Die eherne Reiterstatue des venezian. Feldherrn Gattamelataa vor dem Santo zu Padua, schon technisch ein grosses und neues Wagestück für jene Zeit, war auch in der Darstellung eine Aufgabe, auf welche Donatello gleichsam ein Vorrecht besass, weil ihr kein Zeitgenosse so wäre gewachsen gewesen. In jenen Gegenden war man von den Gräbern der Scaliger her (S. 167, b, c) an Reiterdenkmale gewöhnt; aber erst D. belebt Ross und Mann vollständig und zwar diessmal -- wie man gestehen muss -- ohne capriciöse Herbheit, in einem beinahe grossartigen Sinne. (Für das Pferd dienten wohl eher die Rosse von S. Marco als die Marc Aurelsstatue zum Muster? -- Im Pal. della Ragione steht ein grosses hölzernes Modell, welchesb zwar diesem Pferde nicht ganz entspricht, doch aber eine Vorarbeit dazu gewesen sein möchte.)
Was D. im Relief für bedeutend und für möglich und erlaubt hielt, zeigen am vollständigsten die beiden Kanzeln in S. Lorenzo,c welche von ihm und seinem Schüler Bertoldo verfertigt sind. In ihren einzelnen Theilen sehr ungleich, selbst was den Massstab der Figuren betrifft, durchaus unplastisch, gedrängt, im Einzelnen oft energisch- hässlich, sind diese Darstellungen doch dramatisch sehr bedeutend. Das Gedränge und die Sehnsucht um den in der Vorhölle erscheinen- den Christus, die Begeisterung des Pfingstfestes, der Jammer und die Hingebung um das Kreuz u. a. m. ist auf ungemein lebendige und geistreiche Weise zur Anschauung gebracht, freilich zum Theil auf Kosten der Grundgesetze aller Plastik; edel und gemässigt ist nur etwa die Grablegung. (Am Obergesimse hat D. ausser Putten u. dgl. sogar die quirinalischen Pferdebändiger in classischem Eifer ange- bracht.) -- In der Sacristei ist mit Ausnahme von Verocchio's Sarco-d phag alles Plastische von ihm, und zwar so glücklich zur Architektur geordnet, dass man ein genaues persönliches Einverständniss mit Bru- nellesco annehmen kann. In die Zwickel unter der Kuppel kamen Rundbilder mit legendarischen Darstellungen, welche freilich mit ihrer malerisch gedachten Räumlichkeit und ihrer zerstreuten Composition ärmlich aussehen; hochbedeutend aber, ja auch plastisch vom Besten sind die vier Rundbilder der Evangelisten in den Lunetten; sie sitzen in tiefem Sinnen oder in Begeisterung vor Altären, auf welchen ihre bücherhaltenden Thiere stehen. Über den beiden Pforten zu den
Donatello. Reiterbild. Reliefs.
Die eherne Reiterstatue des venezian. Feldherrn Gattamelataa vor dem Santo zu Padua, schon technisch ein grosses und neues Wagestück für jene Zeit, war auch in der Darstellung eine Aufgabe, auf welche Donatello gleichsam ein Vorrecht besass, weil ihr kein Zeitgenosse so wäre gewachsen gewesen. In jenen Gegenden war man von den Gräbern der Scaliger her (S. 167, b, c) an Reiterdenkmale gewöhnt; aber erst D. belebt Ross und Mann vollständig und zwar diessmal — wie man gestehen muss — ohne capriciöse Herbheit, in einem beinahe grossartigen Sinne. (Für das Pferd dienten wohl eher die Rosse von S. Marco als die Marc Aurelsstatue zum Muster? — Im Pal. della Ragione steht ein grosses hölzernes Modell, welchesb zwar diesem Pferde nicht ganz entspricht, doch aber eine Vorarbeit dazu gewesen sein möchte.)
