cher auf den Manierismus der Zeit von 1530 an gefolgt war. Der- selbe zeigt zwei Haupteigenschaften, welche sich durchdringen und gegenseitig bedingen: 1) den Naturalismus der Formen und der Auffassung des Geschehenden, edler in der bolognesischen, gemeiner in der neapolitanischen Schule ausgeprägt; 2) die Anwen- dung des Affectes um jeden Preis. Die Maler verfahren naturali- stisch, um eindringlich zu sein und am Affect erfreut sie wiederum nur die möglichst wirkliche Ausdrucksweise. Dieses Wirkliche, weil es zugleich so wirksam war, eignete sich jetzt auch die Sculptur an. Ihr Verhältniss zur Antike war fortan kein innigeres als z. B. dasjenige, welches wir bei Guido und Guercin finden, die Entlehnung einzelner weniger Formen. Bernini persönlich empfand den Werth der Antiken recht gut und erkannte z. B. in dem verstümmelten Pas- quino die goldene Zeit der griechischen Kunst, allein als Künstler drängte er nach einer ganz andern Seite hin.
Es versteht sich nun von selbst, dass er und seine Schule diejenigen Aufgaben am besten löste, bei welchen der Naturalismus im (wenn auch nicht unbedingten) Rechte ist. Hieher gehört das Porträt. Schon in den vorhergehenden Perioden eines echten und halb- falschen Idealismus war die Büste durchgängig gut, ja bald die beste Leistung dieser Kunst gewesen, und diess Verhältniss dauerte nun in glänzender Weise fort. Die Gräber von Rom, Neapel, Florenz, Ve- nedig enthalten viele Hunderte von ganz vortrefflichen Büsten dieser Art, welche den Porträts von Van Dyck bis Rigaud als würdige Pa- rallele zur Seite stehen. Sie geben die Charaktere nicht idealisirt, aber in freier, grossartiger Weise wieder, wie es nur eine mit den grös- sten idealen Aufgaben vertraute Sculptur kann. Wir dürfen um die- ses Reichthums willen den Kunstfreund seiner eigenen Entdeckungs- agabe überlassen. Im Santo zu Padua, in S. Domenico zu Neapel, im bLateran und in der Minerva zu Rom wird er sein Genüge finden. In cder Halle hinter S. M. di Monserrato suche man die Grabbüste eines spanischen Juristen Petrus Montoya (+ 1630), eine edle leidende Phy- siognomie von trefflichster Behandlung.
Ausserdem genügt der Naturalismus noch am ehesten in der Dar- stellung des Kindes (zumal des italienischen), in dessen Wesen alle mögliche Schönheit nur unbewusst als Natur vorhanden ist, und dessen
Barocksculptur. Porträtbildungen.
cher auf den Manierismus der Zeit von 1530 an gefolgt war. Der- selbe zeigt zwei Haupteigenschaften, welche sich durchdringen und gegenseitig bedingen: 1) den Naturalismus der Formen und der Auffassung des Geschehenden, edler in der bolognesischen, gemeiner in der neapolitanischen Schule ausgeprägt; 2) die Anwen- dung des Affectes um jeden Preis. Die Maler verfahren naturali- stisch, um eindringlich zu sein und am Affect erfreut sie wiederum nur die möglichst wirkliche Ausdrucksweise. Dieses Wirkliche, weil es zugleich so wirksam war, eignete sich jetzt auch die Sculptur an. Ihr Verhältniss zur Antike war fortan kein innigeres als z. B. dasjenige, welches wir bei Guido und Guercin finden, die Entlehnung einzelner weniger Formen. Bernini persönlich empfand den Werth der Antiken recht gut und erkannte z. B. in dem verstümmelten Pas- quino die goldene Zeit der griechischen Kunst, allein als Künstler drängte er nach einer ganz andern Seite hin.
