Neben der Thätigkeit der Byzantiner nämlich hatte sich auch der ganz verkommene altchristliche Styl wieder aufgerafft; wir haben bereits erwähnt, wie aus den Elementen des römischen Styles ein neuer ro- manischer entstand, und dieser scheint nun in Venedig geraume Zeit neben dem byzantinischen einhergegangen zu sein. Sein erstes Lebens- zeichen sind die peinlich mit Geschichten bedeckten Säulen, welchea den Tabernakel des Hochaltares tragen; vielleicht eine Reminiscenz der Trajanssäule, nur nicht in der Spiralfolge, die z. B. S. Bernward seinen Reliefs an der Säule auf dem Domplatz zu Hildesheim glaubte geben zu müssen. (Ungefähr gleichzeitig, im XI. Jahrhundert.) An- deres dagegen ist von ausgebildetem, zum Theil sehr gutem romani- schem Styl, wie denn diese merkwürdige Kirche auch im Bereich der Mosaiken neben vorherrschenden byzantinischen Compositionen auch ein ausgedehntes Denkmal romanischer Malerei -- die Mosaiken in der Vorhalle -- aufweist.
Diese romanischen Sculpturen finden sich an der Bogeneinfassungb der mittlern Hauptthür (Tugenden, Sibyllen, Verrichtungen der Monate) und an derjenigen des Portals der Nordseite (Propheten, Engel, Hei- lige, nebst einer noch halbbyzantinischen Geburt Christi in dem birn- förmigen Felde über der Thür). Auch die vier vergoldeten Engel unter der Mittelkuppel und derjenige an dem einen Pult gehören hie- her. -- Einen Übergang in den germanischen Styl zeigt dann die Bogen- einfassung der Nische über der mittlern Hauptthür (sitzende und leh- nende Propheten, eine Menge von Gewerken und Verrichtungen, die hiemit in den Schutz des heil. Marcus befohlen werden); auch die vier Statuetten in der Capelle Zeno, dem Altar gegenüber, gehören diesem Übergangsstyl, d. h. etwa der ersten Hälfte des XIII. Jahrhun- derts an. Zwar ist hier nichts, was mit der plastischen Sicherheit und Fülle eines Bened. Antelami (Seite 562) wetteifern könnte, allein als belebte und sorgfältige Arbeiten verdienen zumal die letztgenannten Bogeneinfassungen alle Beachtung.
Für den vollendeten germanischen Styl Italiens ist sodann die Marcuskirche eines der wichtigsten Gebäude ausserhalb Toscana's. Im XIV. Jahrhundert erhielten die halbrunden obern Abschlüsse derc Kirche ihre prächtige Bekleidung mit dem schwungreichen durchbro- chenen Laubwerk, den Spitzthürmchen und einer Menge von Statuen
Sculpturen der Marcuskirche.
Neben der Thätigkeit der Byzantiner nämlich hatte sich auch der ganz verkommene altchristliche Styl wieder aufgerafft; wir haben bereits erwähnt, wie aus den Elementen des römischen Styles ein neuer ro- manischer entstand, und dieser scheint nun in Venedig geraume Zeit neben dem byzantinischen einhergegangen zu sein. Sein erstes Lebens- zeichen sind die peinlich mit Geschichten bedeckten Säulen, welchea den Tabernakel des Hochaltares tragen; vielleicht eine Reminiscenz der Trajanssäule, nur nicht in der Spiralfolge, die z. B. S. Bernward seinen Reliefs an der Säule auf dem Domplatz zu Hildesheim glaubte geben zu müssen. (Ungefähr gleichzeitig, im XI. Jahrhundert.) An- deres dagegen ist von ausgebildetem, zum Theil sehr gutem romani- schem Styl, wie denn diese merkwürdige Kirche auch im Bereich der Mosaiken neben vorherrschenden byzantinischen Compositionen auch ein ausgedehntes Denkmal romanischer Malerei — die Mosaiken in der Vorhalle — aufweist.
