sen Figur richtig passen würde, und die unverhältnissmässigen Haar- locken nimmt man hier dem Künstler so gerne als Unbesonnenheiten aeines Anfängers hin. -- (Auch die Statuette des heil. Bischofs Petro- nius, eine von den vieren zunächst über dem Sarcophag, ist von ihm, aber unmöglich aus derselben Zeit, wie schon das manierirte Gewand zeigt.)
Das letzte Werk dieser frühen Periode (1499) des Meisters ist die bGruppe der Pieta in S. Peter zu Rom (erste Capelle rechts; die Aufstellung im kläglichsten Licht macht die Vergleichung der Gyps- abgüsse nothwendig, deren ich aber keinen öffentlich aufgestellten kenne). Dieser Gegenstand war bisher unzählige Male gemeisselt und gemalt worden, oft mit sehr tiefem und innigem Ausdruck, nur liegt insgemein der Leichnam Christi so auf den Knieen der Madonna, dass das Auge sich abwenden möchte. Hier zuerst in der ganzen neuern Sculptur kann wieder von einer Gruppe im höchsten Sinne die Rede sein; der Leichnam ist überaus edel gelegt und bildet mit Gestalt und Bewegung der ganz bekleideten Madonna das wunderbarste Ganze. Die Formen sind anatomisch noch nicht ganz durchgebildet, die Köpfe aber von einer reinen Schönheit, welche Michelangelo später nie wie- der erreicht hat 1). -- (Etwa aus derselben Zeit die Madonna in No- tre Dame zu Brügge.)
Wie verhielt sich nun Michelangelo's Geist, als er seiner reifen Epoche und seiner grossen Stellung entgegenging, zu den Aufgaben, welche seine Zeit ihm bot? Bei weitem die meisten waren kirchli- cher Art, oder mussten doch zu einer kirchlichen Umgebung passen. Die freie Altargruppe begann eben erst als Gattung zu gelten; man er- innere sich der Capelle Zeno in S. Marco zu Venedig (1505) und ähn- licher Arbeiten. Die Nischen der Kirchenfassaden füllten sich nur sparsam mit Statuen, die der Pfeiler im Innern etwas häufiger. Was
1) Das Werk wurde öfter in Marmor und Erz copirt. Schon Luca Signorelli malte davon jene freie Abbildung grau in grau, welche neuerlich im römi- schen Leihhause wieder aufgetaucht ist; wahrscheinlich dachte er nicht daran, dass man dereinst Michelangelo's Gruppe für eine Copie nach seinem Ge- mälde halten würde, wie schon geschehen ist.
Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
sen Figur richtig passen würde, und die unverhältnissmässigen Haar- locken nimmt man hier dem Künstler so gerne als Unbesonnenheiten aeines Anfängers hin. — (Auch die Statuette des heil. Bischofs Petro- nius, eine von den vieren zunächst über dem Sarcophag, ist von ihm, aber unmöglich aus derselben Zeit, wie schon das manierirte Gewand zeigt.)
Das letzte Werk dieser frühen Periode (1499) des Meisters ist die bGruppe der Pietà in S. Peter zu Rom (erste Capelle rechts; die Aufstellung im kläglichsten Licht macht die Vergleichung der Gyps- abgüsse nothwendig, deren ich aber keinen öffentlich aufgestellten kenne). Dieser Gegenstand war bisher unzählige Male gemeisselt und gemalt worden, oft mit sehr tiefem und innigem Ausdruck, nur liegt insgemein der Leichnam Christi so auf den Knieen der Madonna, dass das Auge sich abwenden möchte. Hier zuerst in der ganzen neuern Sculptur kann wieder von einer Gruppe im höchsten Sinne die Rede sein; der Leichnam ist überaus edel gelegt und bildet mit Gestalt und Bewegung der ganz bekleideten Madonna das wunderbarste Ganze. Die Formen sind anatomisch noch nicht ganz durchgebildet, die Köpfe aber von einer reinen Schönheit, welche Michelangelo später nie wie- der erreicht hat 1). — (Etwa aus derselben Zeit die Madonna in No- tre Dame zu Brügge.)
