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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Leopardo. Die Capella Zeno.
unmittelbaren Studium der Antike beruhen muss. Das Beste aber
hat L. nicht aus dieser Quelle; ich meine die wunderbare Süssigkeit
und Milde der reichgelockten jugendlichen Köpfe, die in dieser Zeit
gradezu nur bei Lionardo da Vinci ihres Gleichen findet. Und der
eine herrliche Putto, welcher auf seinem Seepferd so wohlgemuth über
die Wellen gleitet, ist auch wohl ebenso von Leopardo beseelt, wie die
Putten der Galatea es von Rafael sind.

Ausserdem sind notorisch von Leopardo die drei Flaggen-a
halter auf dem Marcusplatz, deren Figürliches dieselbe Benützung
antiker Vorbilder mit grossem natürlichem Schönheitssinn verbunden
offenbart 1).

Nach Massgabe dieser Werke hat man nun auszuscheiden, welche
Theile der Sculpturen in der Cap. Zeno zu S. Marco ihm gehören. Esb
handelt sich um eine der prachtvollsten Grabstätten des XVI. Jahr-
hunderts, diejenige des Cardinals Gio. Batt. Zeno. An dem Sarco-
phag selbst sind wohl die sechs zum Theil den Deckel haltenden
Tugenden von Leopardo; sie erscheinen allerdings freier, ihm mehr
gemäss, weniger durch die Antike befangen als diejenigen am Grab-
mal Vendramin. Die liegende Statue des Cardinals ist schwer zu
definiren. Auf dem Altar sind die Statuen des Petrus und des Täu-
fers Johannes wohl am ehesten von Pietro oder Antonio Lombardi,
herrliche Köpfe, welche die unvollkommene Stellung wohl gut machen;
ebenso das Relief des Thronhimmels (Gottvater mit Engeln). Die be-

1) Hier oder nirgends sind zwei Reliefs unterzubringen, welche zu den schön-
sten in Venedig gehören. In einer Nebencapelle des rechten Querschiffes*
von S. Trovaso findet sich ein Altarvorsatz, der in flacher, etwas unterhöhl-
ter Arbeit Engelkinder mit den Passionsinstrumenten (ähnlich denjenigen in
dem muranesischen Altarbild der Krönung Mariä in der Academie) und seit-**
wärts musicirende Engel darstellt, von der naivsten Anmuth in Köpfen und
Geberden und mit grossem, raffinirtem Geschick der Verkürzungen, Man
glaubt ein florentinisches Werk vor sich zu sehen, bis man dieselbe Behand-
lung in einem Relief der Camera a letto des Dogenpalastes wieder erkennt;+
zwei Heilige empfehlen den knieenden Dogen und den Patriarchen der thro-
nenden Madonna; es ist die Seele Giovanni Bellini's in Marmor. Das Chri-
stuskind schreitet über der Mutter Knie den Männern freundlich entgegen.
Ob diese köstlichen Werke von L. sind, mag zweifelhaft bleiben; aber sie
kommen seiner Art näher als der aller Übrigen.
B. Cicerone. 40

Leopardo. Die Capella Zeno.
unmittelbaren Studium der Antike beruhen muss. Das Beste aber
hat L. nicht aus dieser Quelle; ich meine die wunderbare Süssigkeit
und Milde der reichgelockten jugendlichen Köpfe, die in dieser Zeit
gradezu nur bei Lionardo da Vinci ihres Gleichen findet. Und der
eine herrliche Putto, welcher auf seinem Seepferd so wohlgemuth über
die Wellen gleitet, ist auch wohl ebenso von Leopardo beseelt, wie die
Putten der Galatea es von Rafael sind.

Ausserdem sind notorisch von Leopardo die drei Flaggen-a
halter auf dem Marcusplatz, deren Figürliches dieselbe Benützung
antiker Vorbilder mit grossem natürlichem Schönheitssinn verbunden
offenbart 1).

