als Vertreiber der Erinnyen gedacht -- je nachdem man einer Erklä- rung beipflichtet -- wendet er sich, nachdem sein Pfeil getroffen, mit hohem Stolz, selbst mit einem Rest von Unwillen hinweg. (Die de- klamatorisch restaurirte rechte Hand möge man sich wegdenken.) Wahrscheinlich Nachahmung eines Erzbildes, wie der Mantel andeutet, zeigt diese Statue eine Behandlung des Einzelnen, die man am ehe- sten der ersten Kaiserzeit zutrauen will und die gegenwärtig nicht mehr so mustergültig erscheint, wie zur Zeit Winkelmanns. Einer unvergänglichen Bewunderung bleibt aber der Gedanke des Ganzen würdig, das Göttlich-Leichte in Schritt und Haltung, sowie in der Wendung des Hauptes. (Welches übrigens, der Wirkung zu Liebe, weit nach der rechten Schulter sitzt.)
Noch im Kampfe begriffen, die Sehne des Bogens anziehend 1),a finden wir Apoll in einer Bronzestatue des Museums von Neapel (grosse Bronzen). Hier ist er ungleich jugendlicher, schlank, als Knabe, doch mit einem ähnlichen unwilligen Ausdrucke des Köpf- chens gebildet. Die schöne Bewegung seines Laufes wird durch das über den Rücken und dann vorn über die Arme geschwungene Stück- chen Gewand gleichsam noch beschleunigt.
Am häufigsten repräsentirt ist der Typus des angelehnt ausru- henden Apoll, welcher den rechten Arm über das Haupt schlägt und mit der Linken meist die Kithara hält. Dieses Motiv mit seinem fast genrehaften Reiz kam, wie wir denken möchten, ursprünglich nur einem sehr jugendlichen Apoll zu, und so stellt auch die berühmte florentinische Statue (Uffizien, Tribuna), welche mit Recht der "Apol-b lino" genannt wird, den Gott auf der Grenze des Knaben- und Jüng- lingsalters dar. Leider musste dieses Werk in neuerer Zeit, schwerer Verletzungen wegen, einen Kittüberzug annehmen, welcher die echte Epidermis völlig verhüllt; allein die praxitelische Schönheit schimmert noch deutlich durch. Der Ausdruck des leichtesten Wohlseins ist hier mit einem hohen Ernste verbunden, welcher die Gestalt auf den ersten Blick von bloss halbgöttlichen Wesen unterscheidet.
Die lebensgrossen, ja colossalen Statuen desselben Motives sind
1) So schliesst man aus der Haltung der Hände, denn der Bogen ist nicht mehr erhalten.
Apoll. Apollino.
als Vertreiber der Erinnyen gedacht — je nachdem man einer Erklä- rung beipflichtet — wendet er sich, nachdem sein Pfeil getroffen, mit hohem Stolz, selbst mit einem Rest von Unwillen hinweg. (Die de- klamatorisch restaurirte rechte Hand möge man sich wegdenken.) Wahrscheinlich Nachahmung eines Erzbildes, wie der Mantel andeutet, zeigt diese Statue eine Behandlung des Einzelnen, die man am ehe- sten der ersten Kaiserzeit zutrauen will und die gegenwärtig nicht mehr so mustergültig erscheint, wie zur Zeit Winkelmanns. Einer unvergänglichen Bewunderung bleibt aber der Gedanke des Ganzen würdig, das Göttlich-Leichte in Schritt und Haltung, sowie in der Wendung des Hauptes. (Welches übrigens, der Wirkung zu Liebe, weit nach der rechten Schulter sitzt.)
Noch im Kampfe begriffen, die Sehne des Bogens anziehend 1),a finden wir Apoll in einer Bronzestatue des Museums von Neapel (grosse Bronzen). Hier ist er ungleich jugendlicher, schlank, als Knabe, doch mit einem ähnlichen unwilligen Ausdrucke des Köpf- chens gebildet. Die schöne Bewegung seines Laufes wird durch das über den Rücken und dann vorn über die Arme geschwungene Stück- chen Gewand gleichsam noch beschleunigt.
