des Jammers edel und ergreifend zugleich, die Köpfe grandios wie sie nur in der Zeit der hohen Blüthe vorkommen. Die Frau zur Linken der Madonna hat z. B. am ehesten in Rafaels Kreuztragung ihres Gleichen. Der Künstler ist aber auch aller andern Mittel des Ausdruckes völlig Herr; die Hände sind mit der grössten Leichtigkeit schön und sprechend angeordnet 1), das Liegen der Maria, das Knieen des Franciscus, das Überbeugen der hinten stehenden Frau zeigen eine vollendete Meisterschaft. In der Gewandung aber verräth sich das selbst malerisch Ungenügende dieses Naturalismus, der nicht er- kennt, dass die Gewandung in der Kunst etwas anderes ist als im Leben, nämlich ein werthvolles Verdeutlichungsmittel der Gestalt und Bewegung, das zudem in der Plastik sehr bestimmten Gesetzen unter- liegt. So drängt sich an dieser Stelle viel Müssiges und Unnützes vor; schon beginnen Mantelenden und Schleier zu flattern, als wehte von Neapel her bereits der berninische Scirocco hinein.
Doch ein ganz reifes und herrliches Werk kann diese Schatten- seiten vergessen machen. In S. Pietro (Cap. rechts vom Chor) ista wieder eine "Klage um den todten Christus" nur von vier Figuren. Nicodemus hebt den liegenden Leichnam etwas empor, Johannes hält die davor knieende Mutter. Als Bild vollkommen, in der Behandlung des Details einfach und grossartig, erreicht diese Gruppe jene reine Höhe der vollendeten Meisterwerke des XVI. Jahrhunderts. -- In der- selben Kirche ist die Altargruppe des rechten Querschiffes (vier Hei-b lige, oben in Wolken Madonna mit Engeln) von B. angefangen, von seinem Neffen Lodovico vollendet; Einzelnes wie die Ekstase des Petrus, die Schönheit des Kopfes der Maria und des Kindes ist auch hier von grossem Werthe. -- Dagegen zeigen die sechs lebensgrossenc Statuen, welche frei im Hauptschiff stehen, die ganze Unfähigkeit des Künstlers, eine ruhige Gestalt plastisch zu stellen. -- Ebenso verhält es sich mit den vier Statuen im obern Klostergang zu S. Giovannid in Parma, welche in Detail diese sechs übertreffen und zu den Wer- ken der besten Epoche gehören. Wie unentschieden ist Leib und Haltung dieses Ev. Johannes, dieser Madonna! wie vergnüglich cha- rakterisirt Begarelli die weiten hängenden Ermel des heil. Benedict!
1) Was bei Coreggio durchaus nicht immer der Fall ist.
Antonio Begarelli.
des Jammers edel und ergreifend zugleich, die Köpfe grandios wie sie nur in der Zeit der hohen Blüthe vorkommen. Die Frau zur Linken der Madonna hat z. B. am ehesten in Rafaels Kreuztragung ihres Gleichen. Der Künstler ist aber auch aller andern Mittel des Ausdruckes völlig Herr; die Hände sind mit der grössten Leichtigkeit schön und sprechend angeordnet 1), das Liegen der Maria, das Knieen des Franciscus, das Überbeugen der hinten stehenden Frau zeigen eine vollendete Meisterschaft. In der Gewandung aber verräth sich das selbst malerisch Ungenügende dieses Naturalismus, der nicht er- kennt, dass die Gewandung in der Kunst etwas anderes ist als im Leben, nämlich ein werthvolles Verdeutlichungsmittel der Gestalt und Bewegung, das zudem in der Plastik sehr bestimmten Gesetzen unter- liegt. So drängt sich an dieser Stelle viel Müssiges und Unnützes vor; schon beginnen Mantelenden und Schleier zu flattern, als wehte von Neapel her bereits der berninische Scirocco hinein.
