Weiter enthält im Museum von Neapel die Halle der farbigena Marmore einen sitzenden Apollo Musagetes mit porphyrnem Gewand und weissmarmornen Extremitäten. Die spätere römische Kunst liebte solche Zusammensetzungen, schon weil die harten Stoffe und ihre Bearbeitung viel Geld kosteten. Wenn das Auge die aus dem Far- bencontrast und der Politur entstehende Blendung überwunden hat, so entdeckt es in den meisten derartigen Bildwerken, und so auch in diesem, eine geistige Leerheit, welche da ganz am Platze ist, wo der Stoff mehr anerkannt wird als die Form. Diese Buntheit ist eine der begleitenden Ursachen des Unterganges der antiken Sculptur gewesen.
In der darauf folgenden "Halle der Musen" steht Mehreresb unter dieser Kategorie beisammen, was erst durch Restauration und willkürliche Deutung den betreffenden Sinn erhalten hat. So vielleicht selbst die treffliche Gewandstatue, welche hier und anderwärts Poly- hymnia heisst u. s. w. Die unzweifelhaften Musen, z. B. Melpomene und die eine Euterpe, sind von ganz geringer Arbeit, mit Ausnahme der sog. Terpsichore, in welcher man mit leichter Mühe eine verklei- nerte Reduction nach einer jener grandiosen Colossalstatuen erkennt, dergleichen die Urania in der Vorhalle eine ist. Das hochgegürtete Untergewand und der langwallende Mantel sind von ganz ähnlicher Anordnung wie bei dieser.
In den Uffizien zu Florenz: erster Gang: eine mit Recht oderc Unrecht als Urania restaurirte Statue, mit dem majestätischen Motiv des vorn über die Brust, dann über die Schulter geschlagenen, end- lich von hinten hervor unter den Ellbogen geklemmten Obergewandes (wie die angebliche Euterpe im Vatican, Galeria delle Statue). Der Kopf schön und echt. -- Ebenda, aus derselben Reihe, Kalliope.
Im Dogenpalast zu Venedig: Corridojo: zwei Musen vom Theaterd von Pola, decorative römische Copien nach einem alten griechischen Typus, als Karyatiden mit fast geschlossenen Füssen, symmetrischer Haltung, strenger und gewaltiger Bildung. Das ehemalige Motiv der Arme zweifelhaft.
Bei Anlass der Musen sind am besten diejenigen zahlreichen weib- lichen Statuen zu besprechen, welche unter dem sehr allgemeinen Na-
Musen.
Weiter enthält im Museum von Neapel die Halle der farbigena Marmore einen sitzenden Apollo Musagetes mit porphyrnem Gewand und weissmarmornen Extremitäten. Die spätere römische Kunst liebte solche Zusammensetzungen, schon weil die harten Stoffe und ihre Bearbeitung viel Geld kosteten. Wenn das Auge die aus dem Far- bencontrast und der Politur entstehende Blendung überwunden hat, so entdeckt es in den meisten derartigen Bildwerken, und so auch in diesem, eine geistige Leerheit, welche da ganz am Platze ist, wo der Stoff mehr anerkannt wird als die Form. Diese Buntheit ist eine der begleitenden Ursachen des Unterganges der antiken Sculptur gewesen.
In der darauf folgenden „Halle der Musen“ steht Mehreresb unter dieser Kategorie beisammen, was erst durch Restauration und willkürliche Deutung den betreffenden Sinn erhalten hat. So vielleicht selbst die treffliche Gewandstatue, welche hier und anderwärts Poly- hymnia heisst u. s. w. Die unzweifelhaften Musen, z. B. Melpomene und die eine Euterpe, sind von ganz geringer Arbeit, mit Ausnahme der sog. Terpsichore, in welcher man mit leichter Mühe eine verklei- nerte Reduction nach einer jener grandiosen Colossalstatuen erkennt, dergleichen die Urania in der Vorhalle eine ist. Das hochgegürtete Untergewand und der langwallende Mantel sind von ganz ähnlicher Anordnung wie bei dieser.
In den Uffizien zu Florenz: erster Gang: eine mit Recht oderc Unrecht als Urania restaurirte Statue, mit dem majestätischen Motiv des vorn über die Brust, dann über die Schulter geschlagenen, end- lich von hinten hervor unter den Ellbogen geklemmten Obergewandes (wie die angebliche Euterpe im Vatican, Galeria delle Statue). Der Kopf schön und echt. — Ebenda, aus derselben Reihe, Kalliope.
Im Dogenpalast zu Venedig: Corridojo: zwei Musen vom Theaterd von Pola, decorative römische Copien nach einem alten griechischen Typus, als Karyatiden mit fast geschlossenen Füssen, symmetrischer Haltung, strenger und gewaltiger Bildung. Das ehemalige Motiv der Arme zweifelhaft.
Bei Anlass der Musen sind am besten diejenigen zahlreichen weib- lichen Statuen zu besprechen, welche unter dem sehr allgemeinen Na-
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Musen.
Weiter enthält im Museum von Neapel die Halle der farbigen
Marmore einen sitzenden Apollo Musagetes mit porphyrnem Gewand
und weissmarmornen Extremitäten. Die spätere römische Kunst liebte
solche Zusammensetzungen, schon weil die harten Stoffe und ihre
Bearbeitung viel Geld kosteten. Wenn das Auge die aus dem Far-
bencontrast und der Politur entstehende Blendung überwunden hat,
so entdeckt es in den meisten derartigen Bildwerken, und so auch in
diesem, eine geistige Leerheit, welche da ganz am Platze ist, wo der
Stoff mehr anerkannt wird als die Form. Diese Buntheit ist eine der
begleitenden Ursachen des Unterganges der antiken Sculptur gewesen.
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In der darauf folgenden „Halle der Musen“ steht Mehreres
unter dieser Kategorie beisammen, was erst durch Restauration und
willkürliche Deutung den betreffenden Sinn erhalten hat. So vielleicht
selbst die treffliche Gewandstatue, welche hier und anderwärts Poly-
hymnia heisst u. s. w. Die unzweifelhaften Musen, z. B. Melpomene
und die eine Euterpe, sind von ganz geringer Arbeit, mit Ausnahme
der sog. Terpsichore, in welcher man mit leichter Mühe eine verklei-
nerte Reduction nach einer jener grandiosen Colossalstatuen erkennt,
dergleichen die Urania in der Vorhalle eine ist. Das hochgegürtete
Untergewand und der langwallende Mantel sind von ganz ähnlicher
Anordnung wie bei dieser.
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In den Uffizien zu Florenz: erster Gang: eine mit Recht oder
Unrecht als Urania restaurirte Statue, mit dem majestätischen Motiv
des vorn über die Brust, dann über die Schulter geschlagenen, end-
lich von hinten hervor unter den Ellbogen geklemmten Obergewandes
(wie die angebliche Euterpe im Vatican, Galeria delle Statue). Der
Kopf schön und echt. — Ebenda, aus derselben Reihe, Kalliope.
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Im Dogenpalast zu Venedig: Corridojo: zwei Musen vom Theater
von Pola, decorative römische Copien nach einem alten griechischen
Typus, als Karyatiden mit fast geschlossenen Füssen, symmetrischer
Haltung, strenger und gewaltiger Bildung. Das ehemalige Motiv der
Arme zweifelhaft.
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Bei Anlass der Musen sind am besten diejenigen zahlreichen weib-
lichen Statuen zu besprechen, welche unter dem sehr allgemeinen Na-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/483>, abgerufen am 18.12.2024.
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