cholia), sondern ein ruhiges Schweben in geistigem Glück. Diese meist feierlich bekleideten Gestalten sind theils beschäftigt, theils ruhend und hinausblickend (doch nicht in die Höhe!) gebildet; wir finden sie sitzend, aufgelehnt, frei stehend, auch feierlich vortretend, meist aber wird Stellung und Draperie so sehr den Ausdruck erhöhen helfen, dass man auch ohne den Kopf die Statue für nichts anderes als für eine Muse oder doch für ein ursprüngliches Musenmotiv erkennen würde.
Einzelne Sarkophage, welche die Musen sämmtlich darstellen (einera im Museo capitolino, Zimmer der Kaiser) geben uns eine Idee von den (unter sich verschiedenen) Statuengruppen, welche das Alterthum hervorbrachte und dann wiederholte. -- Unter den erhaltenen Statuen finden wir zwar vielleicht in Italien keine, welche der Polymnia des Berliner Museums oder der Melpomene des Louvre völlig gleichkäme, allein doch manche achtungswerthe Exemplare. In der vollständig- sten Gruppe, aus der Villa des Cassius (Vatican, Sala delleb Muse) wird man, was die Arbeit betrifft, Vieles vermissen, allein die schöne Abstufung des Sinnens, ohne alle gewaltsam auffahrende Inspi- ration, mit Genuss verfolgen können. Die in der Erfindung lieblichste dieser Figuren, die sitzend sich aufstützende Euterpe, ist allerdings nebst der Urania erst später anderswoher hinzugekommen. (Euterpe wird sonst, z. B. in den beiden Exemplaren zu Neapel, stehend mit über einander geschlagenen Füssen gebildet.)
Dagegen gehört ursprünglich zu dieser Gruppe, und zwar als deren bestgearbeitete Figur, der im langen Gewand und wehenden Mantel mit der Lyra einherschreitende, lorbeerbekrönte Apollo Mu-c sagetes. (Copie nach Skopas.) Nirgends tritt Apoll so als Schützer und Anführer aller hohen Begeisterung auf wie hier; der allgemeine musische Ausdruck concentrirt sich in dieser höchst jugendlichen, fast weiblichen Gestalt ganz wunderbar. Er allein ist innerlich und äusserlich bewegt; bald werden die Musen dem Festreigen folgen müssen, den er eben antritt. -- Ganz in der Nähe steht wie zur Vergleichung ein anderer Musagetes, in welchem Schritt und Gewandung affectirt er- scheinen und der einen ihm nicht gehörenden weiblich bacchischen Kopf trägt.
In demselben Saal findet man noch eine Muse in kleinerm Mass-d stab, mit der Bezeichnung als Mnemosyne. Leider hat diese reizend
Musen. Apollo Musagetes.
cholia), sondern ein ruhiges Schweben in geistigem Glück. Diese meist feierlich bekleideten Gestalten sind theils beschäftigt, theils ruhend und hinausblickend (doch nicht in die Höhe!) gebildet; wir finden sie sitzend, aufgelehnt, frei stehend, auch feierlich vortretend, meist aber wird Stellung und Draperie so sehr den Ausdruck erhöhen helfen, dass man auch ohne den Kopf die Statue für nichts anderes als für eine Muse oder doch für ein ursprüngliches Musenmotiv erkennen würde.
Einzelne Sarkophage, welche die Musen sämmtlich darstellen (einera im Museo capitolino, Zimmer der Kaiser) geben uns eine Idee von den (unter sich verschiedenen) Statuengruppen, welche das Alterthum hervorbrachte und dann wiederholte. — Unter den erhaltenen Statuen finden wir zwar vielleicht in Italien keine, welche der Polymnia des Berliner Museums oder der Melpomene des Louvre völlig gleichkäme, allein doch manche achtungswerthe Exemplare. In der vollständig- sten Gruppe, aus der Villa des Cassius (Vatican, Sala delleb Muse) wird man, was die Arbeit betrifft, Vieles vermissen, allein die schöne Abstufung des Sinnens, ohne alle gewaltsam auffahrende Inspi- ration, mit Genuss verfolgen können. Die in der Erfindung lieblichste dieser Figuren, die sitzend sich aufstützende Euterpe, ist allerdings nebst der Urania erst später anderswoher hinzugekommen. (Euterpe wird sonst, z. B. in den beiden Exemplaren zu Neapel, stehend mit über einander geschlagenen Füssen gebildet.)
