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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Mino da Fiesole.
gelernt und sie sogar schlechtweg wiederholt (Statuen in S. Pietroa
in Banchi, in S. Siro, S. Annunziata u. s. w.).


Einer der weniger begabten aber zugleich wohl der fleissigste
aller dieser florentinischen Sculptoren nächst Donatello war Desiderio's
Schüler, der eben erwähnte Mino da Fiesole (geboren nach 1400,
hauptsächlich thätig im dritten Viertel des XV. Jahrhunderts). Der
einseitige Naturalismus und die bekannten äusserlichen Manieren
dieser Kunstepoche werden bei ihm, wie theilweise schon bei Dona-
tello selbst, etwas Unvermeidliches; dabei ist seine Ausführung äusserst
sauber und genau und bisweilen durch die schönsten Ornamente
(Seite 235) verherrlicht. In einzelnen Fällen erhebt er (oder einer
seiner Mitarbeiter) sich zu einer grossen Anmuth; meist aber ist seinen
Gestalten, abgesehen von der nicht eben geschickten Anordnung im
Raum, eine gespreizte Stellung und eine geringe körperliche Bildung
eigen; seine Reliefs gehören zu den überladensten, mit flachen und
dabei unterhöhlten Figuren.

Seine Thätigkeit vertheilte sich auf Florenz und Rom. In Rom
scheint er eine bedeutende Werkstatt gehabt zu haben, wenigstens ist
in den zahllosen Grabmälern, Marmoraltären und Sacramentschränken,
womit sich damals die römischen Kirchen füllten, sein Styl nicht sel-
ten zu erkennen; Einiges ist auch bezeichnet oder durch Nachrichten
gesichert. Weit das Wichtigste sind die Sculpturen vom Grabmalb
Pauls II (+ 1471), jetzt an verschiedenen Stellen der Crypta von
S. Peter eingemauert; die allegorischen Frauen in Hochrelief sind
seine anmuthigsten Figuren, wenn auch von etwas gesuchtem Reichthum;
die grosse Lunette mit dem Weltgericht merkwürdig als Zeugniss des
flandrischen Einflusses auch auf die Sculptur der Italiener; die Grab-
statue nur durch das reiche Costüm interessant. -- An dem Grabmal
des Bischofs Jacopo Picolomini (+ 1479) im Klosterhof von S. Agostinoc
ein ähnlich aufgefasstes kleineres Weltgericht. -- Sicher von ihm:
das Grabmal des Jünglings Cecco Tornabuoni in der Minerva (linksd
vom Eingang); und der Wandtabernakel für das heil. Oel in der Sa-e
cristei von S. Maria in Trastevere. Die Werke seiner römischen Nach-
folger sind unten zu erwähnen.

Mino da Fiesole.
gelernt und sie sogar schlechtweg wiederholt (Statuen in S. Pietroa
in Banchi, in S. Siro, S. Annunziata u. s. w.).


Einer der weniger begabten aber zugleich wohl der fleissigste
aller dieser florentinischen Sculptoren nächst Donatello war Desiderio’s
Schüler, der eben erwähnte Mino da Fiesole (geboren nach 1400,
hauptsächlich thätig im dritten Viertel des XV. Jahrhunderts). Der
einseitige Naturalismus und die bekannten äusserlichen Manieren
dieser Kunstepoche werden bei ihm, wie theilweise schon bei Dona-
tello selbst, etwas Unvermeidliches; dabei ist seine Ausführung äusserst
sauber und genau und bisweilen durch die schönsten Ornamente
(Seite 235) verherrlicht. In einzelnen Fällen erhebt er (oder einer
seiner Mitarbeiter) sich zu einer grossen Anmuth; meist aber ist seinen
Gestalten, abgesehen von der nicht eben geschickten Anordnung im
Raum, eine gespreizte Stellung und eine geringe körperliche Bildung
eigen; seine Reliefs gehören zu den überladensten, mit flachen und
dabei unterhöhlten Figuren.

