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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Bildnisse Alexanders des Grossen.
welche vielleicht nur spätere Copien gleichzeitiger Bildnisse sind. (Der
marmorne Ptolemäus Soter im ersten Gang; die übrigen fünf Ptole-a
mäer nebst der zweifelhaften Berenice (Seite 455, c) bei den grossenb
Bronzen.) Es erscheint ewig lehrreich, wie hier die Unregelmässig-
keiten der Gesichtszüge ganz unverholen zugestanden und doch mit
einem hohen Ausdruck durchdrungen werden konnten. (Ob der wun-
derlich gelockte Frauenkopf wirklich den weibischen Ptolemäus Apion
darstellt, wollen wir nicht entscheiden; von der berühmten Kleopatra
ist unseres Wissens nur das sehr zweifelhafte Köpfchen im Philoso-c
phenzimmer des Museo capitolino vorhanden.)

Ein Räthsel ist und bleibt aber das Bild des Gründers aller Dia-
dochenherrlichkeit, Alexanders des Grossen selbst. Man weiss,
wie sehr er dafür besorgt war, dass seine Züge nur in hoher Auf-
fassung und meisterlicher Ausführung auf die Nachwelt kommen möch-
ten und wie Lysippos gleichsam ein Privilegium hiefür besass. Und
in der That zeigen die beiden berühmten Colossalköpfe des Museod
capitolino (Zimmer des sterbenden Fechters) und der Uffizien in
Florenz (Halle des Hermaphroditen) einen vergöttlichten Alexander,
und zwar, wie man bei dem erstern annimmt, als Sonnengott. (We-
nigstens war er in einem der Lysippischen Werke, wovon dieses eine
Nachahmung sein möchte, so gebildet.) Es ist ein mächtig schönes
Haupt mit aufwärts wallenden Stirnlocken, aber woher dieser Zug
der Wehmuth? wir denken uns Alexander vielleicht wohl gerne so,
mit einem Vorgefühl des nahen Todes mitten in den Herrlichkeiten
des eroberten Asiens, allein für die griechische Kunst wäre solch eine
sentimentale Andeutung etwas auffallend. Noch viel deutlicher findet
sich dieser Ausdruck in dem florentinischen Kopfe (Uffizien, Hallee
des Hermaphroditen). Hier ist der Schmerz ungemein stark in den
aufwärtsgezogenen Augbraunen, in der Stirn, im Munde ausgedrückt;
der Sohn Philipps wird zu einem jugendlichen Laocoon. Die einfach
grandiose Arbeit übertrifft bei weitem die des capitolinischen Kopfes.
(Man benennt dieses ausserordentliche Werk wohl mit Unrecht als
"sterbenden Alexander"; der "leidende" möchte richtiger sein; eine
genügende Erklärung giebt es nicht.)

Von der Reiterstatue, welche in Alexandrien dem Gründer zu
Ehren errichtet war, wissen wir nichts mehr; dagegen ist von einem

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Bildnisse Alexanders des Grossen.
welche vielleicht nur spätere Copien gleichzeitiger Bildnisse sind. (Der
marmorne Ptolemäus Soter im ersten Gang; die übrigen fünf Ptole-a
mäer nebst der zweifelhaften Berenice (Seite 455, c) bei den grossenb
Bronzen.) Es erscheint ewig lehrreich, wie hier die Unregelmässig-
keiten der Gesichtszüge ganz unverholen zugestanden und doch mit
einem hohen Ausdruck durchdrungen werden konnten. (Ob der wun-
derlich gelockte Frauenkopf wirklich den weibischen Ptolemäus Apion
darstellt, wollen wir nicht entscheiden; von der berühmten Kleopatra
ist unseres Wissens nur das sehr zweifelhafte Köpfchen im Philoso-c
phenzimmer des Museo capitolino vorhanden.)

