Über dem Ausdruck tiefen Sinnens in Haupt und Stellung vergisst der Beschauer gerne die nur mittelmässige Ausführung.
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Ebenfalls Kaiserinnen scheinen dargestellt in den sog. Vesta- linnen der Loggia de' Lanzi in Florenz. Vier derselben (von der offenen Seite des Gebäudes an gerechnet 2, 4, 5 und 6) zeigen das grandiose Motiv eines Obermantels, der von der rechten Schulter schief herab gegen das linke Knie, und mit seinem aufgenommenen Ende über den linken Arm geht; darunter das ermellose Brustkleid und das an den Hüften aufgenommene Unterkleid, dessen Bauschen wieder auf die Schenkel herabfallen. Die Stellung ist in jeder dieser colossalen Figuren besonders nuancirt, die Behandlung für die wahr- scheinlich späte Zeit vorzüglich.
Auch die einfache griechische Idealgewandung wurde um ihrer Schönheit willen noch lange, und nicht bloss bei Göttinnen, reprodu- cirt. Es ist ein schlichtes langes Kleid, über den Hüften meist so gegürtet, dass etwas herabhängende Bauschen über dem Gürtel ent- stehen; dann ein Oberkleid, auf den Schultern geheftet und zu beiden Seiten offen oder nur wenig geschlossen, vorn herabhängend bis in bdie Nähe des Gürtels, auf den Seiten etwas länger. Fünf eherne Sta- tuen im Museum von Neapel (grosse Bronzen), nicht sehr alt aber alterthümlich, stellen diesen Typus mit verschiedenen Attituden ver- bunden dar; man glaubt sie als Schauspielerinnen erklären zu dürfen. Die Arbeit erhebt sich nicht über die rohe Decoration. (Spuren von cBemalung.) Eine ähnliche Marmorfigur z. B. im Vorsaal der Villa Ludovisi zu Rom.
Die gänzliche Einhüllung der Gestalt in ein Gewand wurde eben- dfalls nicht selten dargestellt; alterthümlich streng z. B. in zwei Sta- tuen mit Bildnissköpfen, im untern Gang des Museo capitolino.
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In der Galerie zu Parma sind von den Gewandfiguren weit die besten N. 10, mit dem Motiv der sog. Polyhymnia, sehr verstümmelt, und N. 7, sog. ältere Agrippina, mit der linken das Gewand aufnehmend.
Eine grosse Anzahl schöner Motive müssen wir übergehen um der Kürze willen. (Von den weniger bekannten Sammlungen muss fhier, wegen mehrerer guter Gewandstatuen, das Casino der Villa Pam- fili bei Rom genannt werden; sonst verweisen wir noch auf den zwei-
Antike Sculptur. Weibliche Gewandstatuen.
Über dem Ausdruck tiefen Sinnens in Haupt und Stellung vergisst der Beschauer gerne die nur mittelmässige Ausführung.
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Ebenfalls Kaiserinnen scheinen dargestellt in den sog. Vesta- linnen der Loggia de’ Lanzi in Florenz. Vier derselben (von der offenen Seite des Gebäudes an gerechnet 2, 4, 5 und 6) zeigen das grandiose Motiv eines Obermantels, der von der rechten Schulter schief herab gegen das linke Knie, und mit seinem aufgenommenen Ende über den linken Arm geht; darunter das ermellose Brustkleid und das an den Hüften aufgenommene Unterkleid, dessen Bauschen wieder auf die Schenkel herabfallen. Die Stellung ist in jeder dieser colossalen Figuren besonders nuancirt, die Behandlung für die wahr- scheinlich späte Zeit vorzüglich.
Auch die einfache griechische Idealgewandung wurde um ihrer Schönheit willen noch lange, und nicht bloss bei Göttinnen, reprodu- cirt. Es ist ein schlichtes langes Kleid, über den Hüften meist so gegürtet, dass etwas herabhängende Bauschen über dem Gürtel ent- stehen; dann ein Oberkleid, auf den Schultern geheftet und zu beiden Seiten offen oder nur wenig geschlossen, vorn herabhängend bis in bdie Nähe des Gürtels, auf den Seiten etwas länger. Fünf eherne Sta- tuen im Museum von Neapel (grosse Bronzen), nicht sehr alt aber alterthümlich, stellen diesen Typus mit verschiedenen Attituden ver- bunden dar; man glaubt sie als Schauspielerinnen erklären zu dürfen. Die Arbeit erhebt sich nicht über die rohe Decoration. (Spuren von cBemalung.) Eine ähnliche Marmorfigur z. B. im Vorsaal der Villa Ludovisi zu Rom.
