den Hauptkuppeln der Kirche: das Pfingstfest, wobei die Anwesenden der fremden Nationen nach Tracht und Aussehen charakterisirt sind (vordere Kuppel); -- Christus mit vier Erzengeln, umgeben von Ma- ria und den Aposteln, ringsum die einzige vollständige Mosaikreihe christlicher Tugenden (mittlere Kuppel); -- die Wunder der Apostel etc. (Kuppel links).
Dem Styl nach sind es Arbeiten sehr verschiedener Zeit; der Über- sicht zu Gefallen mögen sie hier, wie oben S. 579 ff. die Sculpturen im Zusammenhang genannt werden. Den streng byzantinischen völliga erstorbenen Styl repräsentiren die Mosaiken der sämmtlichen Kuppeln (XI. und XII. Jahrh.) mit Ausnahme derjenigen rechts; als das äl- teste, noch dem X. Jahrh. angehörende Stück gilt der Christus zwi- schen Maria und Johannes, innen über der innern Thür. -- Einen wieder etwas gemilderten und belebten byzantinischen Styl zeigen mit zierlichster Ausführung verbunden: die erwähnten Mosaiken der Cap. Zeno, auch jene eine Wandnische der Fassade, u. m. a. Theile. -- Bedeutungsvoller Gegensatz hiezu: die Mosaiken der Vorhalle, so-b wohl vor den drei Thüren als auf der linken Seite der Kirche, wichtige Werke des abendländisch-romanischen Styles etwa aus dem XIII. Jahrh. (mit Ausnahme einiger offenbar moderner Zuthaten), die Geschichten von der Weltschöpfung bis auf Moses, in ganz naiv-lebendiger Er- zählung. -- Wiederum mehr byzantinisch, obwohl erst vom Ende des XIII. und aus dem XIV. Jahrh.: die genannten u. a. Mosaiken der Taufcapelle. -- Ungeschickt giottesk: diejenigen der Capella S. Isi-c doro beim linken Querschiff (um 1350). -- Um 1430 diejenigen in der Capella de' mascoli, von Michiel Giambono, d. h. doch wohl nurd die linke Hälfte des Tonnengewölbes; die rechte verräth eine viel vorzüglichere (vielleicht nicht-venezianische) Hand vom Ende des XV. Jahrh. -- Durch die ganze Kirche zerstreut: Compositionen der Vi-e varini, des Tizian, auch viel Späterer. (Die Kuppel rechts; das Pa- radies am vordern Tonnengewölbe; die meisten Halbrunde der Fassade etc.) -- Ein geistiges Ganzes, mit strengen Bezügen, mit poetisch- dogmatischer Entwicklung bieten diese Mosaiken nicht dar, auch wenn man nur die ältesten zusammennimmt. Selbst die Umgebung des Hoch- altars hat von jenem System alttestamentlicher Beziehungen auf das
B. Cicerone. 47
Mosaiken von S. Marco.
den Hauptkuppeln der Kirche: das Pfingstfest, wobei die Anwesenden der fremden Nationen nach Tracht und Aussehen charakterisirt sind (vordere Kuppel); — Christus mit vier Erzengeln, umgeben von Ma- ria und den Aposteln, ringsum die einzige vollständige Mosaikreihe christlicher Tugenden (mittlere Kuppel); — die Wunder der Apostel etc. (Kuppel links).
