höhern malerischen Gesetz, sondern nur einem dramatischen folgen. Der Bildner stellt seine bemalten zum Theil lebensgrossen Thonfiguren wohl oder übel zu einem Moment zusammen. Ein gewisser Guido Mazzoni in Modena erwarb sich und der Gattung einen sichern Ruhm, da ihm auch die gemeinste, wenn nur populär ergreifende Ausdrucksweise gelegen kam. Seine Gruppen bedürfen natürlich einer geschlossenen Aufstellung in einer Nische, wie auf einem Theater; nimmt man sie auseinander um sie frei aufzustellen (wie diess mit einer von "Modanino", d. h. wahrscheinlich von Mazzoni gearbeiteten,a jetzt bronzirten Gruppe in Montoliveto zu Neapel, Cap. neben dem rechten Querschiff, geschehen ist), so wirken die einzelnen Figuren nur lächerlich. Sein Hauptwerk ist in S. Giovanni decollato zu Modena,b der Leichnam Christi auf dem Schooss seiner Mutter, von den An- gehörigen beweint; theilweise eine wahre Caricatur des Schmerzes, in unwürdigen spiessbürgerlichen Figuren und dabei doch nicht ohne wahre realistische Gestaltungskraft; der magere Leichnam ist gar nicht gemein. Eine andere Gruppe, in der Crypta des Domes (Altar rechts)c stellt die von zwei knieenden Heiligen verehrte Madonna dar; dane- ben steht ein ganz abscheuliches weibliches Wesen, das nach der Schürze und dem zerrissenen Ermel zu urtheilen ein Dienstmädchen darstellen könnte; sie hält ein Süppchen für das Kind und bläst schie- lend in den heissen Löffel. Dergleichen geht über allen Caravaggio hinaus. -- Wenn man aber inne wird, wie volksthümlich solche Werke sind, so möchte man beinahe wünschen, dass einmal die wahre Sculptur noch einen Versuch dieser Art wagen dürfte.
Schliesslich glaube ich dem Mazzoni die Gruppe in S. Maria dellad Rosa zu Ferrara (neben der Thür, links, ihrer echten Nischenaufstel- lung beraubt) zuschreiben zu müssen. Es ist wieder die Klage um den todten Christus, welcher hier mit demjenigen in S. Giovanni zu Modena völlig übereinstimmt; auch der furchtbar grimassirende Schmerz sowohl als der plastische Styl der übrigen Figuren ist ganz dersel- ben Art. Es ist Zeit, den Namen Alfonso Lombardi's (welchen man dem Werk aus blosser Vermuthung beilegt) von diesen zwar energi- schen, aber unleidlichen Missbildungen zu trennen. -- (Eine etwas ge- mässigtere Gruppe ähnlichen Styles im Carmine zu Brescia, Ende dese Seitenschiffes.)
Modena. Guido Mazzoni.
höhern malerischen Gesetz, sondern nur einem dramatischen folgen. Der Bildner stellt seine bemalten zum Theil lebensgrossen Thonfiguren wohl oder übel zu einem Moment zusammen. Ein gewisser Guido Mazzoni in Modena erwarb sich und der Gattung einen sichern Ruhm, da ihm auch die gemeinste, wenn nur populär ergreifende Ausdrucksweise gelegen kam. Seine Gruppen bedürfen natürlich einer geschlossenen Aufstellung in einer Nische, wie auf einem Theater; nimmt man sie auseinander um sie frei aufzustellen (wie diess mit einer von „Modanino“, d. h. wahrscheinlich von Mazzoni gearbeiteten,a jetzt bronzirten Gruppe in Montoliveto zu Neapel, Cap. neben dem rechten Querschiff, geschehen ist), so wirken die einzelnen Figuren nur lächerlich. Sein Hauptwerk ist in S. Giovanni decollato zu Modena,b der Leichnam Christi auf dem Schooss seiner Mutter, von den An- gehörigen beweint; theilweise eine wahre Caricatur des Schmerzes, in unwürdigen spiessbürgerlichen Figuren und dabei doch nicht ohne wahre realistische Gestaltungskraft; der magere Leichnam ist gar nicht gemein. Eine andere Gruppe, in der Crypta des Domes (Altar rechts)c stellt die von zwei knieenden Heiligen verehrte Madonna dar; dane- ben steht ein ganz abscheuliches weibliches Wesen, das nach der Schürze und dem zerrissenen Ermel zu urtheilen ein Dienstmädchen darstellen könnte; sie hält ein Süppchen für das Kind und bläst schie- lend in den heissen Löffel. Dergleichen geht über allen Caravaggio hinaus. — Wenn man aber inne wird, wie volksthümlich solche Werke sind, so möchte man beinahe wünschen, dass einmal die wahre Sculptur noch einen Versuch dieser Art wagen dürfte.
