Affecte so einfach sind, dass man sie nicht wohl durch Pathos ver- derben kann (was einzelne Künstler dennoch versucht haben). Al- gardi und Duquesnoy genossen zu ihrer Zeit einen gerechten Ruhm für ihre oft ganz naiven und schönen Kinderfiguren. (Von letzterm ein paar Köpfe an den Grabmälern der zwei hintersten Pfei-a ler in S. Maria dell' Anima zu Rom.) Von ihren Nachfolgern lässt sich nicht mehr so viel Gutes sagen; die Putten wurden in so be- sinnungsloser Masse decorativ verbraucht, dass die Kunst es damit allmählig leicht nahm. Und doch wird man selbst unter den von Stucco zu Tausenden improvisirten Figuren dieser Art sehr viele wahre und schöne Motive finden, die nur unter der manierirten und sorglo- sen Einzelbildung zu Grunde gehen.
Selbst einzelne Idealköpfe der Schule haben einen Werth, der sie doch immer mit guten bolognesischen Gemälden in eine Reihe stellt. Das XVII. Jahrhundert hatte wohl im Ganzen einen andern Begriff von Schönheit als wir und legte namentlich den Accent des Leibreizes auf eine andere Stelle, wovon Mehreres bei Anlass der Malerei; allein desshalb werden wir doch z. B. gewissen Köpfen Algardi's (z. B. im rechten Querschiff von S. Carlo zu Genua), oder der Statue derb Mathildis von Bernini (in S. Peter) eine dauernde Schönheit nichtc ganz abstreiten dürfen. Hie und da ist die Einwirkung der (damals noch in Rom befindlichen und vielstudirten) Niobetöchter nicht zu ver- kennen. Anderes ist mehr national-italienisch. Selbst ohne höhern geistigen Adel nehmen sich doch manche Madonnenköpfe, frei behandelt und zwanglos gestellt wie sie sind, recht gut aus. So z. B. mehrere Assunten des Filippo Parodi auf genuesischen Hochaltären. Im Ganzen ist freilich die ideale Form etwas geistesleer.
Die sog. Charakterköpfe folgen ganz der Art der damaligen Maler, und zwar nicht der bessern. Bernini selber steht dem Pietro da Cortona viel näher als etwa dem Guercino; seine männlichen Indi- viduen sind von jenem gemein-heroischen Ausdruck, der in der Ma- lerei erst seit der Epoche der gänzlichen Verflachung (1650) herr- schend wurde. An seinem Constantin (unten an der Scala regia imd Vatican) hat man den mittlern Durchschnitt dessen, was er für einen würdigen Typus des Mannes und des Pferdes hielt; sein Pluto (Villae Ludovisi) ist in der Kopfbildung ein Excess der cortonistischen Richtung.
Kinder. Idealköpfe. Charakterköpfe.
Affecte so einfach sind, dass man sie nicht wohl durch Pathos ver- derben kann (was einzelne Künstler dennoch versucht haben). Al- gardi und Duquesnoy genossen zu ihrer Zeit einen gerechten Ruhm für ihre oft ganz naiven und schönen Kinderfiguren. (Von letzterm ein paar Köpfe an den Grabmälern der zwei hintersten Pfei-a ler in S. Maria dell’ Anima zu Rom.) Von ihren Nachfolgern lässt sich nicht mehr so viel Gutes sagen; die Putten wurden in so be- sinnungsloser Masse decorativ verbraucht, dass die Kunst es damit allmählig leicht nahm. Und doch wird man selbst unter den von Stucco zu Tausenden improvisirten Figuren dieser Art sehr viele wahre und schöne Motive finden, die nur unter der manierirten und sorglo- sen Einzelbildung zu Grunde gehen.
