Kelten, dessen Heere im III. Jahrhundert v. Chr. Griechenland und Kleinasien in Schrecken setzten. Die einzelnen Siege, welche man über sie erfocht, scheinen besonders von den kunstliebenden Königen von Pergamus durch Denkmäler verewigt worden zu sein. Von die- sen letztern stammt wahrscheinlich die Ausbildung desjenigen Barbaren- typus her, welchen dann auch die Römer adoptirten und für Dacier, Germanen u. s. w. fast ohne Unterschied brauchten.
Das Kennzeichen des Barbaren aber war nach antiker Ansicht die Unfreiheit, also in leiblicher Beziehung der Mangel an edlerer Gymnastik, in geistiger eine düstere, selbst dumpfe Befangenheit. Wie weit hierin das Vorurtheil, wie weit die wirkliche Wahrnehmung sich geltend machte, geht uns nichts an. Genug, dass die vorhandenen Bildwerke eine durchgehende, obwohl verschieden abgestufte Bildung des Kopfes und des nackten Körpers zeigen.
An der Spitze stehen die beiden grossen tragischen Meisterwerke: der "sterbende Fechter" (im Museo capitolino, in dem nach ihma benannten Zimmer), und "der Barbar und sein Weib" im Haupt-b saal der Villa Ludovisi. (Dass es sich nicht um einen Gladiator und nicht um Arria und Pätus handle, hat man längst eingesehen.) Beide- male sind es nackte Gestalten, vielleicht Einzelwiederholungen aus be- rühmten Schlachtgruppen. In dem sterbenden Kelten ist die vollste Wahrheit des Momentes, nämlich des letzten Ankämpfens gegen den Tod, auf merkwürdige Weise in den edelsten Linien ausgesprochen, und wenn es keine Niobiden gäbe, so würde man sagen, es sei un- möglich schöner zu sinken. Um so beharrlicher aber hat der Künst- ler die barbarische (oder für barbarisch angenommene) Körperbildung durchgeführt, damit ja Niemand einen gefallenen griechischen Helden zu sehen glaube. An Brust, Rücken und Schultern wird man wahr- haft gemeine Formen bemerken, die diesen Typus auf das Stärkste z. B. vom Athletentypus unterscheiden. Das struppige Haar, der Knebelbart und der eigenthümliche Halszierrath vollenden diesen Ein- druck -- und doch bleibt noch eine ganz besondere Racenschönheit übrig, welcher ihre volle künstlerische Gerechtigkeit wiederfährt. -- Die ludovisische Gruppe, ein glänzendes Werk des hohen Pathos, stellt einen Kelten dar, welcher sein Weib getödtet hat und nun auch sich ersticht, um der Gefangenschaft zu entgehen. Die Restaurationen und
Barbaren. Kelten.
Kelten, dessen Heere im III. Jahrhundert v. Chr. Griechenland und Kleinasien in Schrecken setzten. Die einzelnen Siege, welche man über sie erfocht, scheinen besonders von den kunstliebenden Königen von Pergamus durch Denkmäler verewigt worden zu sein. Von die- sen letztern stammt wahrscheinlich die Ausbildung desjenigen Barbaren- typus her, welchen dann auch die Römer adoptirten und für Dacier, Germanen u. s. w. fast ohne Unterschied brauchten.
Das Kennzeichen des Barbaren aber war nach antiker Ansicht die Unfreiheit, also in leiblicher Beziehung der Mangel an edlerer Gymnastik, in geistiger eine düstere, selbst dumpfe Befangenheit. Wie weit hierin das Vorurtheil, wie weit die wirkliche Wahrnehmung sich geltend machte, geht uns nichts an. Genug, dass die vorhandenen Bildwerke eine durchgehende, obwohl verschieden abgestufte Bildung des Kopfes und des nackten Körpers zeigen.
