visch geschoben, giebt das Relief (seltene Ausnahmen abgerechnet) nicht vor dem XV. Jahrhundert. (Ghiberti's zweite Bronzethür am Battisterio von Florenz; die Scuola di S. Marco in Venedig, mit den Sculpturen der Lombardi etc.)
In der Darstellung der Figuren fand die griechische Kunst nach längerm Suchen zwischen Profil und Vorderansicht diejenige schöne Mitte, welche bei der lebendigsten Profilbewegung doch den Körper in seiner Fülle zu zeigen und namentlich den Oberleib auf das Wohlthuendste zu entwickeln wusste. Die freistehende Giebelgruppe wird die Lehrerin des Reliefs; ihre Fortschritte sind gemeinsam Die schwierige Frage der Verkürzungen, welche vielleicht nicht absolut lösbar ist, wurde auf sehr verschiedene Weise gelöst, bald durch wirkliches Heraustreten der betreffenden Theile, bald durch ver- stecktes Nachgeben. Starke Verstümmelungen verhindern oft jedes unbedingt sichere Urtheil.
Das durchgehende Grundgesetz des Reliefs ist, wie man sieht, die grösste Einfachheit. Die Mittel der Wirkung sind hier so be- schränkt, dass das geringste Zuviel in Schmuck, Kleidung, Geräthe u. s. w. den Blick verwirrt und das Ganze schwer und undeutlich macht. -- Wir wählen nun aus der Masse des Vorhandenen nur die- jenigen Werke aus, welche diese höhern Bedingungen deutlich er- füllt zeigen, nämlich die griechischen und die nahen und unverkenn- baren, auch mehrfach vorkommenden Nachbildungen von griechischen. Der Bequemlichkeit des Auffindens zu Liebe mögen sie nach den Ga- lerien geordnet folgen; die Anordnung nach dem Styl oder nach den Gegenständen würde in einer Kunstgeschichte den Vorzug verdienen.
a
Im Vatican: Museo Chiaramonti, am Anfang: ein sitzender Apoll; gegen das Ende: wandelnde bacchische Frauen.
b
Belvedere, im Raum des Apoll: die zwei Tempeldienerinnen mit herrlich wallenden Gewändern, einen widerspänstigen Opferstier führend.
c
Galeria delle Statue: Mehreres Treffliche, u. a. zwei Reliefs von griechischen Grabmälern. (Auch ein modernes Werk, vorgeblich von Michel Angelo.) Köstliche Fragmente in die Piedestale mehrerer Sta- tuen eingemauert.
Antike Sculptur. Reliefs.
visch geschoben, giebt das Relief (seltene Ausnahmen abgerechnet) nicht vor dem XV. Jahrhundert. (Ghiberti’s zweite Bronzethür am Battisterio von Florenz; die Scuola di S. Marco in Venedig, mit den Sculpturen der Lombardi etc.)
In der Darstellung der Figuren fand die griechische Kunst nach längerm Suchen zwischen Profil und Vorderansicht diejenige schöne Mitte, welche bei der lebendigsten Profilbewegung doch den Körper in seiner Fülle zu zeigen und namentlich den Oberleib auf das Wohlthuendste zu entwickeln wusste. Die freistehende Giebelgruppe wird die Lehrerin des Reliefs; ihre Fortschritte sind gemeinsam Die schwierige Frage der Verkürzungen, welche vielleicht nicht absolut lösbar ist, wurde auf sehr verschiedene Weise gelöst, bald durch wirkliches Heraustreten der betreffenden Theile, bald durch ver- stecktes Nachgeben. Starke Verstümmelungen verhindern oft jedes unbedingt sichere Urtheil.
Das durchgehende Grundgesetz des Reliefs ist, wie man sieht, die grösste Einfachheit. Die Mittel der Wirkung sind hier so be- schränkt, dass das geringste Zuviel in Schmuck, Kleidung, Geräthe u. s. w. den Blick verwirrt und das Ganze schwer und undeutlich macht. — Wir wählen nun aus der Masse des Vorhandenen nur die- jenigen Werke aus, welche diese höhern Bedingungen deutlich er- füllt zeigen, nämlich die griechischen und die nahen und unverkenn- baren, auch mehrfach vorkommenden Nachbildungen von griechischen. Der Bequemlichkeit des Auffindens zu Liebe mögen sie nach den Ga- lerien geordnet folgen; die Anordnung nach dem Styl oder nach den Gegenständen würde in einer Kunstgeschichte den Vorzug verdienen.
a
Im Vatican: Museo Chiaramonti, am Anfang: ein sitzender Apoll; gegen das Ende: wandelnde bacchische Frauen.
b
Belvedere, im Raum des Apoll: die zwei Tempeldienerinnen mit herrlich wallenden Gewändern, einen widerspänstigen Opferstier führend.
c
Galeria delle Statue: Mehreres Treffliche, u. a. zwei Reliefs von griechischen Grabmälern. (Auch ein modernes Werk, vorgeblich von Michel Angelo.) Köstliche Fragmente in die Piedestale mehrerer Sta- tuen eingemauert.
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[538/0560]
Antike Sculptur. Reliefs.
visch geschoben, giebt das Relief (seltene Ausnahmen abgerechnet)
nicht vor dem XV. Jahrhundert. (Ghiberti’s zweite Bronzethür am
Battisterio von Florenz; die Scuola di S. Marco in Venedig, mit den
Sculpturen der Lombardi etc.)
In der Darstellung der Figuren fand die griechische Kunst nach
längerm Suchen zwischen Profil und Vorderansicht diejenige
schöne Mitte, welche bei der lebendigsten Profilbewegung doch den
Körper in seiner Fülle zu zeigen und namentlich den Oberleib auf das
Wohlthuendste zu entwickeln wusste. Die freistehende Giebelgruppe
wird die Lehrerin des Reliefs; ihre Fortschritte sind gemeinsam
Die schwierige Frage der Verkürzungen, welche vielleicht nicht
absolut lösbar ist, wurde auf sehr verschiedene Weise gelöst, bald
durch wirkliches Heraustreten der betreffenden Theile, bald durch ver-
stecktes Nachgeben. Starke Verstümmelungen verhindern oft jedes
unbedingt sichere Urtheil.
Das durchgehende Grundgesetz des Reliefs ist, wie man sieht,
die grösste Einfachheit. Die Mittel der Wirkung sind hier so be-
schränkt, dass das geringste Zuviel in Schmuck, Kleidung, Geräthe
u. s. w. den Blick verwirrt und das Ganze schwer und undeutlich
macht. — Wir wählen nun aus der Masse des Vorhandenen nur die-
jenigen Werke aus, welche diese höhern Bedingungen deutlich er-
füllt zeigen, nämlich die griechischen und die nahen und unverkenn-
baren, auch mehrfach vorkommenden Nachbildungen von griechischen.
Der Bequemlichkeit des Auffindens zu Liebe mögen sie nach den Ga-
lerien geordnet folgen; die Anordnung nach dem Styl oder nach den
Gegenständen würde in einer Kunstgeschichte den Vorzug verdienen.
Im Vatican: Museo Chiaramonti, am Anfang: ein sitzender
Apoll; gegen das Ende: wandelnde bacchische Frauen.
Belvedere, im Raum des Apoll: die zwei Tempeldienerinnen
mit herrlich wallenden Gewändern, einen widerspänstigen Opferstier
führend.
Galeria delle Statue: Mehreres Treffliche, u. a. zwei Reliefs von
griechischen Grabmälern. (Auch ein modernes Werk, vorgeblich von
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/560>, abgerufen am 18.12.2024.
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