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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Sculptur des XV. Jahrhunderts. Brunellesco. Donatello.
aAbrahamsrelief (Uffizien, erstes Zimmer d. Br.), welches er in Con-
currenz mit dem erstern schuf, ist die nackte Figur des Isaak durch
ihren strengen Naturalismus ein bedeutendes und frühes Denkmal
dieser Richtung. Viel gemässigter und edler spricht sich dieselbe in
bB.'s berühmtem Crucifix aus (S. Maria novella, nächste Cap. links
vom Chor); es ist eine zwar scharfe aber schöne Bildung, auch in
dem geistvollen Haupte. -- Doch schon hatte der gewaltige Genosse
B.'s die Sculptur zu beherrschen angefangen.


Es kömmt in der Kunstgeschichte häufig vor, dass eine neue
Richtung ihre schärfsten Seiten, durch welche sie das Frühere am
Unerbittlichsten verneint, in einem Künstler concentrirt. So ganz nur
das Neue, nur das dem Bisherigen Widersprechende, ist aber selten
bei einem Stylumschwung mit derjenigen Einseitigkeit vertreten wor-
den, wie der Formengeist des XV. Jahrh. vertreten ist in Donatello
(1382 od. 87 -- 1466).

Seine frühste grössere Arbeit, das grosse Relief der Verkündigung
cin S. Croce (nach dem fünften Altar rechts) zeigt noch eine flüchtige
Annäherung gegen die Antike hin; aber schon in den Engelkindern
auf dem Gesimse meldet sich die spätere Sinnesweise: sie halten sich
an einander, um nicht schwindlich zu werden -- ein Zug wie er bei
keinem Frühern vorgekommen. Auch später noch klingt das Studium
antiker Sarcophage u. a. Sculpturen aus seinen Arbeiten heraus;
solche Stellen stechen aber befremdlich ab neben dem Übrigen.

Donatello war ein hochbegabter Naturalist und kannte in seiner
Kunst keine Schranken. Was da ist, schien ihm plastisch darstellbar
und Vieles schien ihm darstellungswürdig bloss weil es eben ist, weil
es Charakter hat. Diesem in seiner herbsten Schärfe, bisweilen
aber auch wo es der Gegenstand zuliess in seiner grossartigen Kraft
rücksichtslos zum Leben zu verhelfen, war für ihn die höchste Auf-
gabe. Der Schönheitssinn fehlte ihm nicht, aber er musste sich be-
ständig zurückdrängen lassen, sobald es sich um den Charakter han-
delte. Man musste damals die Stylgesetze neu errathen, und diess
geschah überhaupt nur partiell und zaghaft; wer sich aber einer sol-
chen Einseitigkeit überliess, dem musste Manches verborgen bleiben,

Sculptur des XV. Jahrhunderts. Brunellesco. Donatello.
aAbrahamsrelief (Uffizien, erstes Zimmer d. Br.), welches er in Con-
currenz mit dem erstern schuf, ist die nackte Figur des Isaak durch
ihren strengen Naturalismus ein bedeutendes und frühes Denkmal
dieser Richtung. Viel gemässigter und edler spricht sich dieselbe in
bB.’s berühmtem Crucifix aus (S. Maria novella, nächste Cap. links
vom Chor); es ist eine zwar scharfe aber schöne Bildung, auch in
dem geistvollen Haupte. — Doch schon hatte der gewaltige Genosse
B.’s die Sculptur zu beherrschen angefangen.


Es kömmt in der Kunstgeschichte häufig vor, dass eine neue
Richtung ihre schärfsten Seiten, durch welche sie das Frühere am
Unerbittlichsten verneint, in einem Künstler concentrirt. So ganz nur
das Neue, nur das dem Bisherigen Widersprechende, ist aber selten
bei einem Stylumschwung mit derjenigen Einseitigkeit vertreten wor-
den, wie der Formengeist des XV. Jahrh. vertreten ist in Donatello
(1382 od. 87 — 1466).

