adiess bei der Grotte der Egeria, welche weniger um ihres ge- ringfügigen Nischenwerkes als um ihrer ganz wunderbaren vegetabili- schen und landschaftlichen Umgebung willen den Besucher auf immer fesselt. Und diese Grotte ist nur eine von vielen, die das liebliche Thal zierten und nun spurlos verschwunden sind. -- Ebenso ist das bniedliche Tempelchen über der Quelledes Clitumnus (an der Strasse zwischen Spoleto und Foligno, "alle Vene") nur eines von den vielen, die einst von dem schönen, bewaldeten Abhang niederschauten. Trotz später und unreiner Formen (z. B. gewundene und geschuppte Säulen u. dgl.) ist es doch wohl noch aus heidnischer Zeit und mit den christ- lichen Emblemen erst in der Folge versehen worden 1). Der Archi- tekt kann sich kaum eine lehrreichere Frage vorlegen als die: woher dem kleinen, nichts weniger als mustergültigen Gebäude seine unver- hältnissmässige Wirkung komme?
Die römischen Häuser, Villen und Paläste bilden schon in ihrer Anlage einen durchgehenden Contrast gegen die modernen Wohnbauten. Letztere, sobald sie einen monumentalen Charakter an- nehmen, nähern sich dem Schlosse, welches im Mittelalter die Woh- nung der höhern Stände war, und sich nur allmählig (wie z. B. Flo- renz beweist) zum Palast im modernen Sinne, d. h. doch immer zu einem geschmückten Hochbau von mehrern Stockwerken ausbildete; eine Form, welche dann ohne alle Noth auch für die modernen Land- häuser beibehalten wurde. Der Hauptausdruck des ganzen Gebäudes ist die Fassade.
Bei den Alten war diese eine Nebensache; in Pompeji haben selbst cGebäude wie z. B. die Casa del Fauno nach aussen nur glatte Mauern oder auch Buden, und von den Wohnungen der Grossen in Rom selbst darf man wenigstens vermuthen, dass der Schmuck der Vorderwand mit dem Vestibulum nur eine ganz bescheidene Stelle einnahm neben der Pracht des Innern. -- Sodann war bei den Alten der Bau zu meh- reren Stockwerken in der Regel nur eine Sache der Noth, die man
1) Oder in christlicher Zeit aus den Fragmenten der umliegenden Heiligthümer zusammengebaut?
Architektur. Häuser, Villen und Paläste.
adiess bei der Grotte der Egeria, welche weniger um ihres ge- ringfügigen Nischenwerkes als um ihrer ganz wunderbaren vegetabili- schen und landschaftlichen Umgebung willen den Besucher auf immer fesselt. Und diese Grotte ist nur eine von vielen, die das liebliche Thal zierten und nun spurlos verschwunden sind. — Ebenso ist das bniedliche Tempelchen über der Quelledes Clitumnus (an der Strasse zwischen Spoleto und Foligno, „alle Vene“) nur eines von den vielen, die einst von dem schönen, bewaldeten Abhang niederschauten. Trotz später und unreiner Formen (z. B. gewundene und geschuppte Säulen u. dgl.) ist es doch wohl noch aus heidnischer Zeit und mit den christ- lichen Emblemen erst in der Folge versehen worden 1). Der Archi- tekt kann sich kaum eine lehrreichere Frage vorlegen als die: woher dem kleinen, nichts weniger als mustergültigen Gebäude seine unver- hältnissmässige Wirkung komme?
Die römischen Häuser, Villen und Paläste bilden schon in ihrer Anlage einen durchgehenden Contrast gegen die modernen Wohnbauten. Letztere, sobald sie einen monumentalen Charakter an- nehmen, nähern sich dem Schlosse, welches im Mittelalter die Woh- nung der höhern Stände war, und sich nur allmählig (wie z. B. Flo- renz beweist) zum Palast im modernen Sinne, d. h. doch immer zu einem geschmückten Hochbau von mehrern Stockwerken ausbildete; eine Form, welche dann ohne alle Noth auch für die modernen Land- häuser beibehalten wurde. Der Hauptausdruck des ganzen Gebäudes ist die Fassade.
Bei den Alten war diese eine Nebensache; in Pompeji haben selbst cGebäude wie z. B. die Casa del Fauno nach aussen nur glatte Mauern oder auch Buden, und von den Wohnungen der Grossen in Rom selbst darf man wenigstens vermuthen, dass der Schmuck der Vorderwand mit dem Vestibulum nur eine ganz bescheidene Stelle einnahm neben der Pracht des Innern. — Sodann war bei den Alten der Bau zu meh- reren Stockwerken in der Regel nur eine Sache der Noth, die man
1) Oder in christlicher Zeit aus den Fragmenten der umliegenden Heiligthümer zusammengebaut?
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Architektur. Häuser, Villen und Paläste.
diess bei der Grotte der Egeria, welche weniger um ihres ge-
ringfügigen Nischenwerkes als um ihrer ganz wunderbaren vegetabili-
schen und landschaftlichen Umgebung willen den Besucher auf immer
fesselt. Und diese Grotte ist nur eine von vielen, die das liebliche
Thal zierten und nun spurlos verschwunden sind. — Ebenso ist das
niedliche Tempelchen über der Quelledes Clitumnus (an der Strasse
zwischen Spoleto und Foligno, „alle Vene“) nur eines von den vielen,
die einst von dem schönen, bewaldeten Abhang niederschauten. Trotz
später und unreiner Formen (z. B. gewundene und geschuppte Säulen
u. dgl.) ist es doch wohl noch aus heidnischer Zeit und mit den christ-
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tekt kann sich kaum eine lehrreichere Frage vorlegen als die: woher
dem kleinen, nichts weniger als mustergültigen Gebäude seine unver-
hältnissmässige Wirkung komme?
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Die römischen Häuser, Villen und Paläste bilden schon
in ihrer Anlage einen durchgehenden Contrast gegen die modernen
Wohnbauten. Letztere, sobald sie einen monumentalen Charakter an-
nehmen, nähern sich dem Schlosse, welches im Mittelalter die Woh-
nung der höhern Stände war, und sich nur allmählig (wie z. B. Flo-
renz beweist) zum Palast im modernen Sinne, d. h. doch immer zu
einem geschmückten Hochbau von mehrern Stockwerken ausbildete;
eine Form, welche dann ohne alle Noth auch für die modernen Land-
häuser beibehalten wurde. Der Hauptausdruck des ganzen Gebäudes
ist die Fassade.
Bei den Alten war diese eine Nebensache; in Pompeji haben selbst
Gebäude wie z. B. die Casa del Fauno nach aussen nur glatte Mauern
oder auch Buden, und von den Wohnungen der Grossen in Rom selbst
darf man wenigstens vermuthen, dass der Schmuck der Vorderwand mit
dem Vestibulum nur eine ganz bescheidene Stelle einnahm neben der
Pracht des Innern. — Sodann war bei den Alten der Bau zu meh-
reren Stockwerken in der Regel nur eine Sache der Noth, die man
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/74>, abgerufen am 05.12.2024.
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