Selbst einzelne Idealköpfe der Schule haben einen Werth, der sie doch immer mit guten bolognesischen Gemälden in eine Reihe stellt. Das XVII. Jahrhundert hatte wohl im Ganzen einen andern Begriff von Schönheit als wir und legte namentlich den Accent des Leibreizes auf eine andere Stelle, wovon Mehreres bei Anlass der Malerei; allein desshalb werden wir doch z. B. gewissen Köpfen Algardi’s (z. B. im rechten Querschiff von S. Carlo zu Genua), oder der Statue derb Mathildis von Bernini (in S. Peter) eine dauernde Schönheit nichtc ganz abstreiten dürfen. Hie und da ist die Einwirkung der (damals noch in Rom befindlichen und vielstudirten) Niobetöchter nicht zu ver- kennen. Anderes ist mehr national-italienisch. Selbst ohne höhern geistigen Adel nehmen sich doch manche Madonnenköpfe, frei behandelt und zwanglos gestellt wie sie sind, recht gut aus. So z. B. mehrere Assunten des Filippo Parodi auf genuesischen Hochaltären. Im Ganzen ist freilich die ideale Form etwas geistesleer.
Die sog. Charakterköpfe folgen ganz der Art der damaligen Maler, und zwar nicht der bessern. Bernini selber steht dem Pietro da Cortona viel näher als etwa dem Guercino; seine männlichen Indi- viduen sind von jenem gemein-heroischen Ausdruck, der in der Ma- lerei erst seit der Epoche der gänzlichen Verflachung (1650) herr- schend wurde. An seinem Constantin (unten an der Scala regia imd Vatican) hat man den mittlern Durchschnitt dessen, was er für einen würdigen Typus des Mannes und des Pferdes hielt; sein Pluto (Villae Ludovisi) ist in der Kopfbildung ein Excess der cortonistischen Richtung.
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Kinder. Idealköpfe. Charakterköpfe.
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gardi und Duquesnoy genossen zu ihrer Zeit einen gerechten
Ruhm für ihre oft ganz naiven und schönen Kinderfiguren. (Von
letzterm ein paar Köpfe an den Grabmälern der zwei hintersten Pfei-
ler in S. Maria dell’ Anima zu Rom.) Von ihren Nachfolgern lässt
sich nicht mehr so viel Gutes sagen; die Putten wurden in so be-
sinnungsloser Masse decorativ verbraucht, dass die Kunst es damit
allmählig leicht nahm. Und doch wird man selbst unter den von
Stucco zu Tausenden improvisirten Figuren dieser Art sehr viele wahre
und schöne Motive finden, die nur unter der manierirten und sorglo-
sen Einzelbildung zu Grunde gehen.
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Selbst einzelne Idealköpfe der Schule haben einen Werth, der
sie doch immer mit guten bolognesischen Gemälden in eine Reihe stellt.
Das XVII. Jahrhundert hatte wohl im Ganzen einen andern Begriff
von Schönheit als wir und legte namentlich den Accent des Leibreizes
auf eine andere Stelle, wovon Mehreres bei Anlass der Malerei; allein
desshalb werden wir doch z. B. gewissen Köpfen Algardi’s (z. B.
im rechten Querschiff von S. Carlo zu Genua), oder der Statue der
Mathildis von Bernini (in S. Peter) eine dauernde Schönheit nicht
ganz abstreiten dürfen. Hie und da ist die Einwirkung der (damals
noch in Rom befindlichen und vielstudirten) Niobetöchter nicht zu ver-
kennen. Anderes ist mehr national-italienisch. Selbst ohne höhern
geistigen Adel nehmen sich doch manche Madonnenköpfe, frei behandelt
und zwanglos gestellt wie sie sind, recht gut aus. So z. B. mehrere
Assunten des Filippo Parodi auf genuesischen Hochaltären. Im
Ganzen ist freilich die ideale Form etwas geistesleer.
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Die sog. Charakterköpfe folgen ganz der Art der damaligen
Maler, und zwar nicht der bessern. Bernini selber steht dem Pietro
da Cortona viel näher als etwa dem Guercino; seine männlichen Indi-
viduen sind von jenem gemein-heroischen Ausdruck, der in der Ma-
lerei erst seit der Epoche der gänzlichen Verflachung (1650) herr-
schend wurde. An seinem Constantin (unten an der Scala regia im
Vatican) hat man den mittlern Durchschnitt dessen, was er für einen
würdigen Typus des Mannes und des Pferdes hielt; sein Pluto (Villa
Ludovisi) ist in der Kopfbildung ein Excess der cortonistischen Richtung.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 693. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/715>, abgerufen am 18.12.2024.
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