Dem Styl nach sind es Arbeiten sehr verschiedener Zeit; der Über- sicht zu Gefallen mögen sie hier, wie oben S. 579 ff. die Sculpturen im Zusammenhang genannt werden. Den streng byzantinischen völliga erstorbenen Styl repräsentiren die Mosaiken der sämmtlichen Kuppeln (XI. und XII. Jahrh.) mit Ausnahme derjenigen rechts; als das äl- teste, noch dem X. Jahrh. angehörende Stück gilt der Christus zwi- schen Maria und Johannes, innen über der innern Thür. — Einen wieder etwas gemilderten und belebten byzantinischen Styl zeigen mit zierlichster Ausführung verbunden: die erwähnten Mosaiken der Cap. Zeno, auch jene eine Wandnische der Fassade, u. m. a. Theile. — Bedeutungsvoller Gegensatz hiezu: die Mosaiken der Vorhalle, so-b wohl vor den drei Thüren als auf der linken Seite der Kirche, wichtige Werke des abendländisch-romanischen Styles etwa aus dem XIII. Jahrh. (mit Ausnahme einiger offenbar moderner Zuthaten), die Geschichten von der Weltschöpfung bis auf Moses, in ganz naiv-lebendiger Er- zählung. — Wiederum mehr byzantinisch, obwohl erst vom Ende des XIII. und aus dem XIV. Jahrh.: die genannten u. a. Mosaiken der Taufcapelle. — Ungeschickt giottesk: diejenigen der Capella S. Isi-c doro beim linken Querschiff (um 1350). — Um 1430 diejenigen in der Capella de’ mascoli, von Michiel Giambono, d. h. doch wohl nurd die linke Hälfte des Tonnengewölbes; die rechte verräth eine viel vorzüglichere (vielleicht nicht-venezianische) Hand vom Ende des XV. Jahrh. — Durch die ganze Kirche zerstreut: Compositionen der Vi-e varini, des Tizian, auch viel Späterer. (Die Kuppel rechts; das Pa- radies am vordern Tonnengewölbe; die meisten Halbrunde der Fassade etc.) — Ein geistiges Ganzes, mit strengen Bezügen, mit poetisch- dogmatischer Entwicklung bieten diese Mosaiken nicht dar, auch wenn man nur die ältesten zusammennimmt. Selbst die Umgebung des Hoch- altars hat von jenem System alttestamentlicher Beziehungen auf das
B. Cicerone. 47
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Mosaiken von S. Marco.
den Hauptkuppeln der Kirche: das Pfingstfest, wobei die Anwesenden
der fremden Nationen nach Tracht und Aussehen charakterisirt sind
(vordere Kuppel); — Christus mit vier Erzengeln, umgeben von Ma-
ria und den Aposteln, ringsum die einzige vollständige Mosaikreihe
christlicher Tugenden (mittlere Kuppel); — die Wunder der Apostel
etc. (Kuppel links).
Dem Styl nach sind es Arbeiten sehr verschiedener Zeit; der Über-
sicht zu Gefallen mögen sie hier, wie oben S. 579 ff. die Sculpturen
im Zusammenhang genannt werden. Den streng byzantinischen völlig
erstorbenen Styl repräsentiren die Mosaiken der sämmtlichen Kuppeln
(XI. und XII. Jahrh.) mit Ausnahme derjenigen rechts; als das äl-
teste, noch dem X. Jahrh. angehörende Stück gilt der Christus zwi-
schen Maria und Johannes, innen über der innern Thür. — Einen
wieder etwas gemilderten und belebten byzantinischen Styl zeigen mit
zierlichster Ausführung verbunden: die erwähnten Mosaiken der Cap.
Zeno, auch jene eine Wandnische der Fassade, u. m. a. Theile. —
Bedeutungsvoller Gegensatz hiezu: die Mosaiken der Vorhalle, so-
wohl vor den drei Thüren als auf der linken Seite der Kirche, wichtige
Werke des abendländisch-romanischen Styles etwa aus dem XIII. Jahrh.
(mit Ausnahme einiger offenbar moderner Zuthaten), die Geschichten
von der Weltschöpfung bis auf Moses, in ganz naiv-lebendiger Er-
zählung. — Wiederum mehr byzantinisch, obwohl erst vom Ende des
XIII. und aus dem XIV. Jahrh.: die genannten u. a. Mosaiken der
Taufcapelle. — Ungeschickt giottesk: diejenigen der Capella S. Isi-
doro beim linken Querschiff (um 1350). — Um 1430 diejenigen in der
Capella de’ mascoli, von Michiel Giambono, d. h. doch wohl nur
die linke Hälfte des Tonnengewölbes; die rechte verräth eine viel
vorzüglichere (vielleicht nicht-venezianische) Hand vom Ende des XV.
Jahrh. — Durch die ganze Kirche zerstreut: Compositionen der Vi-
varini, des Tizian, auch viel Späterer. (Die Kuppel rechts; das Pa-
radies am vordern Tonnengewölbe; die meisten Halbrunde der Fassade
etc.) — Ein geistiges Ganzes, mit strengen Bezügen, mit poetisch-
dogmatischer Entwicklung bieten diese Mosaiken nicht dar, auch wenn
man nur die ältesten zusammennimmt. Selbst die Umgebung des Hoch-
altars hat von jenem System alttestamentlicher Beziehungen auf das
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 737. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/759>, abgerufen am 18.12.2024.
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