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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Barocksculptur. Farbige Bemalung.

Endlich erkennt der Naturalismus der berninischen Plastik seine
eigenen Consequenzen offen an. Wenn einmal die Darstellung eines
möglichst aufregenden Wirklichen das höchste Ziel des Bildhauers sein
soll, so gebe er die letzten academischen Vorurtheile über Linien,
über Gruppenbildung u. dgl. auf und arbeite ganz auf dieses Wirk-
liche hin, d. h. er füge die Farbe hinzu! Schon das Mittelalter,
dann die realistischen florentinischen Bildner des XV. Jahrh., die
Robbia, vorzüglich Guido Mazzoni, waren hierin ziemlich weit ge-
gangen; überdiess wird das bemalte Bildwerk eine Verständlichkeit
für sich haben und einer Popularität geniessen, um welche man es
zu wenig beneidet.

Und es entstanden wieder zahllose bemalte Heiligenfiguren von
Holz, Stucco und Stein. Wer sich von Bildhauern irgend etwas
dünkte, wollte allerdings mit dieser Gattung nichts zu thun haben;
die academische Kunst schloss kein Verhältniss mehr mit ihr; sie
mied die Verwandtschaft und Concurrenz mit jenen periodisch neu
drapirten Wachspuppen, welche z. B. in Glaskasten auf den Altären
neapolitanischer Kirchen prangen. Allein bisweilen verspinnt sich
doch ein schönes Talent in die bemalte Sculptur und leistet darin
Vorzügliches. In Genua lebte um das Jahr 1700 ein Künstler dieser
Art, Maragliano, dessen Arbeiten ungleich erfreulicher sind als
die meisten Papstgräber in S. Peter. Man überliess ihm meist eine
ganze, etwa besonders von oben beleuchtete Nische über dem Altar,
in welcher er seine Figuren ohne den Anspruch auf eine plastische
Gruppe, vielmehr bloss malerisch ordnete. Mit der Farbe hatte er
auch dazu das Recht, während jene Sculptoren in Marmor, die ihre
Nischengruppen ähnlich bildeten, ein wüstes Zwitterwesen hervor-
brachten. -- Gegen das unheimlich Illusionäre der Wachsbilder schützte
ihn die plastische und in seinem Sinn ideale Gewandung. Sein Ma-
terial ist, wie ich glaube, bloss Holz (bei grössern Figuren von zu-
sammengenieteten Blöcken), ohne Nachhülfe mit Stucco.

Diese Arbeiten sind gleichsam eine höhere Gattung der Präsepien,
welche in Italien noch gegenwärtig um die Zeit des Dreikönigstages
in den Kirchen (im Kleinen auch in Privathäusern) aufgestellt wer-
den; nur hier mehr künstlerisch abgeschlossen und mit einem bedeu-
tenden Talent, mit Fleiss und Liebe durchgeführt. Maragliano ist

Barocksculptur. Farbige Bemalung.

Endlich erkennt der Naturalismus der berninischen Plastik seine
eigenen Consequenzen offen an. Wenn einmal die Darstellung eines
möglichst aufregenden Wirklichen das höchste Ziel des Bildhauers sein
soll, so gebe er die letzten academischen Vorurtheile über Linien,
über Gruppenbildung u. dgl. auf und arbeite ganz auf dieses Wirk-
liche hin, d. h. er füge die Farbe hinzu! Schon das Mittelalter,
dann die realistischen florentinischen Bildner des XV. Jahrh., die
Robbia, vorzüglich Guido Mazzoni, waren hierin ziemlich weit ge-
gangen; überdiess wird das bemalte Bildwerk eine Verständlichkeit
für sich haben und einer Popularität geniessen, um welche man es
zu wenig beneidet.

