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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Oberitaliener.
aund sehr tüchtig: die Lunettengruppe der Auferstehung Christi, aussen
am linken Seitenportal (wenn Christus sich auf einen sitzenden Wäch-
ter zu stützen scheint, so hat der Künstler diess wohl nur gethan um
sich in einem reichern Linienproblem zu versuchen); -- ferner drei
von den Reliefs der Geschichte Mosis am rechten Pilaster desselben
Portals, in offenbarem und glücklichem Wetteifer mit Tribolo (S. 643)
entworfen sowohl als ausgeführt. -- Mehr malerisch als plastisch, aber
köstlich wie die besten jener Miniaturgeschichten der ferraresischen
bMalerschule erscheinen die drei Reliefs am Untersatz der berühmten
Arca in S. Domenico, eine der geistvollsten und delicatesten Ar-
beiten dieser Gattung.

c

Eine ungleiche, zum Theil sehr tüchtige Arbeit sind die Me-
ddaillonköpfe an Pal. Bolognini, N. 77. -- Das Grabmal Ramazzotti in
S. Micchele in Bosco (rechts vom Hauptportal) ist eines der besten
jener oberitalischen Soldatengräber, welche den Geharnischten schlum-
mernd und über ihm die Madonna darstellen.

In Alfonso's spätester Zeit entstand dann wahrscheinlich die über
elebensgrosse, figurenreiche Thongruppe im Oratorium bei S. Maria
della Vita
(zugänglich auf Nachfrage in den links an die Kirche
stossenden Bureaux, eine Treppe hoch). Nicht ohne Mühe erkennt
man darin eine Darstellung des Todes Mariä; ringsum die Apostel,
vorn am Boden die nackte Figur eines Widersachers; ein eifriger
Apostel will eben ein schweres Buch auf ihn werfen, wird aber von
dem in der Mitte erscheinenden Christus zurückgehalten 1). Mit die-
sem wunderlichen Zug, der uns sonst bei keiner Darstellung dieser
Scene vorgekommen ist, bezahlt Alfonso seinen Tribut an die alt-
oberitalische Manier des heftigen, grellen Ausdruckes. Sonst ist die
Gruppe merkwürdig durch ihren Gegensatz zu denjenigen des Be-
garelli; sie macht Anspruch auf plastische, nicht bloss malerische An-

1) Vasari sagt: "ein rühmliches Werk, worin u. a. ein Jude auffällt, der die
Hände an die Todtenbahre der Madonna legt." -- Wozu der deutsche Heraus-
geber bemerkt: dieses Ereigniss werde erzählt in der Schrift "de transitu
virginis", welche dem Bischof Melito (H. Jahrh.) zugeschrieben wurde, jetzt
aber für beträchtlich neuer gilt. Ich will die oben im Text gegebene Deu-
tung nicht weiter vertheidigen, da meine Erinnerung an die Gruppe nicht
mehr frisch und die genannte Schrift mir nicht zur Hand ist.

Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Oberitaliener.
aund sehr tüchtig: die Lunettengruppe der Auferstehung Christi, aussen
am linken Seitenportal (wenn Christus sich auf einen sitzenden Wäch-
ter zu stützen scheint, so hat der Künstler diess wohl nur gethan um
sich in einem reichern Linienproblem zu versuchen); — ferner drei
von den Reliefs der Geschichte Mosis am rechten Pilaster desselben
Portals, in offenbarem und glücklichem Wetteifer mit Tribolo (S. 643)
entworfen sowohl als ausgeführt. — Mehr malerisch als plastisch, aber
köstlich wie die besten jener Miniaturgeschichten der ferraresischen
bMalerschule erscheinen die drei Reliefs am Untersatz der berühmten
Arca in S. Domenico, eine der geistvollsten und delicatesten Ar-
beiten dieser Gattung.

c

Eine ungleiche, zum Theil sehr tüchtige Arbeit sind die Me-
ddaillonköpfe an Pal. Bolognini, N. 77. — Das Grabmal Ramazzotti in
S. Micchele in Bosco (rechts vom Hauptportal) ist eines der besten
jener oberitalischen Soldatengräber, welche den Geharnischten schlum-
mernd und über ihm die Madonna darstellen.