Schliesslich glaube ich dem Mazzoni die Gruppe in S. Maria dellad Rosa zu Ferrara (neben der Thür, links, ihrer echten Nischenaufstel- lung beraubt) zuschreiben zu müssen. Es ist wieder die Klage um den todten Christus, welcher hier mit demjenigen in S. Giovanni zu Modena völlig übereinstimmt; auch der furchtbar grimassirende Schmerz sowohl als der plastische Styl der übrigen Figuren ist ganz dersel- ben Art. Es ist Zeit, den Namen Alfonso Lombardi’s (welchen man dem Werk aus blosser Vermuthung beilegt) von diesen zwar energi- schen, aber unleidlichen Missbildungen zu trennen. — (Eine etwas ge- mässigtere Gruppe ähnlichen Styles im Carmine zu Brescia, Ende dese Seitenschiffes.)
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Modena. Guido Mazzoni.
höhern malerischen Gesetz, sondern nur einem dramatischen folgen.
Der Bildner stellt seine bemalten zum Theil lebensgrossen Thonfiguren
wohl oder übel zu einem Moment zusammen. Ein gewisser Guido
Mazzoni in Modena erwarb sich und der Gattung einen sichern
Ruhm, da ihm auch die gemeinste, wenn nur populär ergreifende
Ausdrucksweise gelegen kam. Seine Gruppen bedürfen natürlich einer
geschlossenen Aufstellung in einer Nische, wie auf einem Theater;
nimmt man sie auseinander um sie frei aufzustellen (wie diess mit
einer von „Modanino“, d. h. wahrscheinlich von Mazzoni gearbeiteten,
jetzt bronzirten Gruppe in Montoliveto zu Neapel, Cap. neben dem
rechten Querschiff, geschehen ist), so wirken die einzelnen Figuren nur
lächerlich. Sein Hauptwerk ist in S. Giovanni decollato zu Modena,
der Leichnam Christi auf dem Schooss seiner Mutter, von den An-
gehörigen beweint; theilweise eine wahre Caricatur des Schmerzes, in
unwürdigen spiessbürgerlichen Figuren und dabei doch nicht ohne
wahre realistische Gestaltungskraft; der magere Leichnam ist gar nicht
gemein. Eine andere Gruppe, in der Crypta des Domes (Altar rechts)
stellt die von zwei knieenden Heiligen verehrte Madonna dar; dane-
ben steht ein ganz abscheuliches weibliches Wesen, das nach der
Schürze und dem zerrissenen Ermel zu urtheilen ein Dienstmädchen
darstellen könnte; sie hält ein Süppchen für das Kind und bläst schie-
lend in den heissen Löffel. Dergleichen geht über allen Caravaggio
hinaus. — Wenn man aber inne wird, wie volksthümlich solche Werke
sind, so möchte man beinahe wünschen, dass einmal die wahre Sculptur
noch einen Versuch dieser Art wagen dürfte.
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Schliesslich glaube ich dem Mazzoni die Gruppe in S. Maria della
Rosa zu Ferrara (neben der Thür, links, ihrer echten Nischenaufstel-
lung beraubt) zuschreiben zu müssen. Es ist wieder die Klage um
den todten Christus, welcher hier mit demjenigen in S. Giovanni zu
Modena völlig übereinstimmt; auch der furchtbar grimassirende Schmerz
sowohl als der plastische Styl der übrigen Figuren ist ganz dersel-
ben Art. Es ist Zeit, den Namen Alfonso Lombardi’s (welchen man
dem Werk aus blosser Vermuthung beilegt) von diesen zwar energi-
schen, aber unleidlichen Missbildungen zu trennen. — (Eine etwas ge-
mässigtere Gruppe ähnlichen Styles im Carmine zu Brescia, Ende des
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 635. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/657>, abgerufen am 21.11.2024.
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