Seine frühste grössere Arbeit, das grosse Relief der Verkündigung
cin S. Croce (nach dem fünften Altar rechts) zeigt noch eine flüchtige
Annäherung gegen die Antike hin; aber schon in den Engelkindern
auf dem Gesimse meldet sich die spätere Sinnesweise: sie halten sich
an einander, um nicht schwindlich zu werden — ein Zug wie er bei
keinem Frühern vorgekommen. Auch später noch klingt das Studium
antiker Sarcophage u. a. Sculpturen aus seinen Arbeiten heraus;
solche Stellen stechen aber befremdlich ab neben dem Übrigen.

Donatello war ein hochbegabter Naturalist und kannte in seiner
Kunst keine Schranken. Was da ist, schien ihm plastisch darstellbar
und Vieles schien ihm darstellungswürdig bloss weil es eben ist, weil
es Charakter hat. Diesem in seiner herbsten Schärfe, bisweilen
aber auch wo es der Gegenstand zuliess in seiner grossartigen Kraft
rücksichtslos zum Leben zu verhelfen, war für ihn die höchste Auf-
gabe. Der Schönheitssinn fehlte ihm nicht, aber er musste sich be-
ständig zurückdrängen lassen, sobald es sich um den Charakter han-
delte. Man musste damals die Stylgesetze neu errathen, und diess
geschah überhaupt nur partiell und zaghaft; wer sich aber einer sol-
chen Einseitigkeit überliess, dem musste Manches verborgen bleiben,

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[596/0618] Sculptur des XV. Jahrhunderts. Brunellesco. Donatello. Abrahamsrelief (Uffizien, erstes Zimmer d. Br.), welches er in Con- currenz mit dem erstern schuf, ist die nackte Figur des Isaak durch ihren strengen Naturalismus ein bedeutendes und frühes Denkmal dieser Richtung. Viel gemässigter und edler spricht sich dieselbe in B.’s berühmtem Crucifix aus (S. Maria novella, nächste Cap. links vom Chor); es ist eine zwar scharfe aber schöne Bildung, auch in dem geistvollen Haupte. — Doch schon hatte der gewaltige Genosse B.’s die Sculptur zu beherrschen angefangen. a b Es kömmt in der Kunstgeschichte häufig vor, dass eine neue Richtung ihre schärfsten Seiten, durch welche sie das Frühere am Unerbittlichsten verneint, in einem Künstler concentrirt. So ganz nur das Neue, nur das dem Bisherigen Widersprechende, ist aber selten bei einem Stylumschwung mit derjenigen Einseitigkeit vertreten wor- den, wie der Formengeist des XV. Jahrh. vertreten ist in Donatello (1382 od. 87 — 1466). Seine frühste grössere Arbeit, das grosse Relief der Verkündigung in S. Croce (nach dem fünften Altar rechts) zeigt noch eine flüchtige Annäherung gegen die Antike hin; aber schon in den Engelkindern auf dem Gesimse meldet sich die spätere Sinnesweise: sie halten sich an einander, um nicht schwindlich zu werden — ein Zug wie er bei keinem Frühern vorgekommen. Auch später noch klingt das Studium antiker Sarcophage u. a. Sculpturen aus seinen Arbeiten heraus; solche Stellen stechen aber befremdlich ab neben dem Übrigen. c Donatello war ein hochbegabter Naturalist und kannte in seiner Kunst keine Schranken. Was da ist, schien ihm plastisch darstellbar und Vieles schien ihm darstellungswürdig bloss weil es eben ist, weil es Charakter hat. Diesem in seiner herbsten Schärfe, bisweilen aber auch wo es der Gegenstand zuliess in seiner grossartigen Kraft rücksichtslos zum Leben zu verhelfen, war für ihn die höchste Auf- gabe. Der Schönheitssinn fehlte ihm nicht, aber er musste sich be- ständig zurückdrängen lassen, sobald es sich um den Charakter han- delte. Man musste damals die Stylgesetze neu errathen, und diess geschah überhaupt nur partiell und zaghaft; wer sich aber einer sol- chen Einseitigkeit überliess, dem musste Manches verborgen bleiben,

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/618>, abgerufen am 18.07.2024.