserer Minnesingerhandschriften nur erst als Andeutung geben; doch schon mit einem deutlichen Anklang an Boccaz. In der Gruppe der Reiter ist der tiefe Schauder vor den drei Leichen unübertrefflich schön dar- gestellt in dem behutsamen Herannahen, Überbeugen, Sichzurück-
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Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
Ja das Camposanto enthält in dem „Leben der Einsiedler“ von dem
Sienesen Pietro di Lorenzo oder Lorenzetti eine grosse chronikartige
Zusammenstellung einzelner Züge, von welchen man gerade die besten,
am glücklichsten gerundeten als Genre bezeichnen kann; es sind die
Motive des Ruhens, sitzenden Arbeitens, ruhigen Redens, Fischens etc.
Diesen war der sienesische Existenzmaler viel besser gewachsen, als
denjenigen, in welchen es auf erhöhten momentanen Ausdruck ankam.
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Die Scenen des höhern Pathos überschreiten bisweilen das wahre
Mass, wie namentlich einzelne Passionsbilder zeigen. Die räthselhafte
Composition welche im Camposanto dem Buffalmaco beigelegt wird,
enthält zwischen herrlichen Gruppen von Anwesenden die carikirt
schmerzliche Gruppe der ohnmächtig sinkenden Maria und ihrer Be-
gleiterinnen; um das entsetzliche Ende des bösen Schächers zu ver-
sinnlichen, hat der Maler unter dessen Kreuz einen Mann abgebildet,
der händeringend von dannen eilt. (Die würdigste und an schönen
Zügen reichste giotteske Kreuzigung möchte diejenige in der Cap. d.
Spagnuoli sein; einer der bedeutendsten Passionscyclen überhaupt
war der im Capitelsaal von S. Francesco zu Pisa.)
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Sonst tritt die innere Erregung oft bewundernswürdig wahr und
schön zu Tage. Man sehe (Camposanto, bei Franc. da Volterra) die
Geberde edeln Vorwurfes, mit welcher Hiob zu Gott spricht, indem
er auf die verlornen Heerden hinweist; oder (bei Symone) die Innig-
keit, mit welcher S. Ranieri sein Gelübde bei dem heiligen Mönch
ablegt. Das Gewaltigste im Affect hat wohl Orcagna geleistet in der
Gruppe der Krüppel und Bettler (Trionfo della morte, Camposanto),
welche vergebens nach dem erlösenden Tode schreien; ihre parallele
Geberde mit den verstümmelten Armen wirkt hier, verbunden mit dem
Ausdruck ihrer Züge, hochbedeutend. Es ist einer der Fälle, da auch
das Widrige vollkommen kunstberechtigt erscheint. Nur so erhielt
die Gruppe im Garten ihren deutlichen Sinn als Gegensatz; sie ist,
beiläufig gesagt, das ausgeführteste weltliche Existenzbild des germa-
nischen Styles, eine Ausführung dessen, was die Miniaturen unserer
Minnesingerhandschriften nur erst als Andeutung geben; doch schon
mit einem deutlichen Anklang an Boccaz. In der Gruppe der Reiter
ist der tiefe Schauder vor den drei Leichen unübertrefflich schön dar-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 764. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/786>, abgerufen am 18.12.2024.
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