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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Jacopo Sansovino.
Domchors; magere, unsicher gestellte, aber im Detail sehr sorgfältige
aFiguren. (Der dahinter aufgestellte Marmortabernakel ist eine geringe
Arbeit des XV. Jahrh.). Mit Begarelli haben weder da Grado noch
die Gonzaten etwas gemein.

Ob der Marcus a Grate, welcher den geschundenen S. Bartholo-
bmäus im Chorumgang des Domes von Mailand fertigte, ein Sohn des
Gio. Francesco war, lassen wir dahingestellt. Der Kunstgeist der
zweiten Hälfte des Jahrh. kehrt uns in dieser steifen Bravourarbeit
seine widerlichste Seite zu.


Von einem der trefflichsten Lombarden der goldenen Zeit, Ago-
stino Busti
, genannt Bambaja, weiss ich nur soviel zu sagen,
dass Fragmente seiner Hauptarbeit, des Denkmals des Feldherrn Ga-
cston de Foix, in der Ambrosiana und in der Brera zu Mailand auf-
bewahrt sein sollen.


Doch es ist Zeit, auf den bedeutendsten Schüler des Andrea
Sansovino zu kommen, auf Jacopo Tatti aus Florenz (1479--1570),
der von seiner nahen und vertrauten Beziehung zu dem grossen Mei-
ster insgemein Jacopo Sansovino genannt wird. Allerdings lernen
wir ihn fast nur durch Werke aus der zweiten Hälfte seines langen
Lebens kennen, da er als eine der ersten künstlerischen Grossmächte
Venedigs (S. 324) eine grosse Anzahl baulicher und plastischer Werke
schuf und eine beträchtliche Schule um sich hatte. Doch ist aus sei-
ner frühern römischen Zeit die sitzende Statue der Madonna mit dem
dKinde in S. Agostino zu Rom vorhanden (neben dem Hauptportal),
eine Arbeit, in welcher er sich dem Andrea etwa auf die Weise Lo-
renzetto's nähert, mit regem Schönheitsgefühl noch ohne volles Lebens-
gefühl, wie der Vergleich mit der nahen Gruppe Andrea's zeigen mag.
-- Vollkommen lebendig und von sehr schöner Bildung, aber gesucht in
eder Stellung erscheint dann seine Statue des Apostels Jacobus d. ä.
im Dom von Florenz (Nische am Pfeiler links gegen die Kuppel). -- Zu
fdiesen frühern Werken mag auch der heil. Antonius von Padua in
S. Petronio zu Bologna (9. Cap. rechts) zu rechnen sein, -- endlich der

Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Jacopo Sansovino.
Domchors; magere, unsicher gestellte, aber im Detail sehr sorgfältige
aFiguren. (Der dahinter aufgestellte Marmortabernakel ist eine geringe
Arbeit des XV. Jahrh.). Mit Begarelli haben weder da Grado noch
die Gonzaten etwas gemein.

Ob der Marcus a Grate, welcher den geschundenen S. Bartholo-
bmäus im Chorumgang des Domes von Mailand fertigte, ein Sohn des
Gio. Francesco war, lassen wir dahingestellt. Der Kunstgeist der
zweiten Hälfte des Jahrh. kehrt uns in dieser steifen Bravourarbeit
seine widerlichste Seite zu.


Von einem der trefflichsten Lombarden der goldenen Zeit, Ago-
stino Busti
, genannt Bambaja, weiss ich nur soviel zu sagen,
dass Fragmente seiner Hauptarbeit, des Denkmals des Feldherrn Ga-
cston de Foix, in der Ambrosiana und in der Brera zu Mailand auf-
bewahrt sein sollen.


