wirkten. Giotto selbst hat einen durchgehenden kenntlichen Typus bei Männern und Frauen, nicht unangenehm, aber ohne Reiz. (Ein Nor- malbild für seine Art der Formengebung und des Ausdruckes ist die grosse Madonna in der florent. Academie, vorzüglich in Betreff dera Profilköpfe der Engel. Ausserdem das Bild in S. Croce. Er indivi-b dualisirt fast am Meisten in seiner frühsten Hauptarbeit, den Freskenc der Arena.) Bei beiden Gaddi kehrt das starke Kinn fast regelmässig wieder (Cap. Baroncelli in S. Croce, Incoronata in Neapel etc.; sonstd ist für Taddeo's Formenbildung im Detail hauptsächlich die grosse herrliche Grablegung in der florent. Academie zu vergleichen). Andreae Orcagna geht zuerst auf eigentliche Holdseligkeit aus (Cap. Strozzi inf S. Maria novella), aber durchaus nicht immer, wie denn in dem Welt- gericht des Camposanto eine mehr derbe, entschiedene Bildung vor-g herrscht. Das Individualisiren ist bald leiser, bald nachdrücklicher; vielleicht am absichtlichsten bei Ant. Veneziano. Spinello, welcher überhaupt oft roh zeichnet und an den Stellen, auf welchen kein Ac- cent liegt, sich auch bis in die äusserste Flauheit gehen lässt, hat in seinen Köpfen am wenigsten Einnehmendes. -- Der Sinn für Schön- heit, für Melodie, könnte man sagen, concentrirt sich hauptsächlich in der Gewandung, welche bei den heiligen Personen eine wesentlich ideale ist, so wie das Mittelalter sie aus der altchristlichen Tradition übernommen hatte. Sie ist nicht nur der deutliche und nothwendige Ausdruck der Haltung und Bewegung, sondern sie hat noch ihre be- sondere, oft unübertreffliche Linienschönheit, die den Ausdruck des Würdigen und Heiligen wesentlich erhöht. (Giotto's Abendmahl imh ehemal. Refectorium zu S. Croce möchte wohl das vollkommenste enthalten.)
Der Raum ist durchgängig ideal gedacht, und nicht etwa wegen "Kindheit der Kunst" (die ja hier die grössten Aufgaben löst) un- perspectivisch gegeben. Die Maler wussten recht wohl, dass unter so kleinbogigen Kirchenhallen, zwischen so niedrigen Stadtmauern, Pfor- ten, Bäumen, auf einem so steilen Erdboden etc. keine solchen Men- schen sich bewegen könnten, wie die ihrigen sind. Allein sie gaben was zur Verdeutlichung des Vorganges diente und dieses anspruchlos und schön (der Dom von Florenz als Symbol einer Kirche, Cap. d.i Spagnuoli bei S. Maria novella), meist in Linien die mit der Ein-
Colorit. Formenbildung. Gewandung. Raum.
wirkten. Giotto selbst hat einen durchgehenden kenntlichen Typus bei Männern und Frauen, nicht unangenehm, aber ohne Reiz. (Ein Nor- malbild für seine Art der Formengebung und des Ausdruckes ist die grosse Madonna in der florent. Academie, vorzüglich in Betreff dera Profilköpfe der Engel. Ausserdem das Bild in S. Croce. Er indivi-b dualisirt fast am Meisten in seiner frühsten Hauptarbeit, den Freskenc der Arena.) Bei beiden Gaddi kehrt das starke Kinn fast regelmässig wieder (Cap. Baroncelli in S. Croce, Incoronata in Neapel etc.; sonstd ist für Taddeo’s Formenbildung im Detail hauptsächlich die grosse herrliche Grablegung in der florent. Academie zu vergleichen). Andreae Orcagna geht zuerst auf eigentliche Holdseligkeit aus (Cap. Strozzi inf S. Maria novella), aber durchaus nicht immer, wie denn in dem Welt- gericht des Camposanto eine mehr derbe, entschiedene Bildung vor-g herrscht. Das Individualisiren ist bald leiser, bald nachdrücklicher; vielleicht am absichtlichsten bei Ant. Veneziano. Spinello, welcher überhaupt oft roh zeichnet und an den Stellen, auf welchen kein Ac- cent liegt, sich auch bis in die äusserste Flauheit gehen lässt, hat in seinen Köpfen am wenigsten Einnehmendes. — Der Sinn für Schön- heit, für Melodie, könnte man sagen, concentrirt sich hauptsächlich in der Gewandung, welche bei den heiligen Personen eine wesentlich ideale ist, so wie das Mittelalter sie aus der altchristlichen Tradition übernommen hatte. Sie ist nicht nur der deutliche und nothwendige Ausdruck der Haltung und Bewegung, sondern sie hat noch ihre be- sondere, oft unübertreffliche Linienschönheit, die den Ausdruck des Würdigen und Heiligen wesentlich erhöht. (Giotto’s Abendmahl imh ehemal. Refectorium zu S. Croce möchte wohl das vollkommenste enthalten.)
