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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Alfonso Lombardi.

Vielleicht der bedeutendste dieser Reihe nächst Begarelli war der
Ferrarese 1) Alfonso Lombardi (1487--1536), der hauptsächlich
in Bologna arbeitete. Auch er beginnt realistisch, sogar mit ähnlichen
Aufgaben wie Begarelli. Ein frühes Werk, worin er demselben sehr
nahe steht, sind die bemalten (und jetzt neu bemalten) Halbfigurena
Christi und der Apostel in den beiden Querarmen des Domes von
Ferrara
. Der Künstler erscheint hier noch mehr naturalistisch ge-
bunden durch die Präcedentien seiner Schule; er verräth sich z. B.
als Schulgenossen eines Lorenzo Costa schon durch die grossen Hände,
und als tüchtigen Anfänger durch die zierliche und exacte Arbeit.
Allein die grosse lebendige Schönheit mehrerer Köpfe, wie z. B. des
Johannes, die bedeutende Geberde z. B. des Thomas, der sich in
seinen Mantel hüllt, zeigen welches Aufschwunges Alfonso bereits
fähig war. -- Ähnliches gilt von der bemalten Thongruppe des vonb
seinen Angehörigen beweinten Christusleichnams, in der Crypta von
S. Pietro zu Bologna, mit vorzüglichen Köpfen 2). -- Später, und zwar
zuletzt unter dem Einfluss Tribolo's, nähert er sich demjenigen Mass
idealer Bildung, welches Andrea Sansovino dieser ganzen Schule vor-
gezeichnet hatte. Er wagte sich an Aufgaben wie z. B. der colossalec
sitzende Hercules (von Thon) im obern Vorsaal des Palazzo apostolico,
der in den Verhältnissen immer beträchtlich besser, in der Stellung
ungesuchter ist als Alles was Bandinelli und Ammanati hinterlassen
haben. (Stark restaurirt.) -- Die grösste Zahl seiner Arbeiten finden
sich an S. Petronio: anscheinend noch lombardisch befangen: died
Statuen (englischer Gruss mit Gottvater, und Sündenfall) an der In-
nenseite des rechten und linken Seitenportals der Fassade; -- freier

1) Er stammte eigentlich von Lucca und hiess Citadella. Als Künstler gehört
er aber durchaus nach Oberitalien.
2) Aus derselben Zeit enthält der von Touristen wenig besuchte Wallfahrtsort
Varallo (westlich vom Lago maggiore) in der Capella del sacro monte und*
(wie man annimmt) auch in einigen der Stationscapellen lebensgrosse farbige
Freigruppen, angegeben oder auch ausgeführt von dem berühmten Maler
Gaudenzio Ferrari; die darin dargestellten Vorgänge der Passion sind
gleichsam fortgesetzt und erklärt durch Fresken an den Wänden. Wie sie
sich zum Styl des Mazzoni oder des Alfonso verhalten, weiss ich nicht an-
zugeben.
Alfonso Lombardi.

Vielleicht der bedeutendste dieser Reihe nächst Begarelli war der
Ferrarese 1) Alfonso Lombardi (1487—1536), der hauptsächlich
in Bologna arbeitete. Auch er beginnt realistisch, sogar mit ähnlichen
Aufgaben wie Begarelli. Ein frühes Werk, worin er demselben sehr
nahe steht, sind die bemalten (und jetzt neu bemalten) Halbfigurena
Christi und der Apostel in den beiden Querarmen des Domes von
Ferrara
. Der Künstler erscheint hier noch mehr naturalistisch ge-
bunden durch die Präcedentien seiner Schule; er verräth sich z. B.
als Schulgenossen eines Lorenzo Costa schon durch die grossen Hände,
und als tüchtigen Anfänger durch die zierliche und exacte Arbeit.
Allein die grosse lebendige Schönheit mehrerer Köpfe, wie z. B. des
Johannes, die bedeutende Geberde z. B. des Thomas, der sich in
seinen Mantel hüllt, zeigen welches Aufschwunges Alfonso bereits
fähig war. — Ähnliches gilt von der bemalten Thongruppe des vonb
seinen Angehörigen beweinten Christusleichnams, in der Crypta von
S. Pietro zu Bologna, mit vorzüglichen Köpfen 2). — Später, und zwar
zuletzt unter dem Einfluss Tribolo’s, nähert er sich demjenigen Mass
idealer Bildung, welches Andrea Sansovino dieser ganzen Schule vor-
gezeichnet hatte. Er wagte sich an Aufgaben wie z. B. der colossalec
sitzende Hercules (von Thon) im obern Vorsaal des Palazzo apostolico,
der in den Verhältnissen immer beträchtlich besser, in der Stellung
ungesuchter ist als Alles was Bandinelli und Ammanati hinterlassen
haben. (Stark restaurirt.) — Die grösste Zahl seiner Arbeiten finden
sich an S. Petronio: anscheinend noch lombardisch befangen: died
Statuen (englischer Gruss mit Gottvater, und Sündenfall) an der In-
nenseite des rechten und linken Seitenportals der Fassade; — freier

