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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Lorenzetto. Tribolo.
Bildung, aber in der Geberde von wunderbarem Ausdruck des wie-
dergewonnenen jugendlichen Lebens, das wie vom Schlaf erwacht.
(Der Fischrachen ist geschickt und bescheiden angegeben. Im Kopf
des Jonas eine Annäherung an die Züge des Antinous.) -- Der Prophet
aElias gegenüber zeigt Lorenzetto's stumpfere Ausführung; -- ebenso die
bsehr schön gedachte Madonnenstatue auf demjenigen Altar im Pan-
theon, welcher Rafaels Grab hinter sich birgt. -- Lorenzetto's eigene
cErfindung möchte der S. Petrus am Eingang der Engelsbrücke sein.
-- (In der Art Lorenzetto's scheint auch die sitzende Madonna über
ddem Grabmal des Guidiccioni in S. Francesco zu Lucca gearbeitet,
deren Urheber ich nicht anzugeben weiss. Die schöne Intention in
dem Kopf der Madonna, in Bewegung und Gestalt des Kindes, das
sie am Schleier fasst, übertrifft die Ausführung.)


Der Zeit nach müsste schon hier Michelangelo genannt werden,
allein bei der historischen Stellung, die er gegenüber der ganzen
spätern Sculptur einnimmt, ist es nothwendig, zuerst diejenige An-
zahl von Künstlern zu besprechen, welche, obwohl meist jünger als
er, noch nicht oder noch wenig von seinem Styl berührt wurden. Sie
haben theils die Richtungen des XV. Jahrh., dessen Realismus und
bunten Reichthum aufgebraucht, theils auch sich der freien und hohen
Schönheit stellenweise genähert, meist aber sich der von der römi-
schen Malerschule ausgehenden Entartung nicht entziehen können.

Zunächst ein paar Florentiner. (Den Bandinelli versparen wir
auf die Michelangelisten, zu welchen er wider Willen gehört.) -- Tri-
bolo
(eigentlich Niccolo Pericoli, 1500--1565) war anfänglich Schüler
des unten zu nennenden Jacopo Sansovino, allein in einer Zeit, da
dieser noch seinem Lehrer Andrea im Styl näher stand als seiner
eigenen spätern Manier; zudem muss Tribolo von Anfang an auch
Andrea's Werke gekannt haben und später, durch die Mitarbeit an
der Santa casa von Loretto nach dessen Entwürfen, von dem Styl
Andrea's durchdrungen worden sein. Der Verf. hat es besonders an
dieser Stelle zu beklagen, dass ihm die Untersuchung der dortigen
Sculpturen nicht vergönnt war. Welch ein Meister Andrea Sansovino
auch im Relief gewesen sein muss und welchen Einfluss er auf die
Seinigen ausübte, lassen die Arbeiten dieses seines Schülers wenigstens

Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Lorenzetto. Tribolo.
Bildung, aber in der Geberde von wunderbarem Ausdruck des wie-
dergewonnenen jugendlichen Lebens, das wie vom Schlaf erwacht.
(Der Fischrachen ist geschickt und bescheiden angegeben. Im Kopf
des Jonas eine Annäherung an die Züge des Antinous.) — Der Prophet
aElias gegenüber zeigt Lorenzetto’s stumpfere Ausführung; — ebenso die
bsehr schön gedachte Madonnenstatue auf demjenigen Altar im Pan-
theon, welcher Rafaels Grab hinter sich birgt. — Lorenzetto’s eigene
cErfindung möchte der S. Petrus am Eingang der Engelsbrücke sein.
— (In der Art Lorenzetto’s scheint auch die sitzende Madonna über
ddem Grabmal des Guidiccioni in S. Francesco zu Lucca gearbeitet,
deren Urheber ich nicht anzugeben weiss. Die schöne Intention in
dem Kopf der Madonna, in Bewegung und Gestalt des Kindes, das
sie am Schleier fasst, übertrifft die Ausführung.)