Es versteht sich nun von selbst, dass er und seine Schule diejenigen Aufgaben am besten löste, bei welchen der Naturalismus im (wenn auch nicht unbedingten) Rechte ist. Hieher gehört das Porträt. Schon in den vorhergehenden Perioden eines echten und halb- falschen Idealismus war die Büste durchgängig gut, ja bald die beste Leistung dieser Kunst gewesen, und diess Verhältniss dauerte nun in glänzender Weise fort. Die Gräber von Rom, Neapel, Florenz, Ve- nedig enthalten viele Hunderte von ganz vortrefflichen Büsten dieser Art, welche den Porträts von Van Dyck bis Rigaud als würdige Pa- rallele zur Seite stehen. Sie geben die Charaktere nicht idealisirt, aber in freier, grossartiger Weise wieder, wie es nur eine mit den grös- sten idealen Aufgaben vertraute Sculptur kann. Wir dürfen um die- ses Reichthums willen den Kunstfreund seiner eigenen Entdeckungs- agabe überlassen. Im Santo zu Padua, in S. Domenico zu Neapel, im bLateran und in der Minerva zu Rom wird er sein Genüge finden. In cder Halle hinter S. M. di Monserrato suche man die Grabbüste eines spanischen Juristen Petrus Montoya († 1630), eine edle leidende Phy- siognomie von trefflichster Behandlung.
Ausserdem genügt der Naturalismus noch am ehesten in der Dar- stellung des Kindes (zumal des italienischen), in dessen Wesen alle mögliche Schönheit nur unbewusst als Natur vorhanden ist, und dessen
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Barocksculptur. Porträtbildungen.
cher auf den Manierismus der Zeit von 1530 an gefolgt war. Der-
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gegenseitig bedingen: 1) den Naturalismus der Formen und
der Auffassung des Geschehenden, edler in der bolognesischen,
gemeiner in der neapolitanischen Schule ausgeprägt; 2) die Anwen-
dung des Affectes um jeden Preis. Die Maler verfahren naturali-
stisch, um eindringlich zu sein und am Affect erfreut sie wiederum
nur die möglichst wirkliche Ausdrucksweise. Dieses Wirkliche, weil
es zugleich so wirksam war, eignete sich jetzt auch die Sculptur
an. Ihr Verhältniss zur Antike war fortan kein innigeres als z. B.
dasjenige, welches wir bei Guido und Guercin finden, die Entlehnung
einzelner weniger Formen. Bernini persönlich empfand den Werth
der Antiken recht gut und erkannte z. B. in dem verstümmelten Pas-
quino die goldene Zeit der griechischen Kunst, allein als Künstler
drängte er nach einer ganz andern Seite hin.
Es versteht sich nun von selbst, dass er und seine Schule
diejenigen Aufgaben am besten löste, bei welchen der Naturalismus
im (wenn auch nicht unbedingten) Rechte ist. Hieher gehört das
Porträt. Schon in den vorhergehenden Perioden eines echten und halb-
falschen Idealismus war die Büste durchgängig gut, ja bald die beste
Leistung dieser Kunst gewesen, und diess Verhältniss dauerte nun in
glänzender Weise fort. Die Gräber von Rom, Neapel, Florenz, Ve-
nedig enthalten viele Hunderte von ganz vortrefflichen Büsten dieser
Art, welche den Porträts von Van Dyck bis Rigaud als würdige Pa-
rallele zur Seite stehen. Sie geben die Charaktere nicht idealisirt, aber
in freier, grossartiger Weise wieder, wie es nur eine mit den grös-
sten idealen Aufgaben vertraute Sculptur kann. Wir dürfen um die-
ses Reichthums willen den Kunstfreund seiner eigenen Entdeckungs-
gabe überlassen. Im Santo zu Padua, in S. Domenico zu Neapel, im
Lateran und in der Minerva zu Rom wird er sein Genüge finden. In
der Halle hinter S. M. di Monserrato suche man die Grabbüste eines
spanischen Juristen Petrus Montoya († 1630), eine edle leidende Phy-
siognomie von trefflichster Behandlung.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 692. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/714>, abgerufen am 18.12.2024.
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