Doch ein ganz reifes und herrliches Werk kann diese Schatten- seiten vergessen machen. In S. Pietro (Cap. rechts vom Chor) ista wieder eine „Klage um den todten Christus“ nur von vier Figuren. Nicodemus hebt den liegenden Leichnam etwas empor, Johannes hält die davor knieende Mutter. Als Bild vollkommen, in der Behandlung des Details einfach und grossartig, erreicht diese Gruppe jene reine Höhe der vollendeten Meisterwerke des XVI. Jahrhunderts. — In der- selben Kirche ist die Altargruppe des rechten Querschiffes (vier Hei-b lige, oben in Wolken Madonna mit Engeln) von B. angefangen, von seinem Neffen Lodovico vollendet; Einzelnes wie die Ekstase des Petrus, die Schönheit des Kopfes der Maria und des Kindes ist auch hier von grossem Werthe. — Dagegen zeigen die sechs lebensgrossenc Statuen, welche frei im Hauptschiff stehen, die ganze Unfähigkeit des Künstlers, eine ruhige Gestalt plastisch zu stellen. — Ebenso verhält es sich mit den vier Statuen im obern Klostergang zu S. Giovannid in Parma, welche in Detail diese sechs übertreffen und zu den Wer- ken der besten Epoche gehören. Wie unentschieden ist Leib und Haltung dieses Ev. Johannes, dieser Madonna! wie vergnüglich cha- rakterisirt Begarelli die weiten hängenden Ermel des heil. Benedict!
1) Was bei Coreggio durchaus nicht immer der Fall ist.
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Antonio Begarelli.
des Jammers edel und ergreifend zugleich, die Köpfe grandios wie
sie nur in der Zeit der hohen Blüthe vorkommen. Die Frau zur
Linken der Madonna hat z. B. am ehesten in Rafaels Kreuztragung
ihres Gleichen. Der Künstler ist aber auch aller andern Mittel des
Ausdruckes völlig Herr; die Hände sind mit der grössten Leichtigkeit
schön und sprechend angeordnet 1), das Liegen der Maria, das Knieen
des Franciscus, das Überbeugen der hinten stehenden Frau zeigen
eine vollendete Meisterschaft. In der Gewandung aber verräth sich
das selbst malerisch Ungenügende dieses Naturalismus, der nicht er-
kennt, dass die Gewandung in der Kunst etwas anderes ist als im
Leben, nämlich ein werthvolles Verdeutlichungsmittel der Gestalt und
Bewegung, das zudem in der Plastik sehr bestimmten Gesetzen unter-
liegt. So drängt sich an dieser Stelle viel Müssiges und Unnützes
vor; schon beginnen Mantelenden und Schleier zu flattern, als wehte
von Neapel her bereits der berninische Scirocco hinein.
Doch ein ganz reifes und herrliches Werk kann diese Schatten-
seiten vergessen machen. In S. Pietro (Cap. rechts vom Chor) ist
wieder eine „Klage um den todten Christus“ nur von vier Figuren.
Nicodemus hebt den liegenden Leichnam etwas empor, Johannes hält
die davor knieende Mutter. Als Bild vollkommen, in der Behandlung
des Details einfach und grossartig, erreicht diese Gruppe jene reine
Höhe der vollendeten Meisterwerke des XVI. Jahrhunderts. — In der-
selben Kirche ist die Altargruppe des rechten Querschiffes (vier Hei-
lige, oben in Wolken Madonna mit Engeln) von B. angefangen, von
seinem Neffen Lodovico vollendet; Einzelnes wie die Ekstase des
Petrus, die Schönheit des Kopfes der Maria und des Kindes ist auch
hier von grossem Werthe. — Dagegen zeigen die sechs lebensgrossen
Statuen, welche frei im Hauptschiff stehen, die ganze Unfähigkeit des
Künstlers, eine ruhige Gestalt plastisch zu stellen. — Ebenso verhält
es sich mit den vier Statuen im obern Klostergang zu S. Giovanni
in Parma, welche in Detail diese sechs übertreffen und zu den Wer-
ken der besten Epoche gehören. Wie unentschieden ist Leib und
Haltung dieses Ev. Johannes, dieser Madonna! wie vergnüglich cha-
rakterisirt Begarelli die weiten hängenden Ermel des heil. Benedict!
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1) Was bei Coreggio durchaus nicht immer der Fall ist.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/669>, abgerufen am 18.12.2024.
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