Wie verhielt sich nun Michelangelo’s Geist, als er seiner reifen Epoche und seiner grossen Stellung entgegenging, zu den Aufgaben, welche seine Zeit ihm bot? Bei weitem die meisten waren kirchli- cher Art, oder mussten doch zu einer kirchlichen Umgebung passen. Die freie Altargruppe begann eben erst als Gattung zu gelten; man er- innere sich der Capelle Zeno in S. Marco zu Venedig (1505) und ähn- licher Arbeiten. Die Nischen der Kirchenfassaden füllten sich nur sparsam mit Statuen, die der Pfeiler im Innern etwas häufiger. Was
1) Das Werk wurde öfter in Marmor und Erz copirt. Schon Luca Signorelli malte davon jene freie Abbildung grau in grau, welche neuerlich im römi- schen Leihhause wieder aufgetaucht ist; wahrscheinlich dachte er nicht daran, dass man dereinst Michelangelo’s Gruppe für eine Copie nach seinem Ge- mälde halten würde, wie schon geschehen ist.
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Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
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eines Anfängers hin. — (Auch die Statuette des heil. Bischofs Petro-
nius, eine von den vieren zunächst über dem Sarcophag, ist von ihm,
aber unmöglich aus derselben Zeit, wie schon das manierirte Gewand
zeigt.)
a
Das letzte Werk dieser frühen Periode (1499) des Meisters ist die
Gruppe der Pietà in S. Peter zu Rom (erste Capelle rechts; die
Aufstellung im kläglichsten Licht macht die Vergleichung der Gyps-
abgüsse nothwendig, deren ich aber keinen öffentlich aufgestellten
kenne). Dieser Gegenstand war bisher unzählige Male gemeisselt und
gemalt worden, oft mit sehr tiefem und innigem Ausdruck, nur liegt
insgemein der Leichnam Christi so auf den Knieen der Madonna, dass
das Auge sich abwenden möchte. Hier zuerst in der ganzen neuern
Sculptur kann wieder von einer Gruppe im höchsten Sinne die Rede
sein; der Leichnam ist überaus edel gelegt und bildet mit Gestalt und
Bewegung der ganz bekleideten Madonna das wunderbarste Ganze.
Die Formen sind anatomisch noch nicht ganz durchgebildet, die Köpfe
aber von einer reinen Schönheit, welche Michelangelo später nie wie-
der erreicht hat 1). — (Etwa aus derselben Zeit die Madonna in No-
tre Dame zu Brügge.)
b
Wie verhielt sich nun Michelangelo’s Geist, als er seiner reifen
Epoche und seiner grossen Stellung entgegenging, zu den Aufgaben,
welche seine Zeit ihm bot? Bei weitem die meisten waren kirchli-
cher Art, oder mussten doch zu einer kirchlichen Umgebung passen. Die
freie Altargruppe begann eben erst als Gattung zu gelten; man er-
innere sich der Capelle Zeno in S. Marco zu Venedig (1505) und ähn-
licher Arbeiten. Die Nischen der Kirchenfassaden füllten sich nur
sparsam mit Statuen, die der Pfeiler im Innern etwas häufiger. Was
1) Das Werk wurde öfter in Marmor und Erz copirt. Schon Luca Signorelli
malte davon jene freie Abbildung grau in grau, welche neuerlich im römi-
schen Leihhause wieder aufgetaucht ist; wahrscheinlich dachte er nicht daran,
dass man dereinst Michelangelo’s Gruppe für eine Copie nach seinem Ge-
mälde halten würde, wie schon geschehen ist.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 666. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/688>, abgerufen am 18.12.2024.
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