Ein Räthsel ist und bleibt aber das Bild des Gründers aller Dia-
dochenherrlichkeit, Alexanders des Grossen selbst. Man weiss,
wie sehr er dafür besorgt war, dass seine Züge nur in hoher Auf-
fassung und meisterlicher Ausführung auf die Nachwelt kommen möch-
ten und wie Lysippos gleichsam ein Privilegium hiefür besass. Und
in der That zeigen die beiden berühmten Colossalköpfe des Museod
capitolino (Zimmer des sterbenden Fechters) und der Uffizien in
Florenz (Halle des Hermaphroditen) einen vergöttlichten Alexander,
und zwar, wie man bei dem erstern annimmt, als Sonnengott. (We-
nigstens war er in einem der Lysippischen Werke, wovon dieses eine
Nachahmung sein möchte, so gebildet.) Es ist ein mächtig schönes
Haupt mit aufwärts wallenden Stirnlocken, aber woher dieser Zug
der Wehmuth? wir denken uns Alexander vielleicht wohl gerne so,
mit einem Vorgefühl des nahen Todes mitten in den Herrlichkeiten
des eroberten Asiens, allein für die griechische Kunst wäre solch eine
sentimentale Andeutung etwas auffallend. Noch viel deutlicher findet
sich dieser Ausdruck in dem florentinischen Kopfe (Uffizien, Hallee
des Hermaphroditen). Hier ist der Schmerz ungemein stark in den
aufwärtsgezogenen Augbraunen, in der Stirn, im Munde ausgedrückt;
der Sohn Philipps wird zu einem jugendlichen Laocoon. Die einfach
grandiose Arbeit übertrifft bei weitem die des capitolinischen Kopfes.
(Man benennt dieses ausserordentliche Werk wohl mit Unrecht als
„sterbenden Alexander“; der „leidende“ möchte richtiger sein; eine
genügende Erklärung giebt es nicht.)

Von der Reiterstatue, welche in Alexandrien dem Gründer zu
Ehren errichtet war, wissen wir nichts mehr; dagegen ist von einem

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[515/0537] Bildnisse Alexanders des Grossen. welche vielleicht nur spätere Copien gleichzeitiger Bildnisse sind. (Der marmorne Ptolemäus Soter im ersten Gang; die übrigen fünf Ptole- mäer nebst der zweifelhaften Berenice (Seite 455, c) bei den grossen Bronzen.) Es erscheint ewig lehrreich, wie hier die Unregelmässig- keiten der Gesichtszüge ganz unverholen zugestanden und doch mit einem hohen Ausdruck durchdrungen werden konnten. (Ob der wun- derlich gelockte Frauenkopf wirklich den weibischen Ptolemäus Apion darstellt, wollen wir nicht entscheiden; von der berühmten Kleopatra ist unseres Wissens nur das sehr zweifelhafte Köpfchen im Philoso- phenzimmer des Museo capitolino vorhanden.) a b c Ein Räthsel ist und bleibt aber das Bild des Gründers aller Dia- dochenherrlichkeit, Alexanders des Grossen selbst. Man weiss, wie sehr er dafür besorgt war, dass seine Züge nur in hoher Auf- fassung und meisterlicher Ausführung auf die Nachwelt kommen möch- ten und wie Lysippos gleichsam ein Privilegium hiefür besass. Und in der That zeigen die beiden berühmten Colossalköpfe des Museo capitolino (Zimmer des sterbenden Fechters) und der Uffizien in Florenz (Halle des Hermaphroditen) einen vergöttlichten Alexander, und zwar, wie man bei dem erstern annimmt, als Sonnengott. (We- nigstens war er in einem der Lysippischen Werke, wovon dieses eine Nachahmung sein möchte, so gebildet.) Es ist ein mächtig schönes Haupt mit aufwärts wallenden Stirnlocken, aber woher dieser Zug der Wehmuth? wir denken uns Alexander vielleicht wohl gerne so, mit einem Vorgefühl des nahen Todes mitten in den Herrlichkeiten des eroberten Asiens, allein für die griechische Kunst wäre solch eine sentimentale Andeutung etwas auffallend. Noch viel deutlicher findet sich dieser Ausdruck in dem florentinischen Kopfe (Uffizien, Halle des Hermaphroditen). Hier ist der Schmerz ungemein stark in den aufwärtsgezogenen Augbraunen, in der Stirn, im Munde ausgedrückt; der Sohn Philipps wird zu einem jugendlichen Laocoon. Die einfach grandiose Arbeit übertrifft bei weitem die des capitolinischen Kopfes. (Man benennt dieses ausserordentliche Werk wohl mit Unrecht als „sterbenden Alexander“; der „leidende“ möchte richtiger sein; eine genügende Erklärung giebt es nicht.) d e Von der Reiterstatue, welche in Alexandrien dem Gründer zu Ehren errichtet war, wissen wir nichts mehr; dagegen ist von einem 33*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/537>, abgerufen am 16.07.2024.