im Relief eine nothwendige gewesen war. Eine figurenreiche Assi- stenz umgiebt und reflectirt jedes Ereigniss und hilft es vollziehen; reich abgestufte landschaftliche und bauliche Hintergründe suchen den Blick in die Ferne zu leiten. Aber neben diesem Verkennen des Zieles der Gattung taucht die neu geborene Schönheit der Einzelform mit einem ganz überwältigenden Reiz empor. Die befangene germa- nische Bildung macht hier nicht einem ebenfalls (in seinen eigenen Netzen) befangenen Realismus Platz, sondern einem neuen Idealismus. Einige antike Anklänge, zumal in der Gewandung, lassen sich nicht verkennen, aber es sind wenige; das Lebendig-Schönste ist G. völlig eigen. Es wäre überflüssig Einzelnes besonders hervorzuheben; der Reiz der Reliefs sowohl als der Statuetten in den Nischen spricht mäch- tig genug zu jedem Auge.
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Der eherne Reliquienschrein des heil. Zenobius (1439) unter dem hintersten Altar des Domes enthält auf der Rückseite einen von schwe- benden Engeln umgebenen Kranz, auf den drei übrigen Seiten die Wun- der des Heiligen, in einer ähnlichen Darstellungsweise wie die der letztgenannten Pforten. (Man übersehe die beiden Schmalseiten nicht, bwelche vielleicht das Vorzüglichste sind.) -- Die einfache und kleinere Cassa di S. Giacinto in den Uffizien (I. Zimmer der Bronzen) zeigt bloss an der Vorderseite schön bewegte Engel. -- Auch die Grab- cplatte des Lionardo Dati mit dessen grosser Flachrelieffigur im Mittel- schiff von S. Maria novella ist hier schliesslich als trefflichste Arbeit in dieser Gattung zu erwähnen.
Nur zwei ganze Statuen sind von Ghiberti vorhanden, die aber dgenügen um ihn in seiner Grösse zu zeigen; beide an Orsanmicchele. Die frühere, welche dem Styl der ersten Thür entspricht, ist Johannes der Täufer (1414), ein Werk voll ungesuchter innerer Gewalt und ergreifendem Charakter der Züge, in herben Formen. (Sehr bezeich- nend für Ghiberti's ideale Sinnesart ist die Bedeckung des bloss an- gedeuteten Thierfelles mit einem Gewande.) Die jüngere ist S. Ste- phanus, eine der zugleich reinsten und freisten Hervorbringungen der ganzen christlichen Sculptur, streng in Behandlung und Linien und doch von einer ganz unbefangenen Schönheit. Es giebt spätere Werke von viel bedeutenderm Inhalt und geistigem Aufwand, aber wohl keines mehr von diesem reinen Gleichgewicht. (Der Matthäus, früher
Sculptur des XV. Jahrhunderts. Ghiberti.
im Relief eine nothwendige gewesen war. Eine figurenreiche Assi- stenz umgiebt und reflectirt jedes Ereigniss und hilft es vollziehen; reich abgestufte landschaftliche und bauliche Hintergründe suchen den Blick in die Ferne zu leiten. Aber neben diesem Verkennen des Zieles der Gattung taucht die neu geborene Schönheit der Einzelform mit einem ganz überwältigenden Reiz empor. Die befangene germa- nische Bildung macht hier nicht einem ebenfalls (in seinen eigenen Netzen) befangenen Realismus Platz, sondern einem neuen Idealismus. Einige antike Anklänge, zumal in der Gewandung, lassen sich nicht verkennen, aber es sind wenige; das Lebendig-Schönste ist G. völlig eigen. Es wäre überflüssig Einzelnes besonders hervorzuheben; der Reiz der Reliefs sowohl als der Statuetten in den Nischen spricht mäch- tig genug zu jedem Auge.
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Der eherne Reliquienschrein des heil. Zenobius (1439) unter dem hintersten Altar des Domes enthält auf der Rückseite einen von schwe- benden Engeln umgebenen Kranz, auf den drei übrigen Seiten die Wun- der des Heiligen, in einer ähnlichen Darstellungsweise wie die der letztgenannten Pforten. (Man übersehe die beiden Schmalseiten nicht, bwelche vielleicht das Vorzüglichste sind.) — Die einfache und kleinere Cassa di S. Giacinto in den Uffizien (I. Zimmer der Bronzen) zeigt bloss an der Vorderseite schön bewegte Engel. — Auch die Grab- cplatte des Lionardo Dati mit dessen grosser Flachrelieffigur im Mittel- schiff von S. Maria novella ist hier schliesslich als trefflichste Arbeit in dieser Gattung zu erwähnen.