Und es entstanden wieder zahllose bemalte Heiligenfiguren von
Holz, Stucco und Stein. Wer sich von Bildhauern irgend etwas
dünkte, wollte allerdings mit dieser Gattung nichts zu thun haben;
die academische Kunst schloss kein Verhältniss mehr mit ihr; sie
mied die Verwandtschaft und Concurrenz mit jenen periodisch neu
drapirten Wachspuppen, welche z. B. in Glaskasten auf den Altären
neapolitanischer Kirchen prangen. Allein bisweilen verspinnt sich
doch ein schönes Talent in die bemalte Sculptur und leistet darin
Vorzügliches. In Genua lebte um das Jahr 1700 ein Künstler dieser
Art, Maragliano, dessen Arbeiten ungleich erfreulicher sind als
die meisten Papstgräber in S. Peter. Man überliess ihm meist eine
ganze, etwa besonders von oben beleuchtete Nische über dem Altar,
in welcher er seine Figuren ohne den Anspruch auf eine plastische
Gruppe, vielmehr bloss malerisch ordnete. Mit der Farbe hatte er
auch dazu das Recht, während jene Sculptoren in Marmor, die ihre
Nischengruppen ähnlich bildeten, ein wüstes Zwitterwesen hervor-
brachten. — Gegen das unheimlich Illusionäre der Wachsbilder schützte
ihn die plastische und in seinem Sinn ideale Gewandung. Sein Ma-
terial ist, wie ich glaube, bloss Holz (bei grössern Figuren von zu-
sammengenieteten Blöcken), ohne Nachhülfe mit Stucco.

Diese Arbeiten sind gleichsam eine höhere Gattung der Präsepien,
welche in Italien noch gegenwärtig um die Zeit des Dreikönigstages
in den Kirchen (im Kleinen auch in Privathäusern) aufgestellt wer-
den; nur hier mehr künstlerisch abgeschlossen und mit einem bedeu-
tenden Talent, mit Fleiss und Liebe durchgeführt. Maragliano ist

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[710/0732] Barocksculptur. Farbige Bemalung. Endlich erkennt der Naturalismus der berninischen Plastik seine eigenen Consequenzen offen an. Wenn einmal die Darstellung eines möglichst aufregenden Wirklichen das höchste Ziel des Bildhauers sein soll, so gebe er die letzten academischen Vorurtheile über Linien, über Gruppenbildung u. dgl. auf und arbeite ganz auf dieses Wirk- liche hin, d. h. er füge die Farbe hinzu! Schon das Mittelalter, dann die realistischen florentinischen Bildner des XV. Jahrh., die Robbia, vorzüglich Guido Mazzoni, waren hierin ziemlich weit ge- gangen; überdiess wird das bemalte Bildwerk eine Verständlichkeit für sich haben und einer Popularität geniessen, um welche man es zu wenig beneidet. Und es entstanden wieder zahllose bemalte Heiligenfiguren von Holz, Stucco und Stein. Wer sich von Bildhauern irgend etwas dünkte, wollte allerdings mit dieser Gattung nichts zu thun haben; die academische Kunst schloss kein Verhältniss mehr mit ihr; sie mied die Verwandtschaft und Concurrenz mit jenen periodisch neu drapirten Wachspuppen, welche z. B. in Glaskasten auf den Altären neapolitanischer Kirchen prangen. Allein bisweilen verspinnt sich doch ein schönes Talent in die bemalte Sculptur und leistet darin Vorzügliches. In Genua lebte um das Jahr 1700 ein Künstler dieser Art, Maragliano, dessen Arbeiten ungleich erfreulicher sind als die meisten Papstgräber in S. Peter. Man überliess ihm meist eine ganze, etwa besonders von oben beleuchtete Nische über dem Altar, in welcher er seine Figuren ohne den Anspruch auf eine plastische Gruppe, vielmehr bloss malerisch ordnete. Mit der Farbe hatte er auch dazu das Recht, während jene Sculptoren in Marmor, die ihre Nischengruppen ähnlich bildeten, ein wüstes Zwitterwesen hervor- brachten. — Gegen das unheimlich Illusionäre der Wachsbilder schützte ihn die plastische und in seinem Sinn ideale Gewandung. Sein Ma- terial ist, wie ich glaube, bloss Holz (bei grössern Figuren von zu- sammengenieteten Blöcken), ohne Nachhülfe mit Stucco. Diese Arbeiten sind gleichsam eine höhere Gattung der Präsepien, welche in Italien noch gegenwärtig um die Zeit des Dreikönigstages in den Kirchen (im Kleinen auch in Privathäusern) aufgestellt wer- den; nur hier mehr künstlerisch abgeschlossen und mit einem bedeu- tenden Talent, mit Fleiss und Liebe durchgeführt. Maragliano ist

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 710. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/732>, abgerufen am 18.12.2024.