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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Mosaiken des VII. bis IX. Jahrhunderts.

In Rom gehören hieher die Tribunenmosaiken in S. Agnese fuoria
(625--638), und in einer der Nebencapellen des lateranischen Bapti-
steriums, dem sog. Oratorio di S. Venanzio (640--642). Letztere Ar-b
beit zeigt schon deutlich, dass der letzte Gluthfunke von Freiheit, von
Theilnahme und Freude des Künstlers am eigenen Werk erloschen
ist. Kein Wunder, dass derselbe bereits das nicht mehr versteht,
was er wiederholt. -- Einzelne kleinere Reste: in der kleinen Tribunac
von S. Stefano rotondo (642--649); -- auf einem der Altäre links in
S. Pietro in Vincoli (S. Sebastian als Votivbild der Pest von 680,d
hier noch bekleidet und als Greis gebildet) u. a. m.

Ein letztes, obwohl erfolgloses Aufraffen gegen den Byzantinis-
mus kann man etwa in den (stark restaurirten) Chormosaiken von S.e
Ambrogio in Mailand (832) anerkennen, obwohl auch hier die
Inschriften zum Theil griechisch sind. Die Gesichtszüge sind schon
in rohen Umrissen, die Gewänder in einem schroffen Changeant (von
weiss, grün und roth) gegeben, die Vertheilung der an Grösse sehr
ungleichen Gestalten im Raum schon ganz ungeschickt, und doch ist
noch viel mehr Leben darin, als in den gleichzeitigen römischen
Arbeiten 1).

Diese versinken nämlich, vom Beginn des IX. Jahrh. an, in eine
ganz barbarische Rohheit, welche kulturgeschichtlich nicht ganz leicht
zu erklären ist; die byzantinische Kunst nämlich, deren Auffassungs-
weise hier vollkommen durchgedrungen erscheint, tritt uns sonst über-
all mit einer viel zierlicheren Ausführung entgegen als gerade hier.

Das sachlich merkwürdigste dieser Mosaiken, dasjenige aus dem
Triclinium Leo's III (um 800), ist bei seiner Übertragung an die Ca-f

1) Zugleich interessant als Inbegriff sämmtlicher damaligen Schutzpatrone von
Mailand. Christus unter einer Glorie thronend, umgeben von Michael und
Gabriel, weiter S. Gervasius und S. Protasius, unten in runden Einfassungen
S. Candida, S. Satyrus und S. Marcellina; links die Stadt Tours und S. Am-
brosius bei der Bestattung des h. Martin; rechts die Stadt Mailand und
S. Ambrosius und S. Augustin an Pulten sitzend. -- Es dauerte lange, bis
aus solchen Elementen Bilder wie Rafaels Madonna di Foligno und heil. Cä-
cilia oder wie die sante conversazioni Tizians entstanden.
In einer Nebencapelle rechts von der Kirche enthält die Kuppel das Brust-*
bild des heil. Satyrus auf Goldgrund, etwas älter als die Mos. der Tribuna.
Mosaiken des VII. bis IX. Jahrhunderts.

In Rom gehören hieher die Tribunenmosaiken in S. Agnese fuoria
(625—638), und in einer der Nebencapellen des lateranischen Bapti-
steriums, dem sog. Oratorio di S. Venanzio (640—642). Letztere Ar-b
beit zeigt schon deutlich, dass der letzte Gluthfunke von Freiheit, von
Theilnahme und Freude des Künstlers am eigenen Werk erloschen
ist. Kein Wunder, dass derselbe bereits das nicht mehr versteht,
was er wiederholt. — Einzelne kleinere Reste: in der kleinen Tribunac
von S. Stefano rotondo (642—649); — auf einem der Altäre links in
S. Pietro in Vincoli (S. Sebastian als Votivbild der Pest von 680,d
hier noch bekleidet und als Greis gebildet) u. a. m.

Ein letztes, obwohl erfolgloses Aufraffen gegen den Byzantinis-
mus kann man etwa in den (stark restaurirten) Chormosaiken von S.e
Ambrogio in Mailand (832) anerkennen, obwohl auch hier die
Inschriften zum Theil griechisch sind. Die Gesichtszüge sind schon
in rohen Umrissen, die Gewänder in einem schroffen Changeant (von
weiss, grün und roth) gegeben, die Vertheilung der an Grösse sehr
ungleichen Gestalten im Raum schon ganz ungeschickt, und doch ist
noch viel mehr Leben darin, als in den gleichzeitigen römischen
Arbeiten 1).