In Alfonso’s spätester Zeit entstand dann wahrscheinlich die über
elebensgrosse, figurenreiche Thongruppe im Oratorium bei S. Maria
della Vita
(zugänglich auf Nachfrage in den links an die Kirche
stossenden Bureaux, eine Treppe hoch). Nicht ohne Mühe erkennt
man darin eine Darstellung des Todes Mariä; ringsum die Apostel,
vorn am Boden die nackte Figur eines Widersachers; ein eifriger
Apostel will eben ein schweres Buch auf ihn werfen, wird aber von
dem in der Mitte erscheinenden Christus zurückgehalten 1). Mit die-
sem wunderlichen Zug, der uns sonst bei keiner Darstellung dieser
Scene vorgekommen ist, bezahlt Alfonso seinen Tribut an die alt-
oberitalische Manier des heftigen, grellen Ausdruckes. Sonst ist die
Gruppe merkwürdig durch ihren Gegensatz zu denjenigen des Be-
garelli; sie macht Anspruch auf plastische, nicht bloss malerische An-

1) Vasari sagt: „ein rühmliches Werk, worin u. a. ein Jude auffällt, der die
Hände an die Todtenbahre der Madonna legt.“ — Wozu der deutsche Heraus-
geber bemerkt: dieses Ereigniss werde erzählt in der Schrift „de transitu
virginis“, welche dem Bischof Melito (H. Jahrh.) zugeschrieben wurde, jetzt
aber für beträchtlich neuer gilt. Ich will die oben im Text gegebene Deu-
tung nicht weiter vertheidigen, da meine Erinnerung an die Gruppe nicht
mehr frisch und die genannte Schrift mir nicht zur Hand ist.
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[650/0672] Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Oberitaliener. und sehr tüchtig: die Lunettengruppe der Auferstehung Christi, aussen am linken Seitenportal (wenn Christus sich auf einen sitzenden Wäch- ter zu stützen scheint, so hat der Künstler diess wohl nur gethan um sich in einem reichern Linienproblem zu versuchen); — ferner drei von den Reliefs der Geschichte Mosis am rechten Pilaster desselben Portals, in offenbarem und glücklichem Wetteifer mit Tribolo (S. 643) entworfen sowohl als ausgeführt. — Mehr malerisch als plastisch, aber köstlich wie die besten jener Miniaturgeschichten der ferraresischen Malerschule erscheinen die drei Reliefs am Untersatz der berühmten Arca in S. Domenico, eine der geistvollsten und delicatesten Ar- beiten dieser Gattung. a b Eine ungleiche, zum Theil sehr tüchtige Arbeit sind die Me- daillonköpfe an Pal. Bolognini, N. 77. — Das Grabmal Ramazzotti in S. Micchele in Bosco (rechts vom Hauptportal) ist eines der besten jener oberitalischen Soldatengräber, welche den Geharnischten schlum- mernd und über ihm die Madonna darstellen. d In Alfonso’s spätester Zeit entstand dann wahrscheinlich die über lebensgrosse, figurenreiche Thongruppe im Oratorium bei S. Maria della Vita (zugänglich auf Nachfrage in den links an die Kirche stossenden Bureaux, eine Treppe hoch). Nicht ohne Mühe erkennt man darin eine Darstellung des Todes Mariä; ringsum die Apostel, vorn am Boden die nackte Figur eines Widersachers; ein eifriger Apostel will eben ein schweres Buch auf ihn werfen, wird aber von dem in der Mitte erscheinenden Christus zurückgehalten 1). Mit die- sem wunderlichen Zug, der uns sonst bei keiner Darstellung dieser Scene vorgekommen ist, bezahlt Alfonso seinen Tribut an die alt- oberitalische Manier des heftigen, grellen Ausdruckes. Sonst ist die Gruppe merkwürdig durch ihren Gegensatz zu denjenigen des Be- garelli; sie macht Anspruch auf plastische, nicht bloss malerische An- e 1) Vasari sagt: „ein rühmliches Werk, worin u. a. ein Jude auffällt, der die Hände an die Todtenbahre der Madonna legt.“ — Wozu der deutsche Heraus- geber bemerkt: dieses Ereigniss werde erzählt in der Schrift „de transitu virginis“, welche dem Bischof Melito (H. Jahrh.) zugeschrieben wurde, jetzt aber für beträchtlich neuer gilt. Ich will die oben im Text gegebene Deu- tung nicht weiter vertheidigen, da meine Erinnerung an die Gruppe nicht mehr frisch und die genannte Schrift mir nicht zur Hand ist.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 650. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/672>, abgerufen am 18.12.2024.