1) Er stammte eigentlich von Lucca und hiess Citadella. Als Künstler gehört
er aber durchaus nach Oberitalien.
2) Aus derselben Zeit enthält der von Touristen wenig besuchte Wallfahrtsort
Varallo (westlich vom Lago maggiore) in der Capella del sacro monte und*
(wie man annimmt) auch in einigen der Stationscapellen lebensgrosse farbige
Freigruppen, angegeben oder auch ausgeführt von dem berühmten Maler
Gaudenzio Ferrari; die darin dargestellten Vorgänge der Passion sind
gleichsam fortgesetzt und erklärt durch Fresken an den Wänden. Wie sie
sich zum Styl des Mazzoni oder des Alfonso verhalten, weiss ich nicht an-
zugeben.
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[649/0671] Alfonso Lombardi. Vielleicht der bedeutendste dieser Reihe nächst Begarelli war der Ferrarese 1) Alfonso Lombardi (1487—1536), der hauptsächlich in Bologna arbeitete. Auch er beginnt realistisch, sogar mit ähnlichen Aufgaben wie Begarelli. Ein frühes Werk, worin er demselben sehr nahe steht, sind die bemalten (und jetzt neu bemalten) Halbfiguren Christi und der Apostel in den beiden Querarmen des Domes von Ferrara. Der Künstler erscheint hier noch mehr naturalistisch ge- bunden durch die Präcedentien seiner Schule; er verräth sich z. B. als Schulgenossen eines Lorenzo Costa schon durch die grossen Hände, und als tüchtigen Anfänger durch die zierliche und exacte Arbeit. Allein die grosse lebendige Schönheit mehrerer Köpfe, wie z. B. des Johannes, die bedeutende Geberde z. B. des Thomas, der sich in seinen Mantel hüllt, zeigen welches Aufschwunges Alfonso bereits fähig war. — Ähnliches gilt von der bemalten Thongruppe des von seinen Angehörigen beweinten Christusleichnams, in der Crypta von S. Pietro zu Bologna, mit vorzüglichen Köpfen 2). — Später, und zwar zuletzt unter dem Einfluss Tribolo’s, nähert er sich demjenigen Mass idealer Bildung, welches Andrea Sansovino dieser ganzen Schule vor- gezeichnet hatte. Er wagte sich an Aufgaben wie z. B. der colossale sitzende Hercules (von Thon) im obern Vorsaal des Palazzo apostolico, der in den Verhältnissen immer beträchtlich besser, in der Stellung ungesuchter ist als Alles was Bandinelli und Ammanati hinterlassen haben. (Stark restaurirt.) — Die grösste Zahl seiner Arbeiten finden sich an S. Petronio: anscheinend noch lombardisch befangen: die Statuen (englischer Gruss mit Gottvater, und Sündenfall) an der In- nenseite des rechten und linken Seitenportals der Fassade; — freier a b c d 1) Er stammte eigentlich von Lucca und hiess Citadella. Als Künstler gehört er aber durchaus nach Oberitalien. 2) Aus derselben Zeit enthält der von Touristen wenig besuchte Wallfahrtsort Varallo (westlich vom Lago maggiore) in der Capella del sacro monte und (wie man annimmt) auch in einigen der Stationscapellen lebensgrosse farbige Freigruppen, angegeben oder auch ausgeführt von dem berühmten Maler Gaudenzio Ferrari; die darin dargestellten Vorgänge der Passion sind gleichsam fortgesetzt und erklärt durch Fresken an den Wänden. Wie sie sich zum Styl des Mazzoni oder des Alfonso verhalten, weiss ich nicht an- zugeben.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 649. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/671>, abgerufen am 16.07.2024.