Der Raum ist durchgängig ideal gedacht, und nicht etwa wegen „Kindheit der Kunst“ (die ja hier die grössten Aufgaben löst) un- perspectivisch gegeben. Die Maler wussten recht wohl, dass unter so kleinbogigen Kirchenhallen, zwischen so niedrigen Stadtmauern, Pfor- ten, Bäumen, auf einem so steilen Erdboden etc. keine solchen Men- schen sich bewegen könnten, wie die ihrigen sind. Allein sie gaben was zur Verdeutlichung des Vorganges diente und dieses anspruchlos und schön (der Dom von Florenz als Symbol einer Kirche, Cap. d.i Spagnuoli bei S. Maria novella), meist in Linien die mit der Ein-
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wirkten. Giotto selbst hat einen durchgehenden kenntlichen Typus bei
Männern und Frauen, nicht unangenehm, aber ohne Reiz. (Ein Nor-
malbild für seine Art der Formengebung und des Ausdruckes ist die
grosse Madonna in der florent. Academie, vorzüglich in Betreff der
Profilköpfe der Engel. Ausserdem das Bild in S. Croce. Er indivi-
dualisirt fast am Meisten in seiner frühsten Hauptarbeit, den Fresken
der Arena.) Bei beiden Gaddi kehrt das starke Kinn fast regelmässig
wieder (Cap. Baroncelli in S. Croce, Incoronata in Neapel etc.; sonst
ist für Taddeo’s Formenbildung im Detail hauptsächlich die grosse
herrliche Grablegung in der florent. Academie zu vergleichen). Andrea
Orcagna geht zuerst auf eigentliche Holdseligkeit aus (Cap. Strozzi in
S. Maria novella), aber durchaus nicht immer, wie denn in dem Welt-
gericht des Camposanto eine mehr derbe, entschiedene Bildung vor-
herrscht. Das Individualisiren ist bald leiser, bald nachdrücklicher;
vielleicht am absichtlichsten bei Ant. Veneziano. Spinello, welcher
überhaupt oft roh zeichnet und an den Stellen, auf welchen kein Ac-
cent liegt, sich auch bis in die äusserste Flauheit gehen lässt, hat in
seinen Köpfen am wenigsten Einnehmendes. — Der Sinn für Schön-
heit, für Melodie, könnte man sagen, concentrirt sich hauptsächlich in
der Gewandung, welche bei den heiligen Personen eine wesentlich
ideale ist, so wie das Mittelalter sie aus der altchristlichen Tradition
übernommen hatte. Sie ist nicht nur der deutliche und nothwendige
Ausdruck der Haltung und Bewegung, sondern sie hat noch ihre be-
sondere, oft unübertreffliche Linienschönheit, die den Ausdruck des
Würdigen und Heiligen wesentlich erhöht. (Giotto’s Abendmahl im
ehemal. Refectorium zu S. Croce möchte wohl das vollkommenste
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„Kindheit der Kunst“ (die ja hier die grössten Aufgaben löst) un-
perspectivisch gegeben. Die Maler wussten recht wohl, dass unter so
kleinbogigen Kirchenhallen, zwischen so niedrigen Stadtmauern, Pfor-
ten, Bäumen, auf einem so steilen Erdboden etc. keine solchen Men-
schen sich bewegen könnten, wie die ihrigen sind. Allein sie gaben
was zur Verdeutlichung des Vorganges diente und dieses anspruchlos
und schön (der Dom von Florenz als Symbol einer Kirche, Cap. d.
Spagnuoli bei S. Maria novella), meist in Linien die mit der Ein-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 759. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/781>, abgerufen am 18.12.2024.
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