Dagegen gehört ursprünglich zu dieser Gruppe, und zwar als deren bestgearbeitete Figur, der im langen Gewand und wehenden Mantel mit der Lyra einherschreitende, lorbeerbekrönte Apollo Mu-c sagetes. (Copie nach Skopas.) Nirgends tritt Apoll so als Schützer und Anführer aller hohen Begeisterung auf wie hier; der allgemeine musische Ausdruck concentrirt sich in dieser höchst jugendlichen, fast weiblichen Gestalt ganz wunderbar. Er allein ist innerlich und äusserlich bewegt; bald werden die Musen dem Festreigen folgen müssen, den er eben antritt. — Ganz in der Nähe steht wie zur Vergleichung ein anderer Musagetes, in welchem Schritt und Gewandung affectirt er- scheinen und der einen ihm nicht gehörenden weiblich bacchischen Kopf trägt.
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Musen. Apollo Musagetes.
cholia), sondern ein ruhiges Schweben in geistigem Glück. Diese meist
feierlich bekleideten Gestalten sind theils beschäftigt, theils ruhend
und hinausblickend (doch nicht in die Höhe!) gebildet; wir finden sie
sitzend, aufgelehnt, frei stehend, auch feierlich vortretend, meist aber
wird Stellung und Draperie so sehr den Ausdruck erhöhen helfen,
dass man auch ohne den Kopf die Statue für nichts anderes als für
eine Muse oder doch für ein ursprüngliches Musenmotiv erkennen würde.
Einzelne Sarkophage, welche die Musen sämmtlich darstellen (einer
im Museo capitolino, Zimmer der Kaiser) geben uns eine Idee von
den (unter sich verschiedenen) Statuengruppen, welche das Alterthum
hervorbrachte und dann wiederholte. — Unter den erhaltenen Statuen
finden wir zwar vielleicht in Italien keine, welche der Polymnia des
Berliner Museums oder der Melpomene des Louvre völlig gleichkäme,
allein doch manche achtungswerthe Exemplare. In der vollständig-
sten Gruppe, aus der Villa des Cassius (Vatican, Sala delle
Muse) wird man, was die Arbeit betrifft, Vieles vermissen, allein die
schöne Abstufung des Sinnens, ohne alle gewaltsam auffahrende Inspi-
ration, mit Genuss verfolgen können. Die in der Erfindung lieblichste
dieser Figuren, die sitzend sich aufstützende Euterpe, ist allerdings
nebst der Urania erst später anderswoher hinzugekommen. (Euterpe
wird sonst, z. B. in den beiden Exemplaren zu Neapel, stehend mit
über einander geschlagenen Füssen gebildet.)
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Dagegen gehört ursprünglich zu dieser Gruppe, und zwar als
deren bestgearbeitete Figur, der im langen Gewand und wehenden
Mantel mit der Lyra einherschreitende, lorbeerbekrönte Apollo Mu-
sagetes. (Copie nach Skopas.) Nirgends tritt Apoll so als Schützer
und Anführer aller hohen Begeisterung auf wie hier; der allgemeine
musische Ausdruck concentrirt sich in dieser höchst jugendlichen, fast
weiblichen Gestalt ganz wunderbar. Er allein ist innerlich und äusserlich
bewegt; bald werden die Musen dem Festreigen folgen müssen, den er
eben antritt. — Ganz in der Nähe steht wie zur Vergleichung ein
anderer Musagetes, in welchem Schritt und Gewandung affectirt er-
scheinen und der einen ihm nicht gehörenden weiblich bacchischen
Kopf trägt.
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In demselben Saal findet man noch eine Muse in kleinerm Mass-
stab, mit der Bezeichnung als Mnemosyne. Leider hat diese reizend
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/481>, abgerufen am 18.12.2024.
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