Nach Massgabe dieser Werke hat man nun auszuscheiden, welche
Theile der Sculpturen in der Cap. Zeno zu S. Marco ihm gehören. Esb
handelt sich um eine der prachtvollsten Grabstätten des XVI. Jahr-
hunderts, diejenige des Cardinals Gio. Batt. Zeno. An dem Sarco-
phag selbst sind wohl die sechs zum Theil den Deckel haltenden
Tugenden von Leopardo; sie erscheinen allerdings freier, ihm mehr
gemäss, weniger durch die Antike befangen als diejenigen am Grab-
mal Vendramin. Die liegende Statue des Cardinals ist schwer zu
definiren. Auf dem Altar sind die Statuen des Petrus und des Täu-
fers Johannes wohl am ehesten von Pietro oder Antonio Lombardi,
herrliche Köpfe, welche die unvollkommene Stellung wohl gut machen;
ebenso das Relief des Thronhimmels (Gottvater mit Engeln). Die be-

1) Hier oder nirgends sind zwei Reliefs unterzubringen, welche zu den schön-
sten in Venedig gehören. In einer Nebencapelle des rechten Querschiffes*
von S. Trovaso findet sich ein Altarvorsatz, der in flacher, etwas unterhöhl-
ter Arbeit Engelkinder mit den Passionsinstrumenten (ähnlich denjenigen in
dem muranesischen Altarbild der Krönung Mariä in der Academie) und seit-**
wärts musicirende Engel darstellt, von der naivsten Anmuth in Köpfen und
Geberden und mit grossem, raffinirtem Geschick der Verkürzungen, Man
glaubt ein florentinisches Werk vor sich zu sehen, bis man dieselbe Behand-
lung in einem Relief der Camera a letto des Dogenpalastes wieder erkennt;
zwei Heilige empfehlen den knieenden Dogen und den Patriarchen der thro-
nenden Madonna; es ist die Seele Giovanni Bellini’s in Marmor. Das Chri-
stuskind schreitet über der Mutter Knie den Männern freundlich entgegen.
Ob diese köstlichen Werke von L. sind, mag zweifelhaft bleiben; aber sie
kommen seiner Art näher als der aller Übrigen.
B. Cicerone. 40
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[625/0647] Leopardo. Die Capella Zeno. unmittelbaren Studium der Antike beruhen muss. Das Beste aber hat L. nicht aus dieser Quelle; ich meine die wunderbare Süssigkeit und Milde der reichgelockten jugendlichen Köpfe, die in dieser Zeit gradezu nur bei Lionardo da Vinci ihres Gleichen findet. Und der eine herrliche Putto, welcher auf seinem Seepferd so wohlgemuth über die Wellen gleitet, ist auch wohl ebenso von Leopardo beseelt, wie die Putten der Galatea es von Rafael sind. Ausserdem sind notorisch von Leopardo die drei Flaggen- halter auf dem Marcusplatz, deren Figürliches dieselbe Benützung antiker Vorbilder mit grossem natürlichem Schönheitssinn verbunden offenbart 1). a Nach Massgabe dieser Werke hat man nun auszuscheiden, welche Theile der Sculpturen in der Cap. Zeno zu S. Marco ihm gehören. Es handelt sich um eine der prachtvollsten Grabstätten des XVI. Jahr- hunderts, diejenige des Cardinals Gio. Batt. Zeno. An dem Sarco- phag selbst sind wohl die sechs zum Theil den Deckel haltenden Tugenden von Leopardo; sie erscheinen allerdings freier, ihm mehr gemäss, weniger durch die Antike befangen als diejenigen am Grab- mal Vendramin. Die liegende Statue des Cardinals ist schwer zu definiren. Auf dem Altar sind die Statuen des Petrus und des Täu- fers Johannes wohl am ehesten von Pietro oder Antonio Lombardi, herrliche Köpfe, welche die unvollkommene Stellung wohl gut machen; ebenso das Relief des Thronhimmels (Gottvater mit Engeln). Die be- b 1) Hier oder nirgends sind zwei Reliefs unterzubringen, welche zu den schön- sten in Venedig gehören. In einer Nebencapelle des rechten Querschiffes von S. Trovaso findet sich ein Altarvorsatz, der in flacher, etwas unterhöhl- ter Arbeit Engelkinder mit den Passionsinstrumenten (ähnlich denjenigen in dem muranesischen Altarbild der Krönung Mariä in der Academie) und seit- wärts musicirende Engel darstellt, von der naivsten Anmuth in Köpfen und Geberden und mit grossem, raffinirtem Geschick der Verkürzungen, Man glaubt ein florentinisches Werk vor sich zu sehen, bis man dieselbe Behand- lung in einem Relief der Camera a letto des Dogenpalastes wieder erkennt; zwei Heilige empfehlen den knieenden Dogen und den Patriarchen der thro- nenden Madonna; es ist die Seele Giovanni Bellini’s in Marmor. Das Chri- stuskind schreitet über der Mutter Knie den Männern freundlich entgegen. Ob diese köstlichen Werke von L. sind, mag zweifelhaft bleiben; aber sie kommen seiner Art näher als der aller Übrigen. B. Cicerone. 40

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 625. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/647>, abgerufen am 18.12.2024.