Die gänzliche Einhüllung der Gestalt in ein Gewand wurde eben- dfalls nicht selten dargestellt; alterthümlich streng z. B. in zwei Sta- tuen mit Bildnissköpfen, im untern Gang des Museo capitolino.
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In der Galerie zu Parma sind von den Gewandfiguren weit die besten N. 10, mit dem Motiv der sog. Polyhymnia, sehr verstümmelt, und N. 7, sog. ältere Agrippina, mit der linken das Gewand aufnehmend.
Eine grosse Anzahl schöner Motive müssen wir übergehen um der Kürze willen. (Von den weniger bekannten Sammlungen muss fhier, wegen mehrerer guter Gewandstatuen, das Casino der Villa Pam- fili bei Rom genannt werden; sonst verweisen wir noch auf den zwei-
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[466/0488]
Antike Sculptur. Weibliche Gewandstatuen.
Über dem Ausdruck tiefen Sinnens in Haupt und Stellung vergisst
der Beschauer gerne die nur mittelmässige Ausführung.
Ebenfalls Kaiserinnen scheinen dargestellt in den sog. Vesta-
linnen der Loggia de’ Lanzi in Florenz. Vier derselben (von
der offenen Seite des Gebäudes an gerechnet 2, 4, 5 und 6) zeigen das
grandiose Motiv eines Obermantels, der von der rechten Schulter
schief herab gegen das linke Knie, und mit seinem aufgenommenen
Ende über den linken Arm geht; darunter das ermellose Brustkleid
und das an den Hüften aufgenommene Unterkleid, dessen Bauschen
wieder auf die Schenkel herabfallen. Die Stellung ist in jeder dieser
colossalen Figuren besonders nuancirt, die Behandlung für die wahr-
scheinlich späte Zeit vorzüglich.
Auch die einfache griechische Idealgewandung wurde um ihrer
Schönheit willen noch lange, und nicht bloss bei Göttinnen, reprodu-
cirt. Es ist ein schlichtes langes Kleid, über den Hüften meist so
gegürtet, dass etwas herabhängende Bauschen über dem Gürtel ent-
stehen; dann ein Oberkleid, auf den Schultern geheftet und zu beiden
Seiten offen oder nur wenig geschlossen, vorn herabhängend bis in
die Nähe des Gürtels, auf den Seiten etwas länger. Fünf eherne Sta-
tuen im Museum von Neapel (grosse Bronzen), nicht sehr alt aber
alterthümlich, stellen diesen Typus mit verschiedenen Attituden ver-
bunden dar; man glaubt sie als Schauspielerinnen erklären zu dürfen.
Die Arbeit erhebt sich nicht über die rohe Decoration. (Spuren von
Bemalung.) Eine ähnliche Marmorfigur z. B. im Vorsaal der Villa
Ludovisi zu Rom.
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Die gänzliche Einhüllung der Gestalt in ein Gewand wurde eben-
falls nicht selten dargestellt; alterthümlich streng z. B. in zwei Sta-
tuen mit Bildnissköpfen, im untern Gang des Museo capitolino.
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In der Galerie zu Parma sind von den Gewandfiguren weit die
besten N. 10, mit dem Motiv der sog. Polyhymnia, sehr verstümmelt,
und N. 7, sog. ältere Agrippina, mit der linken das Gewand aufnehmend.
Eine grosse Anzahl schöner Motive müssen wir übergehen um
der Kürze willen. (Von den weniger bekannten Sammlungen muss
hier, wegen mehrerer guter Gewandstatuen, das Casino der Villa Pam-
fili bei Rom genannt werden; sonst verweisen wir noch auf den zwei-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/488>, abgerufen am 18.12.2024.
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