Diese versinken nämlich, vom Beginn des IX. Jahrh. an, in eine
ganz barbarische Rohheit, welche kulturgeschichtlich nicht ganz leicht
zu erklären ist; die byzantinische Kunst nämlich, deren Auffassungs-
weise hier vollkommen durchgedrungen erscheint, tritt uns sonst über-
all mit einer viel zierlicheren Ausführung entgegen als gerade hier.

Das sachlich merkwürdigste dieser Mosaiken, dasjenige aus dem
Triclinium Leo’s III (um 800), ist bei seiner Übertragung an die Ca-f

1) Zugleich interessant als Inbegriff sämmtlicher damaligen Schutzpatrone von
Mailand. Christus unter einer Glorie thronend, umgeben von Michael und
Gabriel, weiter S. Gervasius und S. Protasius, unten in runden Einfassungen
S. Candida, S. Satyrus und S. Marcellina; links die Stadt Tours und S. Am-
brosius bei der Bestattung des h. Martin; rechts die Stadt Mailand und
S. Ambrosius und S. Augustin an Pulten sitzend. — Es dauerte lange, bis
aus solchen Elementen Bilder wie Rafaels Madonna di Foligno und heil. Cä-
cilia oder wie die sante conversazioni Tizians entstanden.
In einer Nebencapelle rechts von der Kirche enthält die Kuppel das Brust-*
bild des heil. Satyrus auf Goldgrund, etwas älter als die Mos. der Tribuna.
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[735/0757] Mosaiken des VII. bis IX. Jahrhunderts. In Rom gehören hieher die Tribunenmosaiken in S. Agnese fuori (625—638), und in einer der Nebencapellen des lateranischen Bapti- steriums, dem sog. Oratorio di S. Venanzio (640—642). Letztere Ar- beit zeigt schon deutlich, dass der letzte Gluthfunke von Freiheit, von Theilnahme und Freude des Künstlers am eigenen Werk erloschen ist. Kein Wunder, dass derselbe bereits das nicht mehr versteht, was er wiederholt. — Einzelne kleinere Reste: in der kleinen Tribuna von S. Stefano rotondo (642—649); — auf einem der Altäre links in S. Pietro in Vincoli (S. Sebastian als Votivbild der Pest von 680, hier noch bekleidet und als Greis gebildet) u. a. m. a b c d Ein letztes, obwohl erfolgloses Aufraffen gegen den Byzantinis- mus kann man etwa in den (stark restaurirten) Chormosaiken von S. Ambrogio in Mailand (832) anerkennen, obwohl auch hier die Inschriften zum Theil griechisch sind. Die Gesichtszüge sind schon in rohen Umrissen, die Gewänder in einem schroffen Changeant (von weiss, grün und roth) gegeben, die Vertheilung der an Grösse sehr ungleichen Gestalten im Raum schon ganz ungeschickt, und doch ist noch viel mehr Leben darin, als in den gleichzeitigen römischen Arbeiten 1). e Diese versinken nämlich, vom Beginn des IX. Jahrh. an, in eine ganz barbarische Rohheit, welche kulturgeschichtlich nicht ganz leicht zu erklären ist; die byzantinische Kunst nämlich, deren Auffassungs- weise hier vollkommen durchgedrungen erscheint, tritt uns sonst über- all mit einer viel zierlicheren Ausführung entgegen als gerade hier. Das sachlich merkwürdigste dieser Mosaiken, dasjenige aus dem Triclinium Leo’s III (um 800), ist bei seiner Übertragung an die Ca- f 1) Zugleich interessant als Inbegriff sämmtlicher damaligen Schutzpatrone von Mailand. Christus unter einer Glorie thronend, umgeben von Michael und Gabriel, weiter S. Gervasius und S. Protasius, unten in runden Einfassungen S. Candida, S. Satyrus und S. Marcellina; links die Stadt Tours und S. Am- brosius bei der Bestattung des h. Martin; rechts die Stadt Mailand und S. Ambrosius und S. Augustin an Pulten sitzend. — Es dauerte lange, bis aus solchen Elementen Bilder wie Rafaels Madonna di Foligno und heil. Cä- cilia oder wie die sante conversazioni Tizians entstanden. In einer Nebencapelle rechts von der Kirche enthält die Kuppel das Brust- bild des heil. Satyrus auf Goldgrund, etwas älter als die Mos. der Tribuna.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 735. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/757>, abgerufen am 18.12.2024.