An der Spitze stehen die beiden grossen tragischen Meisterwerke: der „sterbende Fechter“ (im Museo capitolino, in dem nach ihma benannten Zimmer), und „der Barbar und sein Weib“ im Haupt-b saal der Villa Ludovisi. (Dass es sich nicht um einen Gladiator und nicht um Arria und Pätus handle, hat man längst eingesehen.) Beide- male sind es nackte Gestalten, vielleicht Einzelwiederholungen aus be- rühmten Schlachtgruppen. In dem sterbenden Kelten ist die vollste Wahrheit des Momentes, nämlich des letzten Ankämpfens gegen den Tod, auf merkwürdige Weise in den edelsten Linien ausgesprochen, und wenn es keine Niobiden gäbe, so würde man sagen, es sei un- möglich schöner zu sinken. Um so beharrlicher aber hat der Künst- ler die barbarische (oder für barbarisch angenommene) Körperbildung durchgeführt, damit ja Niemand einen gefallenen griechischen Helden zu sehen glaube. An Brust, Rücken und Schultern wird man wahr- haft gemeine Formen bemerken, die diesen Typus auf das Stärkste z. B. vom Athletentypus unterscheiden. Das struppige Haar, der Knebelbart und der eigenthümliche Halszierrath vollenden diesen Ein- druck — und doch bleibt noch eine ganz besondere Racenschönheit übrig, welcher ihre volle künstlerische Gerechtigkeit wiederfährt. — Die ludovisische Gruppe, ein glänzendes Werk des hohen Pathos, stellt einen Kelten dar, welcher sein Weib getödtet hat und nun auch sich ersticht, um der Gefangenschaft zu entgehen. Die Restaurationen und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0511"n="489"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Barbaren. Kelten.</hi></fw><lb/><hirendition="#g">Kelten</hi>, dessen Heere im III. Jahrhundert v. Chr. Griechenland und<lb/>
Kleinasien in Schrecken setzten. Die einzelnen Siege, welche man<lb/>
über sie erfocht, scheinen besonders von den kunstliebenden Königen<lb/>
von Pergamus durch Denkmäler verewigt worden zu sein. Von die-<lb/>
sen letztern stammt wahrscheinlich die Ausbildung desjenigen Barbaren-<lb/>
typus her, welchen dann auch die Römer adoptirten und für Dacier,<lb/>
Germanen u. s. w. fast ohne Unterschied brauchten.</p><lb/><p>Das Kennzeichen des Barbaren aber war nach antiker Ansicht<lb/>
die <hirendition="#g">Unfreiheit</hi>, also in leiblicher Beziehung der Mangel an edlerer<lb/>
Gymnastik, in geistiger eine düstere, selbst dumpfe Befangenheit. Wie<lb/>
weit hierin das Vorurtheil, wie weit die wirkliche Wahrnehmung sich<lb/>
geltend machte, geht uns nichts an. Genug, dass die vorhandenen<lb/>
Bildwerke eine durchgehende, obwohl verschieden abgestufte Bildung<lb/>
des Kopfes und des nackten Körpers zeigen.</p><lb/><p>An der Spitze stehen die beiden grossen tragischen Meisterwerke:<lb/>
der „<hirendition="#g">sterbende Fechter</hi>“ (im Museo capitolino, in dem nach ihm<noteplace="right">a</note><lb/>
benannten Zimmer), und „<hirendition="#g">der Barbar und sein Weib</hi>“ im Haupt-<noteplace="right">b</note><lb/>
saal der Villa Ludovisi. (Dass es sich nicht um einen Gladiator und<lb/>
nicht um Arria und Pätus handle, hat man längst eingesehen.) Beide-<lb/>
male sind es nackte Gestalten, vielleicht Einzelwiederholungen aus be-<lb/>
rühmten Schlachtgruppen. In dem sterbenden Kelten ist die vollste<lb/>
Wahrheit des Momentes, nämlich des letzten Ankämpfens gegen den<lb/>
Tod, auf merkwürdige Weise in den edelsten Linien ausgesprochen,<lb/>
und wenn es keine Niobiden gäbe, so würde man sagen, es sei un-<lb/>
möglich schöner zu sinken. Um so beharrlicher aber hat der Künst-<lb/>
ler die barbarische (oder für barbarisch angenommene) Körperbildung<lb/>
durchgeführt, damit ja Niemand einen gefallenen griechischen Helden<lb/>
zu sehen glaube. An Brust, Rücken und Schultern wird man wahr-<lb/>
haft gemeine Formen bemerken, die diesen Typus auf das Stärkste<lb/>
z. B. vom Athletentypus unterscheiden. Das struppige Haar, der<lb/>
Knebelbart und der eigenthümliche Halszierrath vollenden diesen Ein-<lb/>
druck — und doch bleibt noch eine ganz besondere Racenschönheit<lb/>
übrig, welcher ihre volle künstlerische Gerechtigkeit wiederfährt. —<lb/>
Die ludovisische Gruppe, ein glänzendes Werk des hohen Pathos, stellt<lb/>
einen Kelten dar, welcher sein Weib getödtet hat und nun auch sich<lb/>
ersticht, um der Gefangenschaft zu entgehen. Die Restaurationen und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[489/0511]
Barbaren. Kelten.