Der Zeit nach müsste schon hier Michelangelo genannt werden,
allein bei der historischen Stellung, die er gegenüber der ganzen
spätern Sculptur einnimmt, ist es nothwendig, zuerst diejenige An-
zahl von Künstlern zu besprechen, welche, obwohl meist jünger als
er, noch nicht oder noch wenig von seinem Styl berührt wurden. Sie
haben theils die Richtungen des XV. Jahrh., dessen Realismus und
bunten Reichthum aufgebraucht, theils auch sich der freien und hohen
Schönheit stellenweise genähert, meist aber sich der von der römi-
schen Malerschule ausgehenden Entartung nicht entziehen können.

Zunächst ein paar Florentiner. (Den Bandinelli versparen wir
auf die Michelangelisten, zu welchen er wider Willen gehört.) — Tri-
bolo
(eigentlich Niccolò Pericoli, 1500—1565) war anfänglich Schüler
des unten zu nennenden Jacopo Sansovino, allein in einer Zeit, da
dieser noch seinem Lehrer Andrea im Styl näher stand als seiner
eigenen spätern Manier; zudem muss Tribolo von Anfang an auch
Andrea’s Werke gekannt haben und später, durch die Mitarbeit an
der Santa casa von Loretto nach dessen Entwürfen, von dem Styl
Andrea’s durchdrungen worden sein. Der Verf. hat es besonders an
dieser Stelle zu beklagen, dass ihm die Untersuchung der dortigen
Sculpturen nicht vergönnt war. Welch ein Meister Andrea Sansovino
auch im Relief gewesen sein muss und welchen Einfluss er auf die
Seinigen ausübte, lassen die Arbeiten dieses seines Schülers wenigstens

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[642/0664] Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Lorenzetto. Tribolo. Bildung, aber in der Geberde von wunderbarem Ausdruck des wie- dergewonnenen jugendlichen Lebens, das wie vom Schlaf erwacht. (Der Fischrachen ist geschickt und bescheiden angegeben. Im Kopf des Jonas eine Annäherung an die Züge des Antinous.) — Der Prophet Elias gegenüber zeigt Lorenzetto’s stumpfere Ausführung; — ebenso die sehr schön gedachte Madonnenstatue auf demjenigen Altar im Pan- theon, welcher Rafaels Grab hinter sich birgt. — Lorenzetto’s eigene Erfindung möchte der S. Petrus am Eingang der Engelsbrücke sein. — (In der Art Lorenzetto’s scheint auch die sitzende Madonna über dem Grabmal des Guidiccioni in S. Francesco zu Lucca gearbeitet, deren Urheber ich nicht anzugeben weiss. Die schöne Intention in dem Kopf der Madonna, in Bewegung und Gestalt des Kindes, das sie am Schleier fasst, übertrifft die Ausführung.) a b c d Der Zeit nach müsste schon hier Michelangelo genannt werden, allein bei der historischen Stellung, die er gegenüber der ganzen spätern Sculptur einnimmt, ist es nothwendig, zuerst diejenige An- zahl von Künstlern zu besprechen, welche, obwohl meist jünger als er, noch nicht oder noch wenig von seinem Styl berührt wurden. Sie haben theils die Richtungen des XV. Jahrh., dessen Realismus und bunten Reichthum aufgebraucht, theils auch sich der freien und hohen Schönheit stellenweise genähert, meist aber sich der von der römi- schen Malerschule ausgehenden Entartung nicht entziehen können. Zunächst ein paar Florentiner. (Den Bandinelli versparen wir auf die Michelangelisten, zu welchen er wider Willen gehört.) — Tri- bolo (eigentlich Niccolò Pericoli, 1500—1565) war anfänglich Schüler des unten zu nennenden Jacopo Sansovino, allein in einer Zeit, da dieser noch seinem Lehrer Andrea im Styl näher stand als seiner eigenen spätern Manier; zudem muss Tribolo von Anfang an auch Andrea’s Werke gekannt haben und später, durch die Mitarbeit an der Santa casa von Loretto nach dessen Entwürfen, von dem Styl Andrea’s durchdrungen worden sein. Der Verf. hat es besonders an dieser Stelle zu beklagen, dass ihm die Untersuchung der dortigen Sculpturen nicht vergönnt war. Welch ein Meister Andrea Sansovino auch im Relief gewesen sein muss und welchen Einfluss er auf die Seinigen ausübte, lassen die Arbeiten dieses seines Schülers wenigstens

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 642. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/664>, abgerufen am 16.07.2024.