nackte in kauernder Stellung. -- Eine Sprechende, bekleidet, gebückt stehend, den einen Fuss auf einen Stein gestützt, mit der Rechten ge- sticulirend. -- Eine verhüllt sitzende trauernde Frau. -- Schmausende beider Geschlechter. -- Die Pferde, ohne alle Genauigkeit, aber im- mer voll Lebens; ein ruhigstehendes und ein dahersprengendes Vier- gespann, in hunderten von Wiederholungen. -- Ein trefflich bewegter, schwebender Reiter.
Solche und andere einzelne Gedanken der griechischen Kunst, welche diese anspruchlosen Denkmäler in Fülle gewähren, würden allein schon genügen, um dem Geiste jenes Volkes eine ewige Be- wunderung zu sichern.
Neben diesem Reichthum kann man nur mit Schmerzen Desjeni- gen gedenken, was uns verloren ist. Von Polygnot und der alten athenischen Schule, von Zeuxis, Parrhasios und den übrigen Joniern, von Pausias und Euphranor, auch von dem grossen Apelles, ja von hundert griechischen Malern, welche noch dem Plinius und Quinti- lian bekannt waren, ist uns keine Linie, kein Pinselstrich, sondern der blosse Name übrig. Vergebens bemüht man sich, aus Andeutungen der Schriftsteller ein Bild der Style dieser Künstler herzustellen, und miss- lich bleibt es immer, aus den vorhandenen pompejanischen und andern Malereien Motive nach bestimmten alten Meistern herausrathen zu wollen.
Im Allgemeinen aber ist so viel sicher, dass das Beste, was wir von antiken Malereien besitzen, in der Erfindung weit vorzüglicher ist, als insgemein in der Ausführung. Jene grossen alten Maler leben theil- weise noch, nur anonym und schattenhaft in Copien fort; es rettete sie jener Grundzug alles antiken Kunsttreibens: die Wiederholung des anerkannt Trefflichen.
Diess gilt zunächst von denjenigen Überresten, welche zu Rom in einem nach dem Garten hinausgebauten Gemach der vaticanischen Bibliothek aufbewahrt werden. Sowohl die sog. aldobrandinische Hochzeit -- ein Werk, welches auch nach der Entdeckung Pom- peji's seinen hohen, ja einzigen Werth behält -- als die fünf Bilder mythischer Frauen deuten auf Originale der besten Zeit zurück.
Wandmalereien. In Rom.
nackte in kauernder Stellung. — Eine Sprechende, bekleidet, gebückt stehend, den einen Fuss auf einen Stein gestützt, mit der Rechten ge- sticulirend. — Eine verhüllt sitzende trauernde Frau. — Schmausende beider Geschlechter. — Die Pferde, ohne alle Genauigkeit, aber im- mer voll Lebens; ein ruhigstehendes und ein dahersprengendes Vier- gespann, in hunderten von Wiederholungen. — Ein trefflich bewegter, schwebender Reiter.
Solche und andere einzelne Gedanken der griechischen Kunst, welche diese anspruchlosen Denkmäler in Fülle gewähren, würden allein schon genügen, um dem Geiste jenes Volkes eine ewige Be- wunderung zu sichern.
Neben diesem Reichthum kann man nur mit Schmerzen Desjeni- gen gedenken, was uns verloren ist. Von Polygnot und der alten athenischen Schule, von Zeuxis, Parrhasios und den übrigen Joniern, von Pausias und Euphranor, auch von dem grossen Apelles, ja von hundert griechischen Malern, welche noch dem Plinius und Quinti- lian bekannt waren, ist uns keine Linie, kein Pinselstrich, sondern der blosse Name übrig. Vergebens bemüht man sich, aus Andeutungen der Schriftsteller ein Bild der Style dieser Künstler herzustellen, und miss- lich bleibt es immer, aus den vorhandenen pompejanischen und andern Malereien Motive nach bestimmten alten Meistern herausrathen zu wollen.
Im Allgemeinen aber ist so viel sicher, dass das Beste, was wir von antiken Malereien besitzen, in der Erfindung weit vorzüglicher ist, als insgemein in der Ausführung. Jene grossen alten Maler leben theil- weise noch, nur anonym und schattenhaft in Copien fort; es rettete sie jener Grundzug alles antiken Kunsttreibens: die Wiederholung des anerkannt Trefflichen.
Diess gilt zunächst von denjenigen Überresten, welche zu Rom in einem nach dem Garten hinausgebauten Gemach der vaticanischen Bibliothek aufbewahrt werden. Sowohl die sog. aldobrandinische Hochzeit — ein Werk, welches auch nach der Entdeckung Pom- peji’s seinen hohen, ja einzigen Werth behält — als die fünf Bilder mythischer Frauen deuten auf Originale der besten Zeit zurück.
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Wandmalereien. In Rom.
nackte in kauernder Stellung. — Eine Sprechende, bekleidet, gebückt
stehend, den einen Fuss auf einen Stein gestützt, mit der Rechten ge-
sticulirend. — Eine verhüllt sitzende trauernde Frau. — Schmausende
beider Geschlechter. — Die Pferde, ohne alle Genauigkeit, aber im-
mer voll Lebens; ein ruhigstehendes und ein dahersprengendes Vier-
gespann, in hunderten von Wiederholungen. — Ein trefflich bewegter,
schwebender Reiter.
Solche und andere einzelne Gedanken der griechischen Kunst,
welche diese anspruchlosen Denkmäler in Fülle gewähren, würden
allein schon genügen, um dem Geiste jenes Volkes eine ewige Be-
wunderung zu sichern.
Neben diesem Reichthum kann man nur mit Schmerzen Desjeni-
gen gedenken, was uns verloren ist. Von Polygnot und der alten
athenischen Schule, von Zeuxis, Parrhasios und den übrigen Joniern,
von Pausias und Euphranor, auch von dem grossen Apelles, ja von
hundert griechischen Malern, welche noch dem Plinius und Quinti-
lian bekannt waren, ist uns keine Linie, kein Pinselstrich, sondern der
blosse Name übrig. Vergebens bemüht man sich, aus Andeutungen der
Schriftsteller ein Bild der Style dieser Künstler herzustellen, und miss-
lich bleibt es immer, aus den vorhandenen pompejanischen und andern
Malereien Motive nach bestimmten alten Meistern herausrathen zu
wollen.
Im Allgemeinen aber ist so viel sicher, dass das Beste, was wir
von antiken Malereien besitzen, in der Erfindung weit vorzüglicher ist,
als insgemein in der Ausführung. Jene grossen alten Maler leben theil-
weise noch, nur anonym und schattenhaft in Copien fort; es rettete
sie jener Grundzug alles antiken Kunsttreibens: die Wiederholung des
anerkannt Trefflichen.
Diess gilt zunächst von denjenigen Überresten, welche zu Rom
in einem nach dem Garten hinausgebauten Gemach der vaticanischen
Bibliothek aufbewahrt werden. Sowohl die sog. aldobrandinische
Hochzeit — ein Werk, welches auch nach der Entdeckung Pom-
peji’s seinen hohen, ja einzigen Werth behält — als die fünf Bilder
mythischer Frauen deuten auf Originale der besten Zeit zurück.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 719. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/741>, abgerufen am 18.12.2024.
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