Kelten, dessen Heere im III. Jahrhundert v. Chr. Griechenland und
Kleinasien in Schrecken setzten. Die einzelnen Siege, welche man
über sie erfocht, scheinen besonders von den kunstliebenden Königen
von Pergamus durch Denkmäler verewigt worden zu sein. Von die-
sen letztern stammt wahrscheinlich die Ausbildung desjenigen Barbaren-
typus her, welchen dann auch die Römer adoptirten und für Dacier,
Germanen u. s. w. fast ohne Unterschied brauchten.
Das Kennzeichen des Barbaren aber war nach antiker Ansicht
die Unfreiheit, also in leiblicher Beziehung der Mangel an edlerer
Gymnastik, in geistiger eine düstere, selbst dumpfe Befangenheit. Wie
weit hierin das Vorurtheil, wie weit die wirkliche Wahrnehmung sich
geltend machte, geht uns nichts an. Genug, dass die vorhandenen
Bildwerke eine durchgehende, obwohl verschieden abgestufte Bildung
des Kopfes und des nackten Körpers zeigen.
An der Spitze stehen die beiden grossen tragischen Meisterwerke:
der „sterbende Fechter“ (im Museo capitolino, in dem nach ihm
benannten Zimmer), und „der Barbar und sein Weib“ im Haupt-
saal der Villa Ludovisi. (Dass es sich nicht um einen Gladiator und
nicht um Arria und Pätus handle, hat man längst eingesehen.) Beide-
male sind es nackte Gestalten, vielleicht Einzelwiederholungen aus be-
rühmten Schlachtgruppen. In dem sterbenden Kelten ist die vollste
Wahrheit des Momentes, nämlich des letzten Ankämpfens gegen den
Tod, auf merkwürdige Weise in den edelsten Linien ausgesprochen,
und wenn es keine Niobiden gäbe, so würde man sagen, es sei un-
möglich schöner zu sinken. Um so beharrlicher aber hat der Künst-
ler die barbarische (oder für barbarisch angenommene) Körperbildung
durchgeführt, damit ja Niemand einen gefallenen griechischen Helden
zu sehen glaube. An Brust, Rücken und Schultern wird man wahr-
haft gemeine Formen bemerken, die diesen Typus auf das Stärkste
z. B. vom Athletentypus unterscheiden. Das struppige Haar, der
Knebelbart und der eigenthümliche Halszierrath vollenden diesen Ein-
druck — und doch bleibt noch eine ganz besondere Racenschönheit
übrig, welcher ihre volle künstlerische Gerechtigkeit wiederfährt. —
Die ludovisische Gruppe, ein glänzendes Werk des hohen Pathos, stellt
einen Kelten dar, welcher sein Weib getödtet hat und nun auch sich
ersticht, um der Gefangenschaft zu entgehen. Die Restaurationen und
a
b
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/511>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.