Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Reliefs im Santo. Neapel.
Maria Padovano beigelegt wird. -- Das fünfte (Erweckung desa
jungen Parrasio) und das achte (das Wunder mit dem Glase) sindb
für Danese Cattaneo, dem sie von Einigen zugeschrieben werden,
wohl zu gut und zu wenig affectirt, wesshalb andere sonst wenig be-
kannte Namen (Paolo Peluca, Giov. Minio etc.) eher etwas für
sich haben möchten.

Alles zusammengenommen, ist die Reihenfolge durch eine grös-
sere Einheit des Styles, der Erzählungsweise und Detailbehandlung
verbunden, als man bei einer Hervorbringung so Vieler irgend erwar-
ten dürfte. Sie ist ein Denkmal der höchsten Anstrengung der neuern
Sculptur in der Gattung des erzählenden Reliefs, welches in der be-
sten dieser Tafeln so massvoll und rein zur Erscheinung kömmt, wie
in wenigen Denkmälern seit dem Zerfall der römischen Kunst. Das
übertriebene, grimassirende Pathos der alten Lombarden ist bis auf
vereinzelte Spuren (im 2., 5., selbst im 4.) überwunden durch eine
ideale und ganz lebendige Behandlung.


Neapel, dessen Schicksale gerade zu Anfang des XVI. Jahrh.
sehr bewegt waren, verdankt vielleicht seine wenigen ganz ausge-
zeichneten Sculpturen nicht inländischen Kräften. -- Den stärksten
Sonnenblick der rafaelischen Zeit glaube ich hier zu erkennen in einem
bescheidenen Grabmal der Cap. Carafa in S. Domenico maggiorec
(zunächst rechts vom Hauptportal), mit dem Datum 1513. Über dem
Sarcophag, zu beiden Seiten eines Profilmedaillons des Verstorbenen,
sitzen zwei klagende Frauen, welche Andrea Sansovino's würdig
wären. -- Den schönen frühern Arbeiten Michelangelo's nähert sichd
eine Statue der Madonna als Schützerin der Seelen im Fegfeuer, in
S. Giovanni a Carbonara.

Der einheimischen Schule, die um diese Zeit mit Giovanni da
Nola
zu Kräften kam, haben wir oben (S. 247) einen wesentlich de-
corativen Werth zugewiesen. Giovanni selbst zeigt weder ein tiefes,
durchgehendes Lebensgefühl (so naturalistisch er sein kann) noch ein
durchgebildetes Bewusstsein von den Grenzen und Gesetzen seiner
Kunst, allein die allgemeine Höhe hebt auch ihn oft über das Ge-

Reliefs im Santo. Neapel.
Maria Padovano beigelegt wird. — Das fünfte (Erweckung desa
jungen Parrasio) und das achte (das Wunder mit dem Glase) sindb
für Danese Cattaneo, dem sie von Einigen zugeschrieben werden,
wohl zu gut und zu wenig affectirt, wesshalb andere sonst wenig be-
kannte Namen (Paolo Peluca, Giov. Minio etc.) eher etwas für
sich haben möchten.

Alles zusammengenommen, ist die Reihenfolge durch eine grös-
sere Einheit des Styles, der Erzählungsweise und Detailbehandlung
verbunden, als man bei einer Hervorbringung so Vieler irgend erwar-
ten dürfte. Sie ist ein Denkmal der höchsten Anstrengung der neuern
Sculptur in der Gattung des erzählenden Reliefs, welches in der be-
sten dieser Tafeln so massvoll und rein zur Erscheinung kömmt, wie
in wenigen Denkmälern seit dem Zerfall der römischen Kunst. Das
übertriebene, grimassirende Pathos der alten Lombarden ist bis auf
vereinzelte Spuren (im 2., 5., selbst im 4.) überwunden durch eine
ideale und ganz lebendige Behandlung.


Neapel, dessen Schicksale gerade zu Anfang des XVI. Jahrh.
sehr bewegt waren, verdankt vielleicht seine wenigen ganz ausge-
zeichneten Sculpturen nicht inländischen Kräften. — Den stärksten
Sonnenblick der rafaelischen Zeit glaube ich hier zu erkennen in einem
bescheidenen Grabmal der Cap. Carafa in S. Domenico maggiorec
(zunächst rechts vom Hauptportal), mit dem Datum 1513. Über dem
Sarcophag, zu beiden Seiten eines Profilmedaillons des Verstorbenen,
sitzen zwei klagende Frauen, welche Andrea Sansovino’s würdig
wären. — Den schönen frühern Arbeiten Michelangelo’s nähert sichd
eine Statue der Madonna als Schützerin der Seelen im Fegfeuer, in
S. Giovanni a Carbonara.