Am häufigsten repräsentirt ist der Typus des angelehnt ausru- henden Apoll, welcher den rechten Arm über das Haupt schlägt und mit der Linken meist die Kithara hält. Dieses Motiv mit seinem fast genrehaften Reiz kam, wie wir denken möchten, ursprünglich nur einem sehr jugendlichen Apoll zu, und so stellt auch die berühmte florentinische Statue (Uffizien, Tribuna), welche mit Recht der „Apol-b lino“ genannt wird, den Gott auf der Grenze des Knaben- und Jüng- lingsalters dar. Leider musste dieses Werk in neuerer Zeit, schwerer Verletzungen wegen, einen Kittüberzug annehmen, welcher die echte Epidermis völlig verhüllt; allein die praxitelische Schönheit schimmert noch deutlich durch. Der Ausdruck des leichtesten Wohlseins ist hier mit einem hohen Ernste verbunden, welcher die Gestalt auf den ersten Blick von bloss halbgöttlichen Wesen unterscheidet.
Die lebensgrossen, ja colossalen Statuen desselben Motives sind
1) So schliesst man aus der Haltung der Hände, denn der Bogen ist nicht mehr erhalten.
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[443/0465]
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als Vertreiber der Erinnyen gedacht — je nachdem man einer Erklä-
rung beipflichtet — wendet er sich, nachdem sein Pfeil getroffen, mit
hohem Stolz, selbst mit einem Rest von Unwillen hinweg. (Die de-
klamatorisch restaurirte rechte Hand möge man sich wegdenken.)
Wahrscheinlich Nachahmung eines Erzbildes, wie der Mantel andeutet,
zeigt diese Statue eine Behandlung des Einzelnen, die man am ehe-
sten der ersten Kaiserzeit zutrauen will und die gegenwärtig nicht
mehr so mustergültig erscheint, wie zur Zeit Winkelmanns. Einer
unvergänglichen Bewunderung bleibt aber der Gedanke des Ganzen
würdig, das Göttlich-Leichte in Schritt und Haltung, sowie in der
Wendung des Hauptes. (Welches übrigens, der Wirkung zu Liebe,
weit nach der rechten Schulter sitzt.)
Noch im Kampfe begriffen, die Sehne des Bogens anziehend 1),
finden wir Apoll in einer Bronzestatue des Museums von Neapel
(grosse Bronzen). Hier ist er ungleich jugendlicher, schlank, als
Knabe, doch mit einem ähnlichen unwilligen Ausdrucke des Köpf-
chens gebildet. Die schöne Bewegung seines Laufes wird durch das
über den Rücken und dann vorn über die Arme geschwungene Stück-
chen Gewand gleichsam noch beschleunigt.
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Am häufigsten repräsentirt ist der Typus des angelehnt ausru-
henden Apoll, welcher den rechten Arm über das Haupt schlägt und
mit der Linken meist die Kithara hält. Dieses Motiv mit seinem fast
genrehaften Reiz kam, wie wir denken möchten, ursprünglich nur
einem sehr jugendlichen Apoll zu, und so stellt auch die berühmte
florentinische Statue (Uffizien, Tribuna), welche mit Recht der „Apol-
lino“ genannt wird, den Gott auf der Grenze des Knaben- und Jüng-
lingsalters dar. Leider musste dieses Werk in neuerer Zeit, schwerer
Verletzungen wegen, einen Kittüberzug annehmen, welcher die echte
Epidermis völlig verhüllt; allein die praxitelische Schönheit schimmert
noch deutlich durch. Der Ausdruck des leichtesten Wohlseins ist
hier mit einem hohen Ernste verbunden, welcher die Gestalt auf den
ersten Blick von bloss halbgöttlichen Wesen unterscheidet.
Die lebensgrossen, ja colossalen Statuen desselben Motives sind
1) So schliesst man aus der Haltung der Hände, denn der Bogen ist nicht mehr
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/465>, abgerufen am 18.12.2024.
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