Was D. im Relief für bedeutend und für möglich und erlaubt hielt, zeigen am vollständigsten die beiden Kanzeln in S. Lorenzo,c welche von ihm und seinem Schüler Bertoldo verfertigt sind. In ihren einzelnen Theilen sehr ungleich, selbst was den Massstab der Figuren betrifft, durchaus unplastisch, gedrängt, im Einzelnen oft energisch- hässlich, sind diese Darstellungen doch dramatisch sehr bedeutend. Das Gedränge und die Sehnsucht um den in der Vorhölle erscheinen- den Christus, die Begeisterung des Pfingstfestes, der Jammer und die Hingebung um das Kreuz u. a. m. ist auf ungemein lebendige und geistreiche Weise zur Anschauung gebracht, freilich zum Theil auf Kosten der Grundgesetze aller Plastik; edel und gemässigt ist nur etwa die Grablegung. (Am Obergesimse hat D. ausser Putten u. dgl. sogar die quirinalischen Pferdebändiger in classischem Eifer ange- bracht.) — In der Sacristei ist mit Ausnahme von Verocchio’s Sarco-d phag alles Plastische von ihm, und zwar so glücklich zur Architektur geordnet, dass man ein genaues persönliches Einverständniss mit Bru- nellesco annehmen kann. In die Zwickel unter der Kuppel kamen Rundbilder mit legendarischen Darstellungen, welche freilich mit ihrer malerisch gedachten Räumlichkeit und ihrer zerstreuten Composition ärmlich aussehen; hochbedeutend aber, ja auch plastisch vom Besten sind die vier Rundbilder der Evangelisten in den Lunetten; sie sitzen in tiefem Sinnen oder in Begeisterung vor Altären, auf welchen ihre bücherhaltenden Thiere stehen. Über den beiden Pforten zu den
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Donatello. Reiterbild. Reliefs.
Die eherne Reiterstatue des venezian. Feldherrn Gattamelata
vor dem Santo zu Padua, schon technisch ein grosses und neues
Wagestück für jene Zeit, war auch in der Darstellung eine Aufgabe,
auf welche Donatello gleichsam ein Vorrecht besass, weil ihr kein
Zeitgenosse so wäre gewachsen gewesen. In jenen Gegenden war man
von den Gräbern der Scaliger her (S. 167, b, c) an Reiterdenkmale
gewöhnt; aber erst D. belebt Ross und Mann vollständig und zwar
diessmal — wie man gestehen muss — ohne capriciöse Herbheit, in
einem beinahe grossartigen Sinne. (Für das Pferd dienten wohl eher
die Rosse von S. Marco als die Marc Aurelsstatue zum Muster? —
Im Pal. della Ragione steht ein grosses hölzernes Modell, welches
zwar diesem Pferde nicht ganz entspricht, doch aber eine Vorarbeit
dazu gewesen sein möchte.)
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Was D. im Relief für bedeutend und für möglich und erlaubt
hielt, zeigen am vollständigsten die beiden Kanzeln in S. Lorenzo,
welche von ihm und seinem Schüler Bertoldo verfertigt sind. In ihren
einzelnen Theilen sehr ungleich, selbst was den Massstab der Figuren
betrifft, durchaus unplastisch, gedrängt, im Einzelnen oft energisch-
hässlich, sind diese Darstellungen doch dramatisch sehr bedeutend.
Das Gedränge und die Sehnsucht um den in der Vorhölle erscheinen-
den Christus, die Begeisterung des Pfingstfestes, der Jammer und die
Hingebung um das Kreuz u. a. m. ist auf ungemein lebendige und
geistreiche Weise zur Anschauung gebracht, freilich zum Theil auf
Kosten der Grundgesetze aller Plastik; edel und gemässigt ist nur
etwa die Grablegung. (Am Obergesimse hat D. ausser Putten u. dgl.
sogar die quirinalischen Pferdebändiger in classischem Eifer ange-
bracht.) — In der Sacristei ist mit Ausnahme von Verocchio’s Sarco-
phag alles Plastische von ihm, und zwar so glücklich zur Architektur
geordnet, dass man ein genaues persönliches Einverständniss mit Bru-
nellesco annehmen kann. In die Zwickel unter der Kuppel kamen
Rundbilder mit legendarischen Darstellungen, welche freilich mit ihrer
malerisch gedachten Räumlichkeit und ihrer zerstreuten Composition
ärmlich aussehen; hochbedeutend aber, ja auch plastisch vom Besten
sind die vier Rundbilder der Evangelisten in den Lunetten; sie sitzen
in tiefem Sinnen oder in Begeisterung vor Altären, auf welchen ihre
bücherhaltenden Thiere stehen. Über den beiden Pforten zu den
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/621>, abgerufen am 18.12.2024.
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