Seine Thätigkeit vertheilte sich auf Florenz und Rom. In Rom
scheint er eine bedeutende Werkstatt gehabt zu haben, wenigstens ist
in den zahllosen Grabmälern, Marmoraltären und Sacramentschränken,
womit sich damals die römischen Kirchen füllten, sein Styl nicht sel-
ten zu erkennen; Einiges ist auch bezeichnet oder durch Nachrichten
gesichert. Weit das Wichtigste sind die Sculpturen vom Grabmalb
Pauls II († 1471), jetzt an verschiedenen Stellen der Crypta von
S. Peter eingemauert; die allegorischen Frauen in Hochrelief sind
seine anmuthigsten Figuren, wenn auch von etwas gesuchtem Reichthum;
die grosse Lunette mit dem Weltgericht merkwürdig als Zeugniss des
flandrischen Einflusses auch auf die Sculptur der Italiener; die Grab-
statue nur durch das reiche Costüm interessant. — An dem Grabmal
des Bischofs Jacopo Picolomini († 1479) im Klosterhof von S. Agostinoc
ein ähnlich aufgefasstes kleineres Weltgericht. — Sicher von ihm:
das Grabmal des Jünglings Cecco Tornabuoni in der Minerva (linksd
vom Eingang); und der Wandtabernakel für das heil. Oel in der Sa-e
cristei von S. Maria in Trastevere. Die Werke seiner römischen Nach-
folger sind unten zu erwähnen.

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[607/0629] Mino da Fiesole. gelernt und sie sogar schlechtweg wiederholt (Statuen in S. Pietro in Banchi, in S. Siro, S. Annunziata u. s. w.). a Einer der weniger begabten aber zugleich wohl der fleissigste aller dieser florentinischen Sculptoren nächst Donatello war Desiderio’s Schüler, der eben erwähnte Mino da Fiesole (geboren nach 1400, hauptsächlich thätig im dritten Viertel des XV. Jahrhunderts). Der einseitige Naturalismus und die bekannten äusserlichen Manieren dieser Kunstepoche werden bei ihm, wie theilweise schon bei Dona- tello selbst, etwas Unvermeidliches; dabei ist seine Ausführung äusserst sauber und genau und bisweilen durch die schönsten Ornamente (Seite 235) verherrlicht. In einzelnen Fällen erhebt er (oder einer seiner Mitarbeiter) sich zu einer grossen Anmuth; meist aber ist seinen Gestalten, abgesehen von der nicht eben geschickten Anordnung im Raum, eine gespreizte Stellung und eine geringe körperliche Bildung eigen; seine Reliefs gehören zu den überladensten, mit flachen und dabei unterhöhlten Figuren. Seine Thätigkeit vertheilte sich auf Florenz und Rom. In Rom scheint er eine bedeutende Werkstatt gehabt zu haben, wenigstens ist in den zahllosen Grabmälern, Marmoraltären und Sacramentschränken, womit sich damals die römischen Kirchen füllten, sein Styl nicht sel- ten zu erkennen; Einiges ist auch bezeichnet oder durch Nachrichten gesichert. Weit das Wichtigste sind die Sculpturen vom Grabmal Pauls II († 1471), jetzt an verschiedenen Stellen der Crypta von S. Peter eingemauert; die allegorischen Frauen in Hochrelief sind seine anmuthigsten Figuren, wenn auch von etwas gesuchtem Reichthum; die grosse Lunette mit dem Weltgericht merkwürdig als Zeugniss des flandrischen Einflusses auch auf die Sculptur der Italiener; die Grab- statue nur durch das reiche Costüm interessant. — An dem Grabmal des Bischofs Jacopo Picolomini († 1479) im Klosterhof von S. Agostino ein ähnlich aufgefasstes kleineres Weltgericht. — Sicher von ihm: das Grabmal des Jünglings Cecco Tornabuoni in der Minerva (links vom Eingang); und der Wandtabernakel für das heil. Oel in der Sa- cristei von S. Maria in Trastevere. Die Werke seiner römischen Nach- folger sind unten zu erwähnen. b c d e

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 607. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/629>, abgerufen am 18.07.2024.