Messopfer, die wir im Chor von S. Vitale fanden, nur das Opfer Kains und Abels aufzuweisen.
Von der ganz byzantinischen, ja hauptsächlich von Griechen geüb- ten Mosaikmalerei des Normannenreiches kenne ich auf dem italischen aFestland ausser einigen unbedeutenden Einzelfiguren nur die Mosaiken der einen Seitentribuna im Dom von Salerno (nach 1080); S. Marcus mit vier Heiligen. Bei weitem massenhafter tritt dieser Kunstzweig in den Kirchen Palermo's und der Umgegend, hauptsächlich im Dom von Monreale auf.
Alles in Allem genommen geben gerade diese sorgfältigen spät- byzantinischen Mosaiken Venedigs und Unteritaliens ein merkwürdiges Zeugniss für diejenigen Bedingungen, welche die Kirche Gregors VII an die Kunst stellte. Die Körperlichkeit Christi und der Heiligen ist zur blossen Andeutung eingeschrumpft, aber diese Andeutung wird mit dem grössten Aufwand des Stoffes und mit der emsigsten Sauber- keit zur Darstellung gebracht. Es soll dem Heiligen die möglichste Ehre geschehen; ihm aber Persönlichkeit oder gar Schönheit zu geben wäre überflüssig, da es auch ohne dieses stark genug auf die An- dacht wirkt.
Wahrhaft unzählig sind noch jetzt in Italien die Tafelbilder byzantinischen Styles, hauptsächlich die Madonnen. Die wenigsten freilich stammen aus dem ersten Jahrtausend; weit das Meiste sind Copien nach besonders wunderkräftigen Madonnenbildern und theils erst gegen Ende des Mittelalters, theils auch in ganz neuer Zeit ver- fertigt; ausserdem ist zu erwägen, dass es noch hin und wieder grie- chische Gemeinden in Italien giebt, bei welchen die byzantinische Darstellungsweise rituell geblieben ist. -- Die eigenthümlichen Lack- farben, die grünen Fleischschatten, das aufgehöhte Gold der Schraf- firungen machen diese Malereien sehr kenntlich. Ich weiss nicht näher anzugeben, ob man im Typus der Madonna verschiedene Abarten un- terscheidet; schwerlich wird man denselben auf so alte Grundlagen zurückführen können, wie diess beim Christustypus gelungen ist. Die sog. schwarze Mutter Gottes ist kein eigener Typus, sondern aus miss- verstandener Wiederholung altersgebräunter Madonnen entsprungen.
Malerei des Mittelalters. Byzantinischer Styl.
Messopfer, die wir im Chor von S. Vitale fanden, nur das Opfer Kains und Abels aufzuweisen.
Von der ganz byzantinischen, ja hauptsächlich von Griechen geüb- ten Mosaikmalerei des Normannenreiches kenne ich auf dem italischen aFestland ausser einigen unbedeutenden Einzelfiguren nur die Mosaiken der einen Seitentribuna im Dom von Salerno (nach 1080); S. Marcus mit vier Heiligen. Bei weitem massenhafter tritt dieser Kunstzweig in den Kirchen Palermo’s und der Umgegend, hauptsächlich im Dom von Monreale auf.
Alles in Allem genommen geben gerade diese sorgfältigen spät- byzantinischen Mosaiken Venedigs und Unteritaliens ein merkwürdiges Zeugniss für diejenigen Bedingungen, welche die Kirche Gregors VII an die Kunst stellte. Die Körperlichkeit Christi und der Heiligen ist zur blossen Andeutung eingeschrumpft, aber diese Andeutung wird mit dem grössten Aufwand des Stoffes und mit der emsigsten Sauber- keit zur Darstellung gebracht. Es soll dem Heiligen die möglichste Ehre geschehen; ihm aber Persönlichkeit oder gar Schönheit zu geben wäre überflüssig, da es auch ohne dieses stark genug auf die An- dacht wirkt.
Wahrhaft unzählig sind noch jetzt in Italien die Tafelbilder byzantinischen Styles, hauptsächlich die Madonnen. Die wenigsten freilich stammen aus dem ersten Jahrtausend; weit das Meiste sind Copien nach besonders wunderkräftigen Madonnenbildern und theils erst gegen Ende des Mittelalters, theils auch in ganz neuer Zeit ver- fertigt; ausserdem ist zu erwägen, dass es noch hin und wieder grie- chische Gemeinden in Italien giebt, bei welchen die byzantinische Darstellungsweise rituell geblieben ist. — Die eigenthümlichen Lack- farben, die grünen Fleischschatten, das aufgehöhte Gold der Schraf- firungen machen diese Malereien sehr kenntlich. Ich weiss nicht näher anzugeben, ob man im Typus der Madonna verschiedene Abarten un- terscheidet; schwerlich wird man denselben auf so alte Grundlagen zurückführen können, wie diess beim Christustypus gelungen ist. Die sog. schwarze Mutter Gottes ist kein eigener Typus, sondern aus miss- verstandener Wiederholung altersgebräunter Madonnen entsprungen.
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Malerei des Mittelalters. Byzantinischer Styl.
Messopfer, die wir im Chor von S. Vitale fanden, nur das Opfer
Kains und Abels aufzuweisen.
Von der ganz byzantinischen, ja hauptsächlich von Griechen geüb-
ten Mosaikmalerei des Normannenreiches kenne ich auf dem italischen
Festland ausser einigen unbedeutenden Einzelfiguren nur die Mosaiken
der einen Seitentribuna im Dom von Salerno (nach 1080); S. Marcus
mit vier Heiligen. Bei weitem massenhafter tritt dieser Kunstzweig
in den Kirchen Palermo’s und der Umgegend, hauptsächlich im Dom
von Monreale auf.
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Alles in Allem genommen geben gerade diese sorgfältigen spät-
byzantinischen Mosaiken Venedigs und Unteritaliens ein merkwürdiges
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an die Kunst stellte. Die Körperlichkeit Christi und der Heiligen ist
zur blossen Andeutung eingeschrumpft, aber diese Andeutung wird
mit dem grössten Aufwand des Stoffes und mit der emsigsten Sauber-
keit zur Darstellung gebracht. Es soll dem Heiligen die möglichste
Ehre geschehen; ihm aber Persönlichkeit oder gar Schönheit zu geben
wäre überflüssig, da es auch ohne dieses stark genug auf die An-
dacht wirkt.
Wahrhaft unzählig sind noch jetzt in Italien die Tafelbilder
byzantinischen Styles, hauptsächlich die Madonnen. Die wenigsten
freilich stammen aus dem ersten Jahrtausend; weit das Meiste sind
Copien nach besonders wunderkräftigen Madonnenbildern und theils
erst gegen Ende des Mittelalters, theils auch in ganz neuer Zeit ver-
fertigt; ausserdem ist zu erwägen, dass es noch hin und wieder grie-
chische Gemeinden in Italien giebt, bei welchen die byzantinische
Darstellungsweise rituell geblieben ist. — Die eigenthümlichen Lack-
farben, die grünen Fleischschatten, das aufgehöhte Gold der Schraf-
firungen machen diese Malereien sehr kenntlich. Ich weiss nicht näher
anzugeben, ob man im Typus der Madonna verschiedene Abarten un-
terscheidet; schwerlich wird man denselben auf so alte Grundlagen
zurückführen können, wie diess beim Christustypus gelungen ist. Die
sog. schwarze Mutter Gottes ist kein eigener Typus, sondern aus miss-
verstandener Wiederholung altersgebräunter Madonnen entsprungen.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 738. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/760>, abgerufen am 18.12.2024.
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