Der einheimischen Schule, die um diese Zeit mit Giovanni da
Nola
zu Kräften kam, haben wir oben (S. 247) einen wesentlich de-
corativen Werth zugewiesen. Giovanni selbst zeigt weder ein tiefes,
durchgehendes Lebensgefühl (so naturalistisch er sein kann) noch ein
durchgebildetes Bewusstsein von den Grenzen und Gesetzen seiner
Kunst, allein die allgemeine Höhe hebt auch ihn oft über das Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0685" n="663"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Reliefs im Santo. Neapel.</hi></fw><lb/><hi rendition="#g">Maria Padovano</hi> beigelegt wird. &#x2014; Das fünfte (Erweckung des<note place="right">a</note><lb/>
jungen Parrasio) und das achte (das Wunder mit dem Glase) sind<note place="right">b</note><lb/>
für <hi rendition="#g">Danese Cattaneo</hi>, dem sie von Einigen zugeschrieben werden,<lb/>
wohl zu gut und zu wenig affectirt, wesshalb andere sonst wenig be-<lb/>
kannte Namen (<hi rendition="#g">Paolo Peluca, Giov. Minio</hi> etc.) eher etwas für<lb/>
sich haben möchten.</p><lb/>
        <p>Alles zusammengenommen, ist die Reihenfolge durch eine grös-<lb/>
sere Einheit des Styles, der Erzählungsweise und Detailbehandlung<lb/>
verbunden, als man bei einer Hervorbringung so Vieler irgend erwar-<lb/>
ten dürfte. Sie ist ein Denkmal der höchsten Anstrengung der neuern<lb/>
Sculptur in der Gattung des erzählenden Reliefs, welches in der be-<lb/>
sten dieser Tafeln so massvoll und rein zur Erscheinung kömmt, wie<lb/>
in wenigen Denkmälern seit dem Zerfall der römischen Kunst. Das<lb/>
übertriebene, grimassirende Pathos der alten Lombarden ist bis auf<lb/>
vereinzelte Spuren (im 2., 5., selbst im 4.) überwunden durch eine<lb/>
ideale und ganz lebendige Behandlung.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p><hi rendition="#g">Neapel</hi>, dessen Schicksale gerade zu Anfang des XVI. Jahrh.<lb/>
sehr bewegt waren, verdankt vielleicht seine wenigen ganz ausge-<lb/>
zeichneten Sculpturen nicht inländischen Kräften. &#x2014; Den stärksten<lb/>
Sonnenblick der rafaelischen Zeit glaube ich hier zu erkennen in einem<lb/>
bescheidenen Grabmal der Cap. Carafa in S. <hi rendition="#g">Domenico maggiore</hi><note place="right">c</note><lb/>
(zunächst rechts vom Hauptportal), mit dem Datum 1513. Über dem<lb/>
Sarcophag, zu beiden Seiten eines Profilmedaillons des Verstorbenen,<lb/>
sitzen zwei klagende Frauen, welche Andrea Sansovino&#x2019;s würdig<lb/>
wären. &#x2014; Den schönen frühern Arbeiten Michelangelo&#x2019;s nähert sich<note place="right">d</note><lb/>
eine Statue der Madonna als Schützerin der Seelen im Fegfeuer, in<lb/>
S. Giovanni a Carbonara.</p><lb/>
        <p>Der einheimischen Schule, die um diese Zeit mit <hi rendition="#g">Giovanni da<lb/>
Nola</hi> zu Kräften kam, haben wir oben (S. 247) einen wesentlich de-<lb/>
corativen Werth zugewiesen. Giovanni selbst zeigt weder ein tiefes,<lb/>
durchgehendes Lebensgefühl (so naturalistisch er sein kann) noch ein<lb/>
durchgebildetes Bewusstsein von den Grenzen und Gesetzen seiner<lb/>
Kunst, allein die allgemeine Höhe hebt auch ihn oft über das Ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[663/0685] Reliefs im Santo. Neapel. Maria Padovano beigelegt wird. — Das fünfte (Erweckung des jungen Parrasio) und das achte (das Wunder mit dem Glase) sind für Danese Cattaneo, dem sie von Einigen zugeschrieben werden, wohl zu gut und zu wenig affectirt, wesshalb andere sonst wenig be- kannte Namen (Paolo Peluca, Giov. Minio etc.) eher etwas für sich haben möchten. a b Alles zusammengenommen, ist die Reihenfolge durch eine grös- sere Einheit des Styles, der Erzählungsweise und Detailbehandlung verbunden, als man bei einer Hervorbringung so Vieler irgend erwar- ten dürfte. Sie ist ein Denkmal der höchsten Anstrengung der neuern Sculptur in der Gattung des erzählenden Reliefs, welches in der be- sten dieser Tafeln so massvoll und rein zur Erscheinung kömmt, wie in wenigen Denkmälern seit dem Zerfall der römischen Kunst. Das übertriebene, grimassirende Pathos der alten Lombarden ist bis auf vereinzelte Spuren (im 2., 5., selbst im 4.) überwunden durch eine ideale und ganz lebendige Behandlung. Neapel, dessen Schicksale gerade zu Anfang des XVI. Jahrh. sehr bewegt waren, verdankt vielleicht seine wenigen ganz ausge- zeichneten Sculpturen nicht inländischen Kräften. — Den stärksten Sonnenblick der rafaelischen Zeit glaube ich hier zu erkennen in einem bescheidenen Grabmal der Cap. Carafa in S. Domenico maggiore (zunächst rechts vom Hauptportal), mit dem Datum 1513. Über dem Sarcophag, zu beiden Seiten eines Profilmedaillons des Verstorbenen, sitzen zwei klagende Frauen, welche Andrea Sansovino’s würdig wären. — Den schönen frühern Arbeiten Michelangelo’s nähert sich eine Statue der Madonna als Schützerin der Seelen im Fegfeuer, in S. Giovanni a Carbonara. c d Der einheimischen Schule, die um diese Zeit mit Giovanni da Nola zu Kräften kam, haben wir oben (S. 247) einen wesentlich de- corativen Werth zugewiesen. Giovanni selbst zeigt weder ein tiefes, durchgehendes Lebensgefühl (so naturalistisch er sein kann) noch ein durchgebildetes Bewusstsein von den Grenzen und Gesetzen seiner Kunst, allein die allgemeine Höhe hebt auch ihn oft über das Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/685
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 663. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/685>, abgerufen am 18.12.2024.