Nur zwei ganze Statuen sind von Ghiberti vorhanden, die aber dgenügen um ihn in seiner Grösse zu zeigen; beide an Orsanmicchele. Die frühere, welche dem Styl der ersten Thür entspricht, ist Johannes der Täufer (1414), ein Werk voll ungesuchter innerer Gewalt und ergreifendem Charakter der Züge, in herben Formen. (Sehr bezeich- nend für Ghiberti’s ideale Sinnesart ist die Bedeckung des bloss an- gedeuteten Thierfelles mit einem Gewande.) Die jüngere ist S. Ste- phanus, eine der zugleich reinsten und freisten Hervorbringungen der ganzen christlichen Sculptur, streng in Behandlung und Linien und doch von einer ganz unbefangenen Schönheit. Es giebt spätere Werke von viel bedeutenderm Inhalt und geistigem Aufwand, aber wohl keines mehr von diesem reinen Gleichgewicht. (Der Matthäus, früher
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Sculptur des XV. Jahrhunderts. Ghiberti.
im Relief eine nothwendige gewesen war. Eine figurenreiche Assi-
stenz umgiebt und reflectirt jedes Ereigniss und hilft es vollziehen;
reich abgestufte landschaftliche und bauliche Hintergründe suchen den
Blick in die Ferne zu leiten. Aber neben diesem Verkennen des
Zieles der Gattung taucht die neu geborene Schönheit der Einzelform
mit einem ganz überwältigenden Reiz empor. Die befangene germa-
nische Bildung macht hier nicht einem ebenfalls (in seinen eigenen
Netzen) befangenen Realismus Platz, sondern einem neuen Idealismus.
Einige antike Anklänge, zumal in der Gewandung, lassen sich nicht
verkennen, aber es sind wenige; das Lebendig-Schönste ist G. völlig
eigen. Es wäre überflüssig Einzelnes besonders hervorzuheben; der
Reiz der Reliefs sowohl als der Statuetten in den Nischen spricht mäch-
tig genug zu jedem Auge.
Der eherne Reliquienschrein des heil. Zenobius (1439) unter dem
hintersten Altar des Domes enthält auf der Rückseite einen von schwe-
benden Engeln umgebenen Kranz, auf den drei übrigen Seiten die Wun-
der des Heiligen, in einer ähnlichen Darstellungsweise wie die der
letztgenannten Pforten. (Man übersehe die beiden Schmalseiten nicht,
welche vielleicht das Vorzüglichste sind.) — Die einfache und kleinere
Cassa di S. Giacinto in den Uffizien (I. Zimmer der Bronzen) zeigt
bloss an der Vorderseite schön bewegte Engel. — Auch die Grab-
platte des Lionardo Dati mit dessen grosser Flachrelieffigur im Mittel-
schiff von S. Maria novella ist hier schliesslich als trefflichste Arbeit
in dieser Gattung zu erwähnen.
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Nur zwei ganze Statuen sind von Ghiberti vorhanden, die aber
genügen um ihn in seiner Grösse zu zeigen; beide an Orsanmicchele.
Die frühere, welche dem Styl der ersten Thür entspricht, ist Johannes
der Täufer (1414), ein Werk voll ungesuchter innerer Gewalt und
ergreifendem Charakter der Züge, in herben Formen. (Sehr bezeich-
nend für Ghiberti’s ideale Sinnesart ist die Bedeckung des bloss an-
gedeuteten Thierfelles mit einem Gewande.) Die jüngere ist S. Ste-
phanus, eine der zugleich reinsten und freisten Hervorbringungen der
ganzen christlichen Sculptur, streng in Behandlung und Linien und
doch von einer ganz unbefangenen Schönheit. Es giebt spätere Werke
von viel bedeutenderm Inhalt und geistigem Aufwand, aber wohl
keines mehr von diesem reinen Gleichgewicht. (Der Matthäus, früher
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/610>, abgerufen am 18.12.2024.
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