Diese romanischen Sculpturen finden sich an der Bogeneinfassungb der mittlern Hauptthür (Tugenden, Sibyllen, Verrichtungen der Monate) und an derjenigen des Portals der Nordseite (Propheten, Engel, Hei- lige, nebst einer noch halbbyzantinischen Geburt Christi in dem birn- förmigen Felde über der Thür). Auch die vier vergoldeten Engel unter der Mittelkuppel und derjenige an dem einen Pult gehören hie- her. — Einen Übergang in den germanischen Styl zeigt dann die Bogen- einfassung der Nische über der mittlern Hauptthür (sitzende und leh- nende Propheten, eine Menge von Gewerken und Verrichtungen, die hiemit in den Schutz des heil. Marcus befohlen werden); auch die vier Statuetten in der Capelle Zeno, dem Altar gegenüber, gehören diesem Übergangsstyl, d. h. etwa der ersten Hälfte des XIII. Jahrhun- derts an. Zwar ist hier nichts, was mit der plastischen Sicherheit und Fülle eines Bened. Antelami (Seite 562) wetteifern könnte, allein als belebte und sorgfältige Arbeiten verdienen zumal die letztgenannten Bogeneinfassungen alle Beachtung.
Für den vollendeten germanischen Styl Italiens ist sodann die Marcuskirche eines der wichtigsten Gebäude ausserhalb Toscana’s. Im XIV. Jahrhundert erhielten die halbrunden obern Abschlüsse derc Kirche ihre prächtige Bekleidung mit dem schwungreichen durchbro- chenen Laubwerk, den Spitzthürmchen und einer Menge von Statuen
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Sculpturen der Marcuskirche.
Neben der Thätigkeit der Byzantiner nämlich hatte sich auch der
ganz verkommene altchristliche Styl wieder aufgerafft; wir haben bereits
erwähnt, wie aus den Elementen des römischen Styles ein neuer ro-
manischer entstand, und dieser scheint nun in Venedig geraume Zeit
neben dem byzantinischen einhergegangen zu sein. Sein erstes Lebens-
zeichen sind die peinlich mit Geschichten bedeckten Säulen, welche
den Tabernakel des Hochaltares tragen; vielleicht eine Reminiscenz
der Trajanssäule, nur nicht in der Spiralfolge, die z. B. S. Bernward
seinen Reliefs an der Säule auf dem Domplatz zu Hildesheim glaubte
geben zu müssen. (Ungefähr gleichzeitig, im XI. Jahrhundert.) An-
deres dagegen ist von ausgebildetem, zum Theil sehr gutem romani-
schem Styl, wie denn diese merkwürdige Kirche auch im Bereich
der Mosaiken neben vorherrschenden byzantinischen Compositionen
auch ein ausgedehntes Denkmal romanischer Malerei — die Mosaiken
in der Vorhalle — aufweist.
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Diese romanischen Sculpturen finden sich an der Bogeneinfassung
der mittlern Hauptthür (Tugenden, Sibyllen, Verrichtungen der Monate)
und an derjenigen des Portals der Nordseite (Propheten, Engel, Hei-
lige, nebst einer noch halbbyzantinischen Geburt Christi in dem birn-
förmigen Felde über der Thür). Auch die vier vergoldeten Engel
unter der Mittelkuppel und derjenige an dem einen Pult gehören hie-
her. — Einen Übergang in den germanischen Styl zeigt dann die Bogen-
einfassung der Nische über der mittlern Hauptthür (sitzende und leh-
nende Propheten, eine Menge von Gewerken und Verrichtungen, die
hiemit in den Schutz des heil. Marcus befohlen werden); auch die
vier Statuetten in der Capelle Zeno, dem Altar gegenüber, gehören
diesem Übergangsstyl, d. h. etwa der ersten Hälfte des XIII. Jahrhun-
derts an. Zwar ist hier nichts, was mit der plastischen Sicherheit und
Fülle eines Bened. Antelami (Seite 562) wetteifern könnte, allein als
belebte und sorgfältige Arbeiten verdienen zumal die letztgenannten
Bogeneinfassungen alle Beachtung.
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Für den vollendeten germanischen Styl Italiens ist sodann die
Marcuskirche eines der wichtigsten Gebäude ausserhalb Toscana’s. Im
XIV. Jahrhundert erhielten die halbrunden obern Abschlüsse der
Kirche ihre prächtige Bekleidung mit dem schwungreichen durchbro-
chenen Laubwerk, den Spitzthürmchen und einer Menge von Statuen
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/603>, abgerufen am 18.12.2024.
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