Doch es ist Zeit, auf den bedeutendsten Schüler des Andrea
Sansovino zu kommen, auf Jacopo Tatti aus Florenz (1479—1570),
der von seiner nahen und vertrauten Beziehung zu dem grossen Mei-
ster insgemein Jacopo Sansovino genannt wird. Allerdings lernen
wir ihn fast nur durch Werke aus der zweiten Hälfte seines langen
Lebens kennen, da er als eine der ersten künstlerischen Grossmächte
Venedigs (S. 324) eine grosse Anzahl baulicher und plastischer Werke
schuf und eine beträchtliche Schule um sich hatte. Doch ist aus sei-
ner frühern römischen Zeit die sitzende Statue der Madonna mit dem
dKinde in S. Agostino zu Rom vorhanden (neben dem Hauptportal),
eine Arbeit, in welcher er sich dem Andrea etwa auf die Weise Lo-
renzetto’s nähert, mit regem Schönheitsgefühl noch ohne volles Lebens-
gefühl, wie der Vergleich mit der nahen Gruppe Andrea’s zeigen mag.
— Vollkommen lebendig und von sehr schöner Bildung, aber gesucht in
eder Stellung erscheint dann seine Statue des Apostels Jacobus d. ä.
im Dom von Florenz (Nische am Pfeiler links gegen die Kuppel). — Zu
fdiesen frühern Werken mag auch der heil. Antonius von Padua in
S. Petronio zu Bologna (9. Cap. rechts) zu rechnen sein, — endlich der

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[652/0674] Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Jacopo Sansovino. Domchors; magere, unsicher gestellte, aber im Detail sehr sorgfältige Figuren. (Der dahinter aufgestellte Marmortabernakel ist eine geringe Arbeit des XV. Jahrh.). Mit Begarelli haben weder da Grado noch die Gonzaten etwas gemein. a Ob der Marcus a Grate, welcher den geschundenen S. Bartholo- mäus im Chorumgang des Domes von Mailand fertigte, ein Sohn des Gio. Francesco war, lassen wir dahingestellt. Der Kunstgeist der zweiten Hälfte des Jahrh. kehrt uns in dieser steifen Bravourarbeit seine widerlichste Seite zu. b Von einem der trefflichsten Lombarden der goldenen Zeit, Ago- stino Busti, genannt Bambaja, weiss ich nur soviel zu sagen, dass Fragmente seiner Hauptarbeit, des Denkmals des Feldherrn Ga- ston de Foix, in der Ambrosiana und in der Brera zu Mailand auf- bewahrt sein sollen. c Doch es ist Zeit, auf den bedeutendsten Schüler des Andrea Sansovino zu kommen, auf Jacopo Tatti aus Florenz (1479—1570), der von seiner nahen und vertrauten Beziehung zu dem grossen Mei- ster insgemein Jacopo Sansovino genannt wird. Allerdings lernen wir ihn fast nur durch Werke aus der zweiten Hälfte seines langen Lebens kennen, da er als eine der ersten künstlerischen Grossmächte Venedigs (S. 324) eine grosse Anzahl baulicher und plastischer Werke schuf und eine beträchtliche Schule um sich hatte. Doch ist aus sei- ner frühern römischen Zeit die sitzende Statue der Madonna mit dem Kinde in S. Agostino zu Rom vorhanden (neben dem Hauptportal), eine Arbeit, in welcher er sich dem Andrea etwa auf die Weise Lo- renzetto’s nähert, mit regem Schönheitsgefühl noch ohne volles Lebens- gefühl, wie der Vergleich mit der nahen Gruppe Andrea’s zeigen mag. — Vollkommen lebendig und von sehr schöner Bildung, aber gesucht in der Stellung erscheint dann seine Statue des Apostels Jacobus d. ä. im Dom von Florenz (Nische am Pfeiler links gegen die Kuppel). — Zu diesen frühern Werken mag auch der heil. Antonius von Padua in S. Petronio zu Bologna (9. Cap. rechts) zu rechnen sein, — endlich der d e f

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 652